«Wir haben keine Angst, die Kinder zu verwöhnen»

Nadine und Alain leben mit ihren drei Söhnen bewusst bedürfnisorientiert. Oft auch Widerständen zum Trotz.
Nadine Guth ist Primarlehrerin, ihr Mann Alain ist Tierarzt. Beide sind 36 Jahre alt. Sie haben die drei Söhne Louis, 7, Lenny, 6, und Leo, 4, und teilen sich Erwerbs- und Care-Arbeit.
Nadine: «Das Thema ‹bedürfnisorientierte Erziehung› interessierte mich erstmals nach Lennys Geburt. Als ich dann Literatur dazu las, merkte ich: Das ist ja unser Erziehungsstil! Ohne also je den Entschluss gefasst zu haben, so zu erziehen, und ohne Namen dafür haben wir es einfach von Anfang an so gemacht. Mir ist eine Erziehung auf Augenhöhe wichtig. Dass wir respektvoll miteinander umgehen.
Dabei sehe ich im Vergleich zur älteren Generation schon einen ziemlichen Unterschied im Umgang mit den Kindern. Wenn Louis beispielsweise mittags heimkommt, muss er vor dem Essen erst mal herunterfahren. Also geben wir ihm etwas Zeit und er kommt zehn Minuten später an den Tisch. Meine Eltern wundern sich dann, dass wir nicht alle zusammen essen. Aber sie kennen es eben anders.»
Die Jungs sind sehr unterschiedlich. Man darf nicht von sich ausgehen oder von dem, was man selbst als Kind in dem Moment gebraucht hätte.
Nadine
Alain: «Wir versuchen, die Bedürfnisse der Kinder ernst zu nehmen. In dem Fall ist es uns wichtig, dass Louis sich die Zeit nach der Schule nimmt, die er braucht. Wir merken ja, dass ihm das guttut. Natürlich ist es nicht immer einfach, vor allem bei Zeitdruck. Da können wir schlecht sagen: Nimm dir Zeit. Stattdessen müssen wir überlegen, wie wir ihn abholen.»
Nadine: «Wir ernten auch Kritik für unseren Erziehungsstil, Beispiel Familienbett. Da passiert es schon, dass ich kontere: Ich glaube nicht, dass sie bei uns schlafen, bis sie achtzehn sind. Wenn sie irgendwann nicht mehr wollen, haben sie ja ihr Zimmer mit ihren Betten. Ansonsten sind die Jungs sehr unterschiedlich. Wenn Louis einen Gefühlsausbruch hat, würde ich ihn am liebsten in den Arm nehmen. Er aber möchte das nicht. Lenny dagegen kann sich mit Nähe viel besser beruhigen. Man darf eben nicht von sich ausgehen oder von dem, was man selbst als Kind in dem Moment gebraucht hätte.»
Wenige Abende als Paar
Alain: «Auf die Bedürfnisse der Kinder zu achten, kann auch anstrengend sein. Aber Angst, sie zu verwöhnen, haben wir nicht. Allein dadurch, dass die Jungs zu dritt sind und vom Alter her nahe beieinanderliegen, haben sie früh gelernt, dass andere auch Bedürfnisse haben. Wenn ich alleine mit ihnen bin, muss jeder mal zurückstecken. Mühe habe ich vor allem dann, wenn sie müde und aufgedreht sind. Wir glauben dennoch, dass wir den richtigen Weg gehen. Wir möchten den Jungs eine gute Bindung mitgeben, damit sie später gestärkt in die Welt hinauskönnen. Uns ist wichtig, dass sie all die Werte in sich tragen, die wir ihnen für einen respektvollen Umgang miteinander vermitteln.»
Nadine: «Natürlich haben wir auch Grenzen. Wenn einer von uns nach einem langen Tag nicht mehr mag, übergibt er an den anderen. Und einen Abend pro Woche hat jeder von uns für sich allein. Alain macht dann Sport, ich singe im Dorfchor. Was uns als Paar angeht, haben wir die gemeinsame Zeit in den letzten Jahren ziemlich vernachlässigt. Nach dem ersten Kind war das Bedürfnis danach noch nicht so stark, aber es wuchs mit jedem Kind. Abende zu zweit haben wir wenige, da es organisatorisch zu aufwendig ist.»
Alain: «Dafür sind wir an vier Wochenenden pro Jahr fix als Paar unterwegs und unternehmen dann Dinge wie Biken oder Skifahren. Dinge, die wir gemacht haben, als wir noch kinderlos waren. Das tut gut. Wir haben das Glück, dass unsere Eltern uns das ermöglichen und unsere Jungs gerne zu den Grosseltern gehen.»