Die Welt ein klitzekleines bisschen besser machen - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Die Welt ein klitzekleines bisschen besser machen

Lesedauer: 2 Minuten

Unsere Kolumnistin Michèle Binswanger weiss nicht, was sie ihren Teenagern zum aktuellen Weltgeschehen sagen soll. Trost findet sie in kleinen Gesten.

Text: Michèle Binswanger
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Wie sehr bemüht man sich doch als Mutter, den Kindern ein Nest, eine heile Welt zu bieten. Ja, in Büchern und Filmen gibt es Bösewichte, aber hier ist alles gut, du bist in Sicherheit – erklärt man ihnen, wenn sie sich nachts an einen kuscheln. Sie sollen in Frieden und Glück aufwachsen, von allem anderen werden sie noch früh genug erfahren, so sagt man sich. Hoffentlich dann, wenn sie dafür gross genug sind.

Aber ist man das jemals? Mit vielem kann man umgehen – aber manchmal scheint es einfach zu viel zu sein. Würde man sich nicht auch als Erwachsener manchmal am liebsten von der brutalen Realität des Weltgeschehens abschotten und sein kleines, unbedeutendes Leben in Frieden leben? Zum Beispiel dann, wenn die Welt nur noch aus Katastrophen zu bestehen scheint, wie jetzt?

Teenager müssen ihre Antworten selber finden. Man kann sie nicht um die Wirklichkeit betrügen.

Meine Kinder sind nicht mehr klein. Aber ich weiss momentan auch nicht, was ich ihnen zum Weltgeschehen sagen soll. Eben noch hatten wir die Pandemie, und kaum ist sie fertig, kommt der Angriffskrieg eines wahnsinnigen Despoten, hier in Europa. Die Welt ist über Nacht eine andere geworden – und unsere Kinder werden in dieser Welt leben müssen. Das überfordert mich.  

Wie damit umgehen? Ich habe mit einer Traumatherapeutin darüber gesprochen. Man solle Kindern altersgerecht erklären, was in der Welt gerade vorgehe, sagte sie. Ohne zu beschönigen, aber auch ohne die Kinder mit eigenen Ängsten zu befrachten. Leichter gesagt als getan.

Bei kleineren Kindern ist es einfacher. Ihnen kann man erklären, dass ein böser Mann ein anderes Land überfallen hat. Man kann ihnen sagen, dass sie hier in Sicherheit sind, dass Mama schon schaut, dass ihnen nichts passiert. 

Bei Teenagern geht das nicht mehr. Sie wissen, dass weder Mama noch sonst irgendwer diese Situation im Griff hat. Da kann ich lange versuchen, Ruhe und Zuversicht auszustrahlen. Die Wahrheit ist, dass ich nicht weiss, wie ich mit der Situation umgehen soll. Teenager müssen ihre Antworten selber finden. Man kann sie nicht um die Wirklichkeit betrügen.

Etwas zu tun hilft, sich weniger schlecht zu fühlen.

Auch das sprichwörtliche schlechte Gewissen, mit dem beinahe jede Mutter kämpft, und das ich eigentlich hinter mir gelassen glaubte, meldet sich nun zurück. Es taucht wieder auf als eine Art Scham. Scham für die Welt, in die ich meine Kinder gestellt habe, voller Kriege, Gewalt und Lügen. Als wären Klimakrise und Pandemie nicht genug.

Man möchte, dass die Welt wunderbar, friedvoll und heil ist, und tut alles, das seinen Kindern zu vermitteln. Und nun sehen sie mit ihren eigenen Augen, dass Tod und Leiden nie aufhören. Diese Entzauberung ist schmerzvoll. Besonders in einer Situation wie jetzt. 

Man kann nicht viel dagegen tun, aber ein bisschen etwas schon, das versuche ich meinen Kindern zu vermitteln. Und etwas zu tun hilft, sich weniger schlecht zu fühlen. «Wenn ihr Frieden wollt, dann müsst ihr Frieden sein», sagt der buddhistische Mönch und Schriftsteller Thich Nhat Hanh. Es ist ein Satz, mit dem man arbeiten kann.

Auch kleine Gesten helfen, etwas spenden zum Beispiel, für Frieden demonstrieren, Gemeinschaft suchen. Das mögen nur kleine Tropfen in einem Ozean sein, aber sie lindern den Schmerz. Und sie helfen, die Welt ein klitzekleines bisschen besser zu machen.

Michèle Binswanger
Die studierte Philosophin ist Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel.

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