«Meine Kinder sollen sich gesehen und gehört fühlen»
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«Meine Kinder sollen sich gesehen und gehört fühlen»

Lesedauer: 2 Minuten

Eine bedürfnisorientierte Erziehung fängt bei sich selbst an, sagt Simone Spizzo. Nach einer schwierigen Lebensphase hat sie ihren inneren Frieden gefunden und gelernt, zuzuhören, ohne zu bewerten.

Aufgezeichnet von Michaela Davison
Bild: Mara Truog / 13 Photo

Simone Spizzo, 38, ist in Ausbildung zur Sozialpädagogin und lebt mit ihren Kindern Matteo, 10, und Noé, 8, im Wechselmodell. 

Ich wurde sehr autoritär erzogen und hatte oft das Gefühl, dass meine Gefühle keinen Platz hatten. Erst als Au-pair in den USA habe ich auf eine neue Weise erleben dürfen, was es bedeutet, geliebt und angenommen zu werden. Meine Gastmutter sagte zu mir: Du bist das Wertvollste, was ich neben meinen Kindern habe. Dies von jemandem zu hören, der mich kaum kannte, war ein Schlüsselmoment. Ich wusste: Dieses Gefühl will ich meinen Kindern später auch vermitteln.

Als ich mit Matteo schwanger war, hörte ich erstmals von bedürfnisorientierter Erziehung und wusste, dass ich diesen Weg gehen wollte. Aber nach der Geburt war ich überfordert und fühlte mich allein. Mein damaliger Partner konnte mich auf diesem Weg nicht unterstützen und mein Umfeld begegnete meinem Erziehungsstil oft mit Skepsis.

Die bedürfnisorientierte Erziehung ist kein Ziel, das ich erreicht habe, sondern ein Weg, den ich immer wieder neu gehe.

Dennoch hielt ich daran fest. Ich begann, mich intensiv mit mir auseinanderzusetzen. Es war ein Weg voller Umwege. Es gab Zeiten, in denen ich mich selbst nicht mehr erkannte. Doch irgendwann begriff ich: Wenn ich meinen Kindern wirklich Sicherheit geben will, muss ich lernen, sie in mir selbst zu finden.

Ich begann, neue Strategien zu entwickeln – nicht aus Trotz gegen meine Vergangenheit, sondern aus dem Wunsch heraus, es bewusst anders zu machen. Ich lernte, wie wichtig es ist, auf mich zu schauen, damit ich für andere da sein kann.

Natürlich falle ich manchmal in alte Muster. Ich kann laut werden, wenn ich überfordert bin. Aber ich merke es, spreche mit meinen Kindern darüber, entschuldige mich. Beziehung bedeutet für mich heute nicht Perfektion, sondern Verbindung. Und die beginnt immer bei mir selbst.

Ein Alltag ohne Zwang und Gewalt

Mein jetziger Partner unterstützt mich in dieser Haltung. Auch meine Ausbildung zur Sozialpädagogin gibt mir sehr viel. Ich begleite Mädchen in schwierigen Lebensumständen und versuche dabei, präsent zu sein, zuzuhören, sie zu sehen – so wie ich es auch bei meinen Kindern versuche.

Die bedürfnisorientierte Erziehung ist kein Ziel, das ich erreicht habe, sondern ein Weg, den ich immer wieder neu gehe. Eine intrinsisch motivierte Haltung gegen Gewalt in der Beziehung zu meinen Kindern. Dabei meine ich nicht nur physische, sondern besonders auch verbale oder psychische Gewalt. Ich begegne meinen Kindern mit offenem Herzen und einem wachsamen Blick. Ich will ihnen das geben, was mir als Kind fehlte, und möchte, dass sie sich gesehen und gehört fühlen.

Ein Leitsatz, der mich stets begleitet, ist: Wenn ich die Wahrheit meines Gegenübers als genauso wahrhaftig anerkenne wie die meine, begegnen wir uns auf Augenhöhe. Dieser Satz erinnert mich immer wieder daran, demütig zu sein. Zuzuhören, ohne zu bewerten. Auf diese Weise kann ich Strategien und Lösungen mit meinen Kindern erarbeiten, die uns unseren Alltag ohne Zwang und Gewalt erleben lassen.

Michaela Davison
ist freie Journalistin und dreifache Mutter. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Zürich. Mit zwei Schulkindern und einem Kindergartenkind ist ihr Familienalltag gefüllt mit Übergängen aller Art.

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