«Lehrer haben doch immer frei!» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

«Lehrer haben doch immer frei!»

Lesedauer: 3 Minuten

Lehrerinnen und Lehrer haben jede Menge Freizeit und Ferien. Doch wer den Lehrpersonen die Ferien missgönnt, hat von dem Beruf keine Ahnung. Aber was tun Pädagogen in diesen 13 Wochen im Jahr? Eine Annäherung. 

Lehrerinnen und Lehrer haben viel Freizeit und alle zwei Monate Ferien. Diesem Klischee pflich­ten wohl immer noch viele bei. Als Lehrerin oder Lehrer bekommt man von Nichtlehrern regelmässig zu hören: «Ach, ihr mit euren 13 Wochen Ferien!» Gemeint ist: Ihr habt einfach viel zu viele Ferien!

Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich dabei oft persönlich angegriffen und kontern mit Argumenten wie «Fünfzigstundenwoche», «Korrek­turarbeit mit Nachtschicht», «El­terngespräche und Vorbereiten am Wochenende». Und natürlich stimmt das auch! Wir Lehrpersonen müssen tatsächlich viel vorbereiten,bereitstellen, korrigieren, abspre­chen und so weiter.

Leider werden diese Erläuterun­gen vom Gegenüber oft als Rechtfer­tigungsversuch interpretiert. Es scheint, als seien uns die Ferien peinlich. Dabei sind sie so wichtig: zum einen, um in den unterrichts­freien Schulwochen weniger zu arbeiten als in den voll beladenen; zum anderen, um wirklich Abstand von der Schule zu gewinnen und aufzutanken. Statt uns zu rechtferti­gen, sollten wir berichten, welche Vorzüge unser Beruf hat und mit welcher Motivation wir nach den Ferien in den Schulalltag starten werden.

Im Teamzimmer haben mir Kol­leginnen berichtet, wie sie die Som­merferien verbracht haben. Hier drei Beispiele.

Es muss viel geplant werden

Eine Lehrerin, die im August 2016 mit neuen Erstklässlern gestartet ist, sagte, dass sie erst in die Ferien fah­ren wollte und konnte, als ihr Schulzimmer für die neuen Kinder vor­ bereitet war. Sie brauchte eine ganze Woche, um das Material der bishe­rigen Klasse zu verräumen, die Ni­schen im Schulzimmer für die künf­tigen Erstklässler vorzubereiten und alles Material bereitzustellen.

In der zweiten Ferienwoche hat sie sich mit der Teamteaching­-Kol­legin getroffen, um die konkreten Inhalte der ersten Schulwochen zu planen und das Material für die Unterrichtslektionen zusammenzu­stellen. Die beiden Lehrerinnen arbeiten neu zusammen, was einige Absprachen mehr verlangt hat.

Nach zwei Wochen mit Freunden in einem Haus am Meer war die letz­te Ferienwoche wieder täglich ver­plant: schulinterne Teamtage, in denen die Projekte der ersten Schul­wochen vorbereitet und die gemein­samen Räume wie Materialzimmer, Keller und Estrich geräumt wurden.

Erst einmal Abstand gewinnen

Eine andere Kollegin aus dem Kin­dergarten berichtete, dass sie gleich nach Schulschluss in die Wander­ferien verreist sei. Das mache sie nicht immer so, doch dieses Jahr hätte sie es besonders geschätzt, um gleich Abstand von der Kindergar­tenarbeit zu gewinnen. Besonders belastend habe sie einige schwierige Übertrittsgespräche empfunden, die sich bis ins letzte Quartal hinein­ gezogen hätten. Es habe Wochen gegeben, in denen sie sehr schlecht geschlafen habe und ihr die belas­tenden Situationen immer wieder in den Sinn gekommen seien.

Nach den aktiven Ferien seien die negativen Erinnerungen in den Hin­tergrund gerückt, so dass sie den frisch geputzten Kindergarten mit viel Freude und Energie für die neue Klasse herrichten konnte.

Auch sie sagte, dass sie sich auf den Start mit der neuen Klasse ge­freut habe. Die Auswahl des neuen Themas mit einer Leitfigur, die durch das Jahr führe, bereite ihr immer grosse Freude. Sie meint, zu Schuljahresbeginn sei es besonders wichtig, gut erholt anzufangen, denn die ersten Kindergartenwochen seien emotional und körperlich besonders anstrengend. Zum Glück sei die Schulleitung vor Ort grosszügig, so dass die Teamteaching-Lektionen im ersten Quartal aufgestockt werden dürfen, indem jeweils bei Lektionen mit allen Kindern zwei Lehrpersonen anwesend seien.

Jugendarbeit in den Ferien

Ein Oberstufen-Kollege erzählte, dass er seit Jahren in den Sommerferien in einem zweiwöchigen Lager mithelfe, in dem Kinder aus benachteiligten Milieus Ferien machen können. Inzwischen kämen auch seine Frau und die eigenen Kinder mit, um mitzuhelfen. Die ganze Familie freue sich jedes Mal auf diese spannenden Wochen. Die eigenen Kinder profitierten dabei im emotionalen und sozialen Bereich enorm und knüpften Bekanntschaften, die manchmal über die Ferien hinaus halten.

«Balancieren zwischen Arbeit und Freizeit – die grosse Herausforderung für Lehrpersonen.»

Ruth Fritsch ist Mitglied der Geschäftsleitung des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH.

In den verbleibenden Wochen habe er die Freiheit, die Arbeitszeit selbst bestimmen zu können, genossen und je nach Wetter in der Schule gearbeitet oder etwas mit der Familie unternommen. Er schätze den Vorzug, in der unterrichtsfreien Zeit die Arbeitstage nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten und trotzdem wichtige Arbeiten zu erledigen.

Arbeit und Freizeit – nicht klar getrennt

Die drei Berichte zeigen, dass es im Lehrberuf unterschiedliche Arbeits- typen gibt, so wie in anderen Berufsgruppen wohl auch. Im Vergleich mit anderen Berufsgruppen haben wir Lehrpersonen mehr Zeitfenster, die wir selbst organisieren und gestalten können, doch steckt in diesem Vorzug die Gefahr, dass Arbeit und Freizeit zu wenig klar getrennt werden.

Meine Erfahrung zeigt, dass es vielen Lehrpersonen schwerfällt, abzuschalten und Arbeit und Freizeit wirklich zu trennen. Es gehört zu ihrem Alltag, die Ereignisse vom vergangenen Tag nachzubereiten, um am nächsten Tag mit geeigneten Unterrichtsmethoden und Inhalten zu reagieren. Diese Überlegungen nehmen viele von uns mit nach Hause, weil wir uns emotional beteiligen.

Dieser und andere Faktoren der Belastung führen dazu, dass viele Lehrpersonen trotz Ferien und Wochen ohne Unterricht ihr Pensum reduzieren. Von vielen Lehrpersonen höre ich, dass sie mehr Zeit brauchen, um einen Ausgleich zu finden. Meistens ist dies möglich, wenn man in einem Pensum von 80 oder 90 Prozent arbeitet. Deshalb fordert der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer seit Längerem ein tieferes Pflichtpensum.
 Obwohl allgemein bekannt ist, dass die Lehrperson einer der wichtigsten Faktoren für erfolgreiches Lernen ist, werden die Forderungen nach kleineren Klassen und niedrigerem Pflichtpensum nicht erfüllt. Wegen Knappheit der Finanzen verläuft die Entwicklung in den Kantonen genau in die entgegengesetzte Richtung.

Im laufenden Projekt «Gesundheit» des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz sollen mittels Untersuchungen auf verschiedenen Ebenen «harte» Fakten zu den effektiven beruflichen Belastungen gesammelt werden.

In weiten Kreisen der Politik und Gesellschaft scheint man den Beruf der Lehrerinnen und Lehrer immer noch als Beruf mit viel Freizeit zu betrachten. Die öffentliche Diskussion über die tatsächlichen Arbeitszeiten und die beruflichen Belastungen muss vorangetrieben werden.

Bild: Pexels


Ruth Fritschi ist Kindergärtnerin, Präsidentin der LCH-Stufenkommission 4bis8 und Mitglied der Geschäftsleitung des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH.
Ruth Fritschi ist Kindergärtnerin, Präsidentin der LCH-Stufenkommission 4bis8 und Mitglied der Geschäftsleitung des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH.