Bedürfnisorientiert erziehen, aber wie?

Bilder: Catherine Falls
6 Tipps für die bedürfnisorientierte Erziehung
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Alte Muster halten sich hartnäckig
Der Ansatz leuchtet bei Babys und Kleinkindern ein, schliesslich sind deren Bedürfnisse von existenzieller Natur (hungrig, müde, volle Windel) und lassen sich in der Regel schnell befriedigen. Wie aber verhält Das entscheidest du selbst Eltern sollten sich am Kind orientieren – nicht an den eigenen Vorstellungen. Doch wie geht bedürfnisorientierte Erziehung im Familienalltag? Und wie bleiben dabei die eigenen Bedürfnisse nicht auf der Strecke? Text: Kristina Reiss es sich bei Schulkindern oder Teenagern, die offensichtlich kein Bedürfnis haben, im Haushalt mit anzupacken?
Kinder miteinbeziehen
Ihr zehnjähriger Sohn kümmert sich übrigens selbständig um das Katzenklo – «aber nicht, weil ich gesagt habe ‹du musst›», sagt Schmidt lachend. Zum Erfolg geführt habe der Hinweis: «Schau mal, die Katze muss ganz dringend, aber ihr Klo ist so dreckig. Was meinst du, wie sie sich fühlt?» «Wow», denke ich, «das klingt gut», und erwäge für einen kurzen Moment, eine Katze anzuschaffen. Da schiebt Nicola Schmidt hinterher: «Das Ganze ist reine Übungssache! Ich kenne durchaus auch Erwachsene, die nicht von sich aus helfen – wie können wir es da von Kindern erwarten?»
Spielkonsolen wirken wie Koks
«Grenzen und Leitlinien funktionieren am besten, wenn Kinder sie nachvollziehen können und diese gemeinsam ausgehandelt sind», sagt Susanne Mierau im Skype-Gespräch. Tönt anstrengend? Die Berliner Pädagogin ist anderer Meinung: «Gelingt es uns, auf Beziehung statt auf Erziehung zu setzen, ist dies der einfachere und entspanntere Weg.» Gleichzeitig sollten Eltern in ihren Gedanken und Wünschen eindeutig sein – und notfalls die Reaktion des Kindes auf ein Nein aushalten.
«Zwischen Kindern und Eltern bleibt immer ein Machtgefälle»
Doch für Ramming ist klar: «Zwischen Kindern und Eltern bleibt immer ein Machtgefälle.» Susanne Mierau wiederum plädiert dafür, den Nachwuchs auf Augenhöhe zu begleiten. Dafür müssten sich Eltern jedoch ein Stück weit von eigenen Vorstellungen und Plänen distanzieren, um wirklich im Interesse des Kindes zu handeln. Kurz: seine Gefühle berücksichtigen und es ernst nehmen. Aber auch Loslassen und auf die immer grösser werdende Eigenständigkeit des Nachwuchses vertrauen. Während ich noch überlege, wie wir das eigentlich bei unseren Kindern handhaben, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Das haben wir ja auch schon gemacht! Sogar im grossen Stil! Vor zwei Jahren nämlich, als die damals Neunjährige plötzlich die Schule wechseln wollte, von der hundsgewöhnlichen, durchmischten Quartierprimarschule um die Ecke auf eine katholische Mädchenschule, fast eine Stunde mit dem Bus entfernt. «No way», dachten wir Eltern, «das sitzen wir aus, meint sie eh nicht ernst.» Doch das Kind biss sich fest.
Lieferte in endlosen Diskussionen erstaunlich gute Argumente und debattierte wie eine Grosse. Nach «Es ist gemein, wenn ihr das entscheidet – ich muss ja zur Schule gehen» knickten wir ein. Mittlerweile besucht das Kind den Unterricht auf eigenen Wunsch wieder am Wohnort, hat die kurzen Wege zu schätzen gelernt, das viel spätere Aufstehen, die Jungs in der Klasse. «Das hätte sie auch leichter haben können», sagte neulich eine Bekannte, «eine Neunjährige kann so was doch gar nicht überblicken.» Nein, kann sie wohl nicht; Mutter und Vater allerdings auch nicht unbedingt. Was sich aber enorm gelohnt hat, war das Ausprobieren – unglaublich, was das Kind dabei alles gelernt hat. Und die Eltern erst! Dem Nachwuchs gewisse Felder zu überlassen und seinem Wunsch nach Selbständigkeit nachzugeben, könne also sehr gewinnbringend sein – auch schon bei kleinen Dingen, findet Susanne Mierau. «Glauben Eltern stets besser zu wissen, wie ihr Kind handeln soll, lernt dieses lediglich, dass Abwertung und das kompromisslose Durchsetzen seiner Meinung in Ordnung sind.»
Es geht auch um die eigenen Bedürfnisse
«Sie verinnerlichen dadurch lediglich, dass andere ihnen alles abnehmen, und entwickeln keine Frustrationstoleranz», so Ambauen. Puh! Alles gar nicht so einfach mit dieser bedürfnisorientierten Erziehung! Doch Susanne Mierau hängt die Messlatte tief: «Es ist unmöglich, perfekt gewaltfrei und absolut bindungs- und bedürfnisorientiert mit Kindern umzugehen», beschwichtigt sie. Im Gegenteil: Fehler und Unsicherheiten seien normal (deshalb ist es wichtig, «tut mir leid» sagen zu können), Eltern müssten auch nicht immer sofort reagieren (bei einem Wutanfall des Kindes erst mal durchatmen) und sollten eigene Grenzen offenlegen («Ich kann heute nicht mit dir auf den Spielplatz, weil ich zu erschöpft bin»).
Kurz: Eltern müssen nicht immer allwissend agieren. «Im Grunde», sagt die Berliner Pädagogin, «reicht es, die Gefühle des Kindes zu respektieren und es ernst zu nehmen.» Felizitas Ambauen ergänzt: «Begleiten wir Kinder doch so, wie wir uns das von Freundinnen oder Freunden und Partnerinnen und Partnern wünschen. Das fängt mit Tonfall und Wortwahl an.» Am Ende kommt es tatsächlich zu einem Sitzstreik – zu einem äusserst lustigen, an dem die ganze Familie teilnimmt. Anschliessend räumen alle unaufgefordert den Tisch ab. «Das machen wir jetzt immer so!», beschliesst die Tochter. Ihr Bruder wiederum liegt zwei Tage nach der Jacken-Episode mit Fieber im Bett. Und Mutter kann es sich nicht verkneifen, einen Zusammenhang aufzuzeigen – sehr unpädagogisch. Doch manchmal helfen alle guten Vorsätze nichts.
Zum Weiterlesen und -hören
- Susanne Mierau: Frei und unverbogen. Kinder ohne Druck begleiten und bedingungslos annehmen. Beltz 2021, ca. 29 Fr.
- Nicola Schmidt: Der Elternkompass. Gräfe und Unzer 2020, ca. 39 Fr.
- Podcast Beziehungskosmos: Psychound Paartherapeutin Felizitas Ambauen und Journalistin Sabine Meyer besprechen alle zwei Wochen brennende Beziehungsfragen spreaker.com > Beziehungskosmos
Zur Autorin:
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