Mobbing: Alle gegen einen - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Mobbing: Alle gegen einen

Lesedauer: 10 Minuten

Wenn Kinder andere fertigmachen, passiert oft nichts, bis der Notfall eintritt. Die Forschung aber macht deutlich: Wer Mobbing wirksam bekämpfen will, muss eingreifen, bevor es brennt. Soziales Miteinander gelingt nur da, wo Beteiligte konstant daran arbeiten.  Was bedeutet das für die Schule, für Lehrpersonen und Eltern?

Text: Virginia Nolan
Bild: iStockphoto

In meinen ersten Primarschuljahren war ich Teil eines Trios: drei Mädchen, die ihre Schulpausen und jeden freien Nachmittag zusammen verbrachten. Wir waren ein eingeschworenes Team – meistens. Manchmal aber geriet Sand ins Getriebe, dann machten wir der Binsenweisheit, dass drei einer zu viel sind, alle Ehre: Eine wurde ausgeschlossen. An die Male, da es mich getroffen hatte, erinnere ich mich gut: an die Pausen, in denen ich nicht mitspielen durfte, an die Verzweiflung, als nach dem Schwimmunterricht meine Kleider weg waren und nicht einmal die Unterhose übrig geblieben war. 

Bild: Angela Waye/Stocksy
Bild: Angela Waye/Stocksy
Ich weiss nicht mehr, was die Dinge jeweils wieder ins Lot brachte, jedenfalls war der Spuk in der Regel nach ein paar Tagen vorbei. Aber was in meinem Fall eine unglückliche Episode war, wird für manche Kinder zum Dauerzustand – weil sie Opfer von Mobbing sind. Vor 20 Jahren kannte den Begriff praktisch niemand, heute ist er ein Schlagwort. «Wir haben ein starkes Bewusstsein für die Problematik», sagt Eveline Gutzwiller-Helfen­finger, eine der führenden Schweizer Mobbingforscherinnen und zurzeit Gastprofessorin am Interdisziplinären Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung der Universität Duisburg-Essen. «Frühere Generationen sahen es als normal an, dass Kinder einander plagten. Man glaubte, das härte ab. Heute herrscht glücklicherweise ein anderer Konsens.» Dennoch falle der Begriff Mobbing oft vorschnell und daher im falschen Kontext. Für die Opfer sei das fatal, sagt die Expertin: «Um sie schützen zu können, müssen Erwachsene wissen, was Mobbing überhaupt ist.» Eltern und Lehrpersonen sollten demnach zunächst ihren Blick für das Problem und die damit verbundene Dynamik schärfen, um zu einem fairen Miteinander unter Kindern beitragen zu können.

Was Streit von Mobbing ­unterscheidet

Was also ist unter Mobbing zu verstehen? Mein Ausschluss aus besagtem Dreierverbund zählt sicher nicht dazu: Es traf mich höchstens gelegentlich und – auch das ist entscheidend – nicht ich allein geriet unter die Räder, die Piesackerei erfolgte ja sozusagen im Turnus. «Mobbing hingegen bezeichnet ein gezielt aggressives Verhalten, das sich systematisch und wiederholt gegen ein bestimmtes Kind richtet, und das über mindestens mehrere Wochen hinweg», sagt Gutzwiller-Helfenfinger.

Doch sei nicht jedes aggressive Verhalten, das wiederholt auftrete, auch als Mobbing einzustufen: «Wenn beispielsweise ein Kind immer wieder wahllos Mitschüler drangsaliert, handelt es sich nicht um Mobbing. Mobbing ist ein Gruppenphänomen, und bezeichnend dafür ist ein Machtungleichgewicht. Meist mobben ein paar Kinder zusammen auf Geheiss eines Anführers ein unterlegenes Kind, das kaum Chancen hat, sich zu wehren.»

Die Stimmung in der Klasse von Hase und Biber spitzt sich zu. Was anfangs noch wie ein harmloser Streich aussah, entpuppt sich als Mobbing. Die dritte Episode der Serie «Gemeinsam sind wir Klasse» soll Lehrpersonen unterstützen, Mobbing in der Klasse zu thematisieren. 

Zusammenspiel direkter und ­indirekter Aggressionen

Demgegenüber stellten Konflikte Auseinandersetzungen mit vergleichsweise ebenbürtigen Beteiligten dar. Von einem Konflikt sei etwa die Rede, wenn sich Kindergärtler um die Schaufel zankten oder in der Jugendclique ein Meinungsstreit entbrenne. «Bei Konflikten geht es um gegensätzliche Ansichten oder Ziele; meist steht eine Sache im Vordergrund», sagt Gutzwiller-Helfenfinger. Streit und Konflikte seien ein wichtiger Bestandteil der sozialen Entwicklung, weil Kinder durch sie lernten, Lösungen auszuhandeln und Kompromisse zu finden. «Mobbing aber bietet keine Lernchancen», sagt Gutzwiller-Helfenfinger, «sondern beeinträchtigt die gesunde Entwicklung aller Beteiligten.» So leiden Opfer langfristig häufig unter Angstzuständen, depressiven Stimmungen oder Suizidalität, Täter haben Forschern Zufolge ein erhöhtes Risiko für späteren Drogenmissbrauch und Gesetzesbruch. Und: Die Gefahr, von Schulabbruch, Depressivität oder Alkoholmissbrauch betroffen zu sein, erhöht sich selbst für unbeteiligte Zeugen des Geschehens.

Die Gefahr von Depressivität, Alkoholmissbrauch oder Schulabbruch erhöht sich selbst für unbeteiligte ­Zeugen von Mobbing.

Wenn Mobber ihre Opfer schlagen, beschimpfen oder ihre Sachen beschädigen, ist von direktem ­Mobbing die Rede: Hier wird klar deutlich, wer wen fertigmacht. Schwieriger erkennbar ist indirektes Mobbing, bei dem Täter eine offene Konfrontation vermeiden. Die Augen verdrehen, wenn sich das Opfer zu Wort meldet, ihm «zufällig» das Bein in den Weg stellen, es aus der Gruppe ausschlies­sen oder Gerüchte verbreiten – das sind typische Formen indirekten Mobbings. «Diese Handlungen können Täter zu ihren Gunsten umdeuten», sagt Gutzwiller-Helfenfinger. «Werden sie zur Rede gestellt, tun sie beispielsweise die bösen Gerüchte als Witz ab oder stellen grobes Anrempeln als Versehen dar.» Mobbing sei in der Regel ein Zusammenspiel direkter und indirekter Aggressionen: «Daher sollten Lehrpersonen auch scheinbar harmlose Vorkommnisse ernst nehmen, wenn sie immer dasselbe Kind betreffen.» Direkte und indirekte Mobbingformen treten auch im Internet auf, das der Wissenschaft vor gut 15 Jahren einen neuen ­Forschungsgegenstand bescherte: Cybermobbing.
Bild: Getty Images
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Wie viele Kinder und Jugendliche sind von Mobbing betroffen? «Wissenschaftliche Daten dazu sind nicht frei von Unstimmigkeiten», mahnt Gutzwiller-Helfenfinger. «Der Grund dafür sind beispielsweise unterschiedliche Messinstrumente, Auskunftspersonen oder Definitionen von Mobbing.» Zahlen seien daher mit Vorsicht zu geniessen. Aufgrund der internationalen Datenlage gehe man davon aus, dass rund 20 bis 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Mobbing involviert seien, so die Forscherin. Zu den meistbeachteten Studien gehört in diesem Zusammenhang eine Untersuchung von 2005/2006 mit über 20’000 Jugendlichen aus 44 Ländern. Ihr zufolge treten rund 11 Prozent der Befragten als Mobber in Erscheinung und rund 13 Prozent als Opfer, wobei Buben (14 Prozent) etwas häufiger Opfer werden als Mädchen (11 Prozent).  «Das deckt sich mit Befunden aus unzähligen Einzelstudien», sagt Gutzwiller-Helfenfinger. «Insgesamt zeigt sich, dass es mehr Opfer als Täter gibt und dass Jungen häufiger Opfer sind als Mädchen.»

Anfangs habe sich die Forschung vor allem auf die Beziehung zwischen Täter und Opfer konzentriert, heute wisse man, dass diese Sicht zu kurz greife, sagt Gutzwiller-Helfenfinger: «Mobbing ist eine Gewaltform, die normalerweise in der Gruppe entsteht, von dieser aufrechterhalten und auch vertuscht wird.» Das Problem betreffe also stets die ganze Gruppe oder Klasse, denn jedes Kind nehme innerhalb des Geschehens seine Rolle ein. Direkt beteiligt seien Opfer, Täter sowie Mitläufer, die das betroffene Kind mitplagten oder als Verstärker agierten, indem sie etwa über die Attacken lachten. Die grösste Teilgruppe sei die der indirekt Beteiligten: Zeugen, die passiv zuschauten oder das Weite suchten, sowie ­Helfer, die sich für das Opfer einsetzten. «Letzteres kommt allerdings eher selten vor», sagt Gutzwiller-Helfenfinger.

Typisch ist das Schweigen ­aller Beteiligten: Mobber verheimlichen ihre Taten, Opfer fürchten Ablehnung.

Mobbing ist, wenn es einmal Fahrt aufgenommen hat, schwer zu stoppen. «Die Beteiligten sind in ihrer Rolle mehr und mehr gefangen», sagt Gutzwiller-Helfenfinger, «auch die Mobber. Durch die Rückmeldungen der Mitläufer fühlen sie sich stark. Dafür erwarten ihre Peers aber auch, dass sie für Unterhaltung sorgen.» Derweil habe die schweigende Mehrheit oft Angst, selbst zum Opfer zu werden, oder sei schlichtweg überfordert angesichts der Frage, wie das Problem zu lösen sei. «So entsteht in einer Gruppe oder Klasse mit der Zeit ein mobbingfreundliches Klima», sagt Gutzwiller-Helfenfinger, «und irgendwann wird es als normal betrachtet, dass das Opfer fertiggemacht wird. Dann nimmt selbst bei den sogenannt unbeteiligten Zeugen das Gefühl der Betroffenheit ab.»

Diese Warnsignale sollten Eltern ernst nehmen

Typisch für alle Arten von Mobbing ist das Schweigen der Beteiligten. Mobber verheimlichen ihre Missetaten Erwachsenen gegenüber, und aus der Forschung ist seit Langem bekannt, dass Opfer sich aus Angst, nicht ernst genommen oder als Petzen hingestellt zu werden, oft niemandem anvertrauen. «Deshalb ist entscheidend, wachsam zu sein und mögliche Warnsignale als solche zu erkennen», sagt Gutzwiller-Helfenfinger. Obwohl es laut der Expertin keine Symptome gibt, die eindeutig auf Mobbing schliessen lassen, sollten Eltern folgende Warnsignale ernst nehmen:

  • Häufige Klagen über Kopfweh, Bauchweh, Übelkeit, Appetitlosigkeit
  • Schlafstörungen
  • Nachlassende Schulleistungen 
  • Ängstlichkeit und zunehmender Rückzug
  • Verletzungen, blaue Flecken
  • Zerstreutheit und fehlende Konzentration
  • Abwertende Bemerkungen des Kindes über sich selbst
  • Das Kind «verliert» regelmässig persönliche Sachen oder bringt sie beschädigt nach Hause

Machen Eltern sich Sorgen, dass etwas nicht stimmt, steht das Gespräch mit dem Kind an erster Stelle. Wie sollen sie dabei vorgehen? «Am besten nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und das Kind mit dem Verdacht konfrontieren», sagt Wolfgang Kindler. Der ehemalige Gymnasiallehrer ist Autor von mehreren Büchern über Mobbing und berät Schulen. Ratsam sei es, das Gespräch mit alltäglichen Beobachtungen zu beginnen: «Ich stelle fest, dass du in letzter Zeit kaum mehr Anrufe bekommst und öfters bedrückt bist. Ich möchte mit dir darüber reden.» Wenn das Kind abwehre, sollten Eltern keinen Druck aufsetzen und bei nächster Gelegenheit erneut das Gespräch suchen, so Kindler. Öffne sich das Kind, beschränkten Eltern ihre ­Rolle am besten aufs Zuhören und verzichteten auf Ratschläge – vor allem auf den, das Kind solle sich doch wehren. «Die meisten Opfer haben sich gewehrt, allerdings erfolglos», weiss Kindler. «Mit solchen Aussagen schieben Eltern dem Kind indirekt die Schuld für das Problem zu.»

Eltern sollten zuhören und auf Ratschläge verzichten. Vor allem auf den Rat, das Kind solle sich wehren.

Dann könnten Eltern nachfragen: Wann hat es angefangen? Wie viele sind auf der anderen Seite? Gibt es Klassenkameraden, die sich mit dem Kind solidarisieren? Wiederum, so Kindler, gelte es zuzuhören und sich nicht zur Androhung irgendwelcher Massnahmen («Die können was erleben!») hinreissen zu lassen. Auch Dramatisieren («Das macht mich unendlich traurig») sei nicht hilfreich. «Viele Mobbing­opfer wollen die Eltern mit ihrer Situation nicht belasten», weiss Kindler. «Es ist daher wichtig, dass diese nicht zu emotional reagieren, sondern gemeinsam mit dem Kind Handlungsmöglichkeiten entwickeln.» Kindler rät ausserdem davon ab, Täter eigenhändig zur Rede zu stellen oder deren Eltern zu kontaktieren: «Das verschlimmert in aller Regel die Situation des Opfers.»

Die Schule steht in der Pflicht, dass Kinder sich sicher fühlen

«Kinder haben ein Recht darauf, sich an ihrer Schule sicher zu fühlen. Ist dieses Recht gefährdet, muss die Schule handeln», sagt Christian Stalder. Er ist Leiter einer Berufsschule in Graubünden, ehemaliger Schulsozialarbeiter und Gründer der Beratungsstelle mobbing.gr. Vertraue sich das Kind den Eltern an, sollten sie als nächsten Schritt die Lehrperson informieren und deren Einschätzung abholen. Im Gespräch sollten Eltern auf Anschuldigungen gegenüber anderen Kindern verzichten und stattdessen beschreiben, was sie beobachten, etwa: «Mein Kind leidet darunter, wenn es in der Pause nicht mitspielen darf.» Dann müssten sie die entscheidenden Fragen stellen: Was unternimmt die Schule bei Mobbing? Wer kann eine Intervention professionell durchführen? Welches sind die nächsten Schritte zum Schutz des Kindes?
Bild: Ivan Gener/Stocksy
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«Häufig lautet die Antwort seitens der Schule, dass man die Lage beobachten werde», sagt Stalder. «Konkret bedeutet dies: Es gibt keinen Plan.» In diesem Fall rät ­Stalder Eltern, die Schule aufzufordern, ihnen zeitnah Vorschläge für Massnahmen zu unterbreiten. «Bei Mobbing ist es zudem entscheidend, dass eine Fachperson die Intervention begleitet», sagt Stalder. «Sonst kann der Schuss nach hinten losgehen.» Werde das Opfer beispielsweise vor versammelter Klasse öffentlich bedauert, laufe es Gefahr, als Petze hingestellt und bestraft zu werden.
Es gibt verschiedene Konzepte gegen Mobbing an Schulen. Die meisten sind auf Prävention ausgerichtet, Programme mit dem Ziel, akute Fälle zu beenden, sind rar. Und ihr Erfolg ist bescheiden, wenn die Schule erst bei Handlungsbedarf reagiert und kein Konzept hat, das Mobbing auf mehreren Ebenen entgegenwirkt, so Stalder. «Eine negative Gruppendynamik, die sich über Monate hinweg ungehindert verfestigt hat, lässt sich vor allem auf höheren Schulstufen kaum mehr aufbrechen», so Stalder. «Dann ist der Glaube, die Klasse sei zu Lösungsbeiträgen bereit, eine Illusion. Man muss eingreifen, bevor es brennt.»

An den Schulen fehlen Wissen, Ansprechpersonen und Konzepte

«Oft passiert nichts, bis der Notfall eintrifft», weiss Forscherin Gutzwiller-Helfenfinger aus ihrer Zusammenarbeit mit Schulen und Lehrpersonen. «Dann kommt es zu Feuerwehrübungen, der Täter geht vielleicht ins Timeout, das Opfer auf eine andere Schule. Das zeigt, dass es den Schulen an Wissen, Ansprechpersonen und Konzepten mangelt.» Ein Hauptgrund für diesen Missstand sei die Tatsache, dass für Schweizer Schulen keine verpflichtenden Präventionsprogramme existierten. In Finnland etwa würden diese sogar staatlich verordnet. «Hierzulande lässt man die Schulen mit dem Problem weitgehend allein», sagt Gutzwiller-Helfenfinger. So griffen diese das Thema meist erst dann auf, wenn der Handlungsbedarf akut sei, oder betrachteten es als Sache der Lehrpersonen, etwas zu unternehmen. Das führe zu Verunsicherung: «Viele Lehrpersonen haben Angst, sich bei Turbulenzen ans Kollegium zu wenden. Man will nicht als derjenige mit der Problemklasse gelten.»

Ganzjähriges Programm mit hoher Wirksamkeit

Ein Blick über die Grenze zeigt, wie es besser geht: Das deutsche Bundesland Baden-Württemberg startete 2015 mit dem Olweus-Programm, benannt nach dem norwegischen Psychologen Dan Olweus, der es in den 1980er-Jahren entwickelte. Studien bescheinigen Olweus eine hohe Wirksamkeit: In Ländern wie Norwegen, Schweden oder den USA konnte das Programm Mobbingfälle an Schulen um bis zu 50 Prozent reduzieren. Ein grundlegender Unterschied zwischen Olweus’ und anderen Ansätzen ist, dass die ­Auseinandersetzung mit sozialen Themen während des gesamten Schuljahres stattfindet. Im Zentrum stehen folgende Grundsätze:

  • Erwachsene, sowohl Lehrkräfte als auch Eltern, nehmen am Leben der Kinder teil und greifen ein, wenn sie merken, dass etwas nicht stimmt.
  • Schüler und Lehrpersonen handeln gemeinsam Verhaltensregeln aus und überlegen sich, wie bei Verstössen gegen diese vorzugehen ist.
  • Schüler und Lehrpersonen definieren gemeinsam Konsequenzen, die bei einem Verstoss gegen die Verhaltensregeln auch eintreten.
  • Die Schüler werden ermutigt, aufeinander zu achten und Bescheid zu geben, wenn etwas passiert, das nicht mit den Abmachungen übereinstimmt.
Anlaufstellen

Bild: Getty Images
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In Baden-Württemberg überprüft ein Forscherteam vom Universitätsklinikum Heidelberg das Programm auf seine Wirksamkeit hin. «Die bislang erhobenen Daten von knapp 6000 Schülern zeigen eine deutliche Reduktion von Mobbing sowohl auf Opfer- als auch auf Täterseite», fasst Franz Resch vom Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie zusammen. «Betroffene Schüler berichten, dass sie sich häufiger anvertraut haben, auch der Anteil der Langzeitfälle, in denen das Mobbing seit mindestens einem Jahr andauert, geht zurück.» Schulen, die am Programm teilnehmen, erhalten während 18 Monaten umfangreiche Unterstützung bei der Umsetzung. Das Lehrerkollegium, Schulsozialarbeiter, alle Kinder und selbst deren Eltern werden stufenweise miteinbezogen.

Viele Lehrpersonen haben Angst, sich ans Kollegium zu wenden. Man will nicht als derjenige mit der Problemklasse gelten.

In der Schweiz existieren derzeit keine vergleichbaren Bemühungen. Material ist jedoch vorhanden – beispielsweise von Françoise Alsaker, die zum Forscherteam um Olweus gehörte und in Anlehnung an dessen Ansatz ihr Mobbingpräventionsprogramm Be-Prox entwickelte, das an der Universität Bern wissenschaftlich evaluiert wurde. Es enthält umfangreiche Praxistipps, die Lehrpersonen im Alltag umsetzen können. «Mobbing ist kein Problem, das nur Experten lösen können», ist die Forscherin überzeugt. «Was es braucht, ist eine klare Haltung dagegen.»
Glück weiss der Lehrer, Herr Dachs, Rat. Mit Hilfe des No-Blame-Approaches und der Klasse hilft er das Mobbing aufzulösen, ohne einem Schüler die Schuld zuzuschieben. Wie das funktioniert, zeigt das Video.
Literatur und Tipps

Für Lehrpersonen:

  • Françoise D. Alsaker: Mutig gegen Mobbing in Kindergarten und Schule. Hogrefe, zweite unveränderte Auflage 2016, 272 Seiten, ca. 33 Fr.
  • Mobbing auflösen in der Klasse: Der «No Blame Approach» ist ein lösungsorientierter Ansatz, der auf Schuldzuweisungen und Bestrafung verzichtet. Das Programm erfolgt in drei Schritten, die innerhalb von 14 Tagen durchgeführt werden. Im Zentrum steht nicht die Rekonstruktion der Taten, sondern die Lösung des Problems, für die Mitschüler der Klasse einbezogen werden. Anleitungen und Videos dazu finden Lehrpersonen auf www.fritzundfraenzi.ch
    Hintergrundinformationen gibt es ausserdem unter: www.no-blame-approach.de

Für Lehrpersonen und Eltern:

  • Schweizerische Kriminalprävention (SKP): Cybermobbing. Alles, was Recht ist. Informationen zum Thema Cybermobbing und dessen rechtlichen Rahmenbedingungen. SKP, zweite Auflage 2017. Download unter:www.skppsc.ch/de/themen/internet/cybermobbing

Virginia Nolan
ist Redaktorin, Bücherwurm und Wasserratte. Sie liebt gute Gesellschaft, feines Essen, Tiere und das Mittelmeer. Die Mutter einer Tochter im Primarschulalter lebt mit ihrer Familie im Zürcher Oberland.

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