Amokläufe: Wie unsere Medien neue Täter schaffen

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Killerspiele, Migration, Männlichkeitsideale – unser Kolumnist, der Psychologe Fabian Grolimund, hat eine klare Meinung zur Frage, wer wirklich zu Amokläufen beiträgt.
Während über immer neue Details der Tat und über die Hintergründe ausführlich berichtet wird, und Millionen den Kopf schütteln, fühlen sich einige wenige inspiriert. Für sie sind die Täter Vorbilder, denen es nachzueifern gilt.
Während wir alle den Kopf schütteln, wenn wir die Zeitungsberichte lesen, sitzt in irgendeiner Wohnung ein Jugendlicher, der seit Jahren gemobbt wird. Vielleicht hat er mit dem Gedanken gespielt, sich das Leben zu nehmen und sieht plötzlich eine Möglichkeit, sich zu rächen und schneidet den Zeitungsbericht aus.
Wir schütteln den Kopf über die Details. Aber einige wenige fühlen sich von ihnen inspiriert.
Fast allen Tätern ist etwas gemeinsam: Sie befassten sich vor ihren Taten lange und intensiv mit den Medienberichten über andere Täter. Sie liessen sich davon in eigenen Plänen bestärken und identifizierten sich mit den Tätern.
Breivik, der auf den Tag genau fünf Jahre vor dem Attentat in München 77 Menschen umbrachte, hat seinen eigenen Fanclub. Er erhielt nach seiner Tat Fanpost und Heiratsanträge.
Mobbing, Computergames und ähnliches gab es alles schon vor dem Massaker an der Columbine High School. Doch erst seit diesem ersten Amoklauf an einer Schule und den detaillierten Berichten darüber häufen sich die Taten. Nachahmer fanden sich überall auf der Welt.
Eric Harris, einer der beiden Täter, schrieb vor der Tat: «Wir werden Nachfolger haben, weil wir so verdammt göttlich sind.» Er wusste, dass er sich dabei auf die Presse verlassen kann.
Selbstmorde häufen sich, wenn die Medien berichten. Das nennt man den Werther-Effekt.
Ich bin mir fast sicher, dass sich ein ähnliches Phänomen bei Amokläufen ausmachen liesse, auch wenn es sich aufgrund der niedrigen Fallzahlen schlecht wissenschaftlich erforschen lässt. Wir könnten in diesem Fall von einem Columbine-Effekt sprechen.
Liebe Journalisten: Bitte seid euch bewusst, dass es nicht nur eine Pressefreiheit gibt, sondern auch eine Presseverantwortung. Habt bei eurer Berichterstattung auch diejenigen im Kopf, die zu Hause vor dem PC sitzen und nach Berichten über Amokläufer suchen, sich diese abspeichern, sich dadurch inspiriert und bestärkt fühlen. Füttert diese Leute nicht unnötig.
Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor («Mit Kindern lernen»). Der 36-Jährige ist verheiratet und Vater zweier Kinder.
Fabian Grolimund schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi. In der Rubrik Elterncoaching beantwortet er Fragen aus dem Familienalltag. Sie wollen seine Texte nicht mehr verpassen? Abonnieren Sie jetzt unseren kostenlosen Newsletter.