«Ein Austauschjahr ist eine Riesenchance»

Bilder: Samuel Trümpy / 13 Photo
Als Teenager ein Jahr im Ausland verbringen, den Alltag in einem fremden Land kennenlernen, internationale Freundschaften schliessen und in eine andere Kultur eintauchen: Das ist der Traum vieler Jugendlicher. Warum Eltern alles daran setzen sollten, ihn wahr werden zu lassen.
Ein Jahr im Ausland zur Schule gehen – davon träumen viele Jugendliche. Doch: Wann ist der beste Zeitpunkt? Welches Land ist das richtige? Wie organisiert man ein Austauschjahr? Und was, wenn es in der Gastfamilie nicht stimmt? Eines vorweg: «Austauschjahr», dieser Begriff passt eigentlich nicht mehr ganz. Er stammt aus der Nachkriegszeit, als junge Menschen als die besten Vermittler zwischen verschiedenen Kulturen betrachtet wurden und zwei Familien in unterschiedlichen Ländern für eine gewisse Zeit ihre Jugendlichen gegenseitig austauschten. «Heute tausche ich meine Erfahrung gegen die Erfahrung einer anderen, neuen Kultur», sagt Guido Frey, Geschäftsleiter der Dachorganisation zur Förderung von Jugendaustausch Intermundo.
Welche Programme stehen zur Auswahl?
Am häufigsten gehen Gymnasiasten in ein Austauschjahr. «Der ideale Zeitpunkt ist in der 4. Klasse des Langzeitgymnasiums beziehungsweise in der 2. Klasse des Kurzzeitgymnasiums, wenn die Jugendlichen 16 oder 17 Jahre alt sind», sagt Kurt Büchler, Prorektor und Ressortverantwortlicher Schüleraustausch an der Alten Kantonsschule Aarau. Auch während der Berufslehre ist ein Auslandsjahr möglich, allerdings wird die Lehre unterbrochen und der Lernende muss nach seiner Rückkehr dort weiterfahren, wo er aufgehört hat. Möglich ist auch ein Zwischenjahr nach der Volksschule. «Hier rate ich, vorher bereits eine Lehrstelle zu haben», sagt Guido Frey. Sonst bestehe die Gefahr, dass der Jugendliche nach der Rückkehr keinen Ausbildungsplatz findet. Wichtig ist auch, das Austauschjahr mit dem künftigen Lehrmeister zu besprechen. «Viele Unternehmen begrüssen einen Auslandsaufenthalt, da der Lernende mit einem Rucksack voller Erfahrungen und neuen Sprachkenntnissen zurückkommt.»

Was sind die Voraussetzungen für ein Austauschjahr?
Äussert ein Jugendlicher in der Kantonsschule den Wunsch, einen Auslandaufenthalt zu machen, kann er sich an die verantwortliche Lehrperson zum Thema Schüleraustausch an seiner Schule wenden. An Kurt Büchlers Kantonsschule in Aarau findet beispielsweise bereits im August, also im ersten Jahr an der «Kanti», eine erste Infoveranstaltung statt. Dort stellen sich verschiedene Anbieter vor. Der Prorektor rät, mit einer nichtkommerziellen Organisation zusammenzuarbeiten. «Kommerzielle Anbieter bezahlen etwa ihre Gastfamilien. Deshalb steckt da neben dem kulturellen Austausch auch ein wirtschaftliches Interesse dahinter.» Intermundo arbeitet ausschliesslich mit nichtkommerziellen Anbietern zusammen.
Oft ist die bestandene Promotion Voraussetzung, um in ein Austauschjahr gehen zu können.
«Die Mehrheit überspringt das Jahr, die Lernenden müssen aber den verpassten Stoff selbständig aufarbeiten. Manche tun dies bereits während des Auslandsaufenthalts», sagt Kurt Büchler. «Die High Schools in den USA haben weit geringere schulische Anforderungen, weshalb dafür oft Zeit bleibt.» Manche Kantonsschulen bieten zudem in den Herbstferien Stütz und Brückenkurse für die heimgekehrten Austauschschülerinnen und -schüler an.
Hat man eine passende Organisation ausgewählt, findet eine Art Bewerbungsverfahren statt. «Wichtig ist, dass der Lernende ein möglichst solides und präzises Motivationsschreiben verfasst, das gut dokumentiert ist. Zeugnisse und Referenz des Klassenlehrers gehören auch dazu», sagt Kurt Büchler. Schliesslich schaut die Austauschorganisation zusammen mit dem Jugendlichen, welche Länder infrage kommen, und sucht nach einer passenden Gastfamilie und Schule. Es findet ein Vorbereitungswochenende statt, in dem die Austauschwilligen nützliche Informationen erhalten und auf ihr Jahr im Ausland und in der fremden Kultur vorbereitet werden.
Wohin soll es ins Austauschjahr gehen?
Die beliebtesten Destinationen sind englischsprachige Länder. Auch exotische Ziele wie China oder ein südamerikanisches Land können sehr spannend sein. Häufig sind Aufenthalte auf dem Land erlebnisreicher als etwa in einer Grossstadt. «Die Jugendlichen sind auf dem Land Exoten, jeder will sich mit ihnen treffen. Zudem tauchen sie in ländlichen Gegenden viel tiefer in die lokale Kultur ein», sagt Guido Frey. Günstig sei ein Austauschjahr nicht: Je nach Land kostet gemäss Frey ein einjähriger Aufenthalt zwischen 15 000 bis 24 000 Franken. Die Angaben variieren je nach Anbieter.
«Am Anfang ist alles faszinierend, nach zwei bis drei Monaten folgt meist eine Phase der Langeweile.»
Guido Frey, Geschäftsleiter der Dachorganisation zur Förderung von Jugendaustausch Intermundo.
Manchmal rutschen die Austauschschüler auch in eine Krise. Dann sei eine gute Begleitung entscheidend. «Die Organisation in der Schweiz arbeitet mit einer Austauschorganisation vor Ort zusammen», so Guido Frey, «und ein Mitarbeiter vor Ort kümmert sich um den Teenager.» Der Wendepunkt kommt oft nach einem halben Jahr, wie bei Anne. Dann sprechen die Teenager die Sprache gut, haben erste Freundschaften geschlossen und kennen sich im neuen Umfeld aus.
Elterliche Zurückhaltung gefragt
Dies bestätigt Lars Reinfried: «Während meiner Zeit in England hatte ich wenig Kontakt mit der Schweiz. Meine Eltern wollten dauernd wissen, wie es mir geht. Aber mir war es wichtig, im neuen Umfeld Erfahrungen zu sammeln und nicht dauernd an zu Hause erinnert zu werden. Deshalb ging dann auch die Beziehung zu meiner damaligen Freundin bald zu Ende. Ich hatte keine Zeit für Heimweh und solche Sachen.» Eltern von Austauschschülern müssen in der Regel auch ein Dokument unterschreiben, in dem sie gewisse Rechte und einen Teil ihrer Verantwortung an die Gasteltern abgeben, etwa, wenn es um medizinische Notfälle geht.
Natürlich treten da und dort auch alterstypische Probleme auf: Alkoholexzesse, exzessiver Ausgang, disziplinarische Probleme, Schwierigkeiten mit der Gastfamilie oder der Schule. Grundsätzlich gilt: Die Austauschschüler müssen sich an gewisse Regeln halten. Jeden Abend bis Mitternacht in den Ausgang zu gehen, ist tabu. Alleine im Land herumreisen ist ebenfalls untersagt. Je nachdem kann ein Schüler auch nach Hause geschickt werden. Und wenn es mit der Familie im Ausland nicht passt, sorgen Personen vor Ort für eine neue Lösung. «Sie helfen, eine andere Familie zu finden, wenn es nicht mehr geht», sagt Guido Frey. Nur ganz selten kommt es zu einem Abbruch des Austauschjahres, etwa, weil das Heimweh zu gross ist. «Das kann vorkommen, ist aber häufig mit einer grossen Enttäuschung verbunden.» Ganz ausschliessen könne man das aber nie.
Irritationen nach der Rückkehr in die Heimat?
Gerade in der Zeit der Pubertät kann ein Auslandsjahr eine heilsame Erfahrung sein.

Die fünf wichtigsten Punkte:
- Sich rund ein Jahr vor Abreise informieren: über die Schule und über Intermundo, Dachorganisation zur Förderung von Jugendaustausch
- Kosten abklären (Stipendien)
- Bestes Alter: 16 bis 17 Jahre
- Wer kann gehen? Kantonsschüler, Lehrlinge, Jugendliche im Zwischenjahr nach der Schule
- Ein Austauschjahr ist nicht nur etwas für die stärksten Schülerinnen und Schüler