Einer krank, alle krank …
Kindergartenkinder werden häufig von Virenerregern heimgesucht. – Weshalb? Wie kann man sich als Familie dagegen wappnen?
Dabei ist die letzte Erkältungswelle doch gerade erst durch die Familie geschwappt.
Noch ist Sommerzeit, und wer Kinder hat, der betet drum, dass die warme Jahreszeit noch möglichst lange andauert, bitteschön. Denn den Herbst und Winter mögen wir nicht: Es ist die Zeit der Krankenstandsmeldungen. «Wir haben grad Magen-Darm, und ihr?», ist in diesen Wochen ein beliebter Gesprächseinstieg.
Die tatsächliche Gruppengrösse in Kindergärten und Horten schwankt enorm und erreicht im Januar ihr Jahrestief. Auf der Arbeit meldet sich jede Woche ein anderer Vater oder eine andere Mutter krank.
Sind die Jahre mit Kindern ein einziger Staffellauf der Infektionskrankheiten?
«Das Immunsystem der Kinder muss erst noch trainieren»
Kinderarzt Rolf Temperli
Der 59-Jährige ist Vorstandsmitglied im Berufsverband Kinderärzte Schweiz, hält Vorträge und bildet Kinderärzte und Medizinstudenten aus. Seine jahrzehntelange Praxiserfahrung deckt sich mit den Erkenntnissen aktueller Fachbücher: «Sechs bis acht Infekte pro Jahr sind völlig normal», sagt er. «Es ist auch nicht aussergewöhnlich, wenn ein Kleinkind im gleichen Monat sogar zweimal an einem Luftwegsinfekt erkrankt.»
Zu diesem Ergebnis kamen auch Philipp Latzin und seine Kollegen, die für die Swiss Pediatric Respiratory Research Group Eltern von Säuglingen im ersten Jahr über die Krankheitssymptome ihrer Kinder befragten. Einige Kinde wiesen bis zu 23 Wochen Erkältungssymptome auf.
Wann schlagen die Erreger zu?
Nach einem halben Jahr lässt dieser Nestschutz aber nach. Dann müssen sich Kinder selbst mit ihrer Umwelt und den Keimen und Erregern auseinandersetzen. Dieses Trainingslager für Abwehrkräfte dauert einige Jahre, bis das Immunsystem mit etwa fünf Jahren recht stabil ist.
Sich mit der Umwelt auseinandersetzen – das bedeutet für immer mehr Kinder in der Schweiz: Betreuung im Kindergarten, Hort oder bei Tageseltern. Mittlerweile sind laut dem Bundesamt für Statistik über 60 Prozent der Kinder zwischen 0 und 12 Jahren in einer familienergänzenden Kinderbetreuung. Aus Sicht der Krankheitserreger ist das eine grossartige Entwicklung. Die laben sich am Rotznasen-Komplex: Viele unfertige Immunsysteme tauschen ungehemmt Keime aus.
Weshalb stecken sich auch Eltern an?
Zunächst ist der Kontakt mit den eigenen Kindern naturgemäss innig. Wenn das Kind heult, wäscht man ihm nicht erst Hände und Gesicht mit Seife, bevor man es auf den Arm nimmt. Ausserdem gibt es eine Unmenge von Erregern – selbst geübte Immunsysteme müssen da gelegentlich passen. «Es gibt so viele Viren, die akute Atemwegserkrankungen auslösen», sagt Osamah Hamouda, Leiter der Abteilung Infektionsepidemiologie am Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin. Allein vom Rhinovirus, das Erkältungen auslöst, kennt er über 100 Varianten. Das Risiko, dass ein Kind einen für die Familie neuen Erreger nach Hause bringt, ist also relativ hoch. Hamoudas Fazit: «Gegen Erkältungsviren entwickelt man keine lebenslange Immunität.»
Familien als Keimzellen der Gesellschaft
Nun mögen sich Eltern von diesem Argument nicht überzeugen lassen, ihre Kinder gegen die Grippe zu impfen. Aber wenn das Infektszenario so unausweichlich ist, wäre es dann nicht gesünder für alle, die Kinder einfach zu Hause zu betreuen, bis sie fünf Jahre alt sind und ihr Immunpanzer stabil ist? Trugschluss, sagen Kinderärzte und Gesundheitsforscher. Studien legen nahe, dass der frühe Infektmarathon in Krippe und Kindergarten das beste Training fürs Immunsystem ist.
Frühe Infekte, spätere Stabilität?
Seit den 1990erJahren weiss man: Kinder, die im ersten Lebensjahr mindestens zwei Infektionen mitmachen, erkranken später nur halb so häufig an Asthma wie Kinder, die keine Virusinfekte hatten. Wichtig dabei ist: Das gilt für letztlich harmlose Infekte, die nach einigen Tagen überstanden sind. Kinder können bleibende Schäden davon tragen, wenn sie gefährliche Krankheiten wie Masern oder Röteln durchmachen, für die Impfempfehlungen bestehen.
Auch die Eltern trainieren ihr Immunsystem.
Und auch den Kindern geht es jüngsten Untersuchungen zufolge allgemein gut. Den Gesundheitszustand ihrer 3 bis 17-jährigen Kinder beschreiben 94 Prozent der Eltern als «sehr gut» oder «gut». Zu diesem Ergebnis kommt eine der grössten Datensammlungen zur Kindergesundheit, die Kinder und Jugendgesundheitsstudie KiGGS des Berliner RKI.
Welche präventive Handlungen gibt es?
Wer also nicht nur tatenlos Bettwache halten will, kann auch etwas tun – mit drei üblichen Handlungsempfehlungen fürs Vorfeld: Stressabbau, ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung.
Zur Autorin:
In den Dreck – und Hände waschen!
Diese Gemeinschaft von nützlichen Bakterien lebt in und auf unserem Körper und ist wichtig für unsere Gesundheit. In frühester Kindheit rekrutieren wir dafür die Organismen aus unserer Umgebung. Bakteriologen glauben: Je vielfältiger diese sind, desto robuster ist am Ende auch die Gemeinschaft schützender Begleiter, die uns bei der Abwehr vieler Infektionen hilft.
Und trotzdem: Auch das trainierteste Immunsystem kapituliert zuweilen vor der Vielfalt der Erreger. Besonders Atemwegsinfekte machen uns allwinterlich erneut zu schaffen.
Deshalb ist und bleibt regelmässiges, korrektes Händewaschen das Mittel der Wahl gegen Mini-Epidemien in der Familie. Normale Flüssigseife reicht dafür völlig aus, Desinfektionsmittel oder antibakterielle Seifen sind nicht notwendig.