Wie Gleichberechtigung in der Partnerschaft gelingt
Bild: Die Autorin und ihr Partner, zVg
Julia Ryssel hat gleichzeitig eine Firma und eine Familie gegründet. Ihr Geheimnis: eine gleichberechtigte Partnerschaft. Sie hat einen spannenden Ansatz gefunden, wie man die Arbeit so aufteilt, dass man auch mal entspannen kann.
Nicht Aufgaben verteilen, sondern Verantwortung!
Die Antwort liegt für mich auf der Hand, denn unterstützen kann man nicht auf Augenhöhe. Unterstützen kann man nur jemanden, der die Verantwortung trägt. Und genau das ist der Punkt: die Verantwortung.
Selbst wenn man als Paar Aufgaben gut aufteilt, fühlt sich die Frau traditionsgemäß trotzdem für Haushalt und Kinderbetreuung verantwortlich. Und Verantwortung belastet und stresst uns. Verantwortung heisst den Überblick zu bewahren, ständig alles im Blick haben, an alles zu denken, Augen und Ohren offen zu halten, Feedback anzunehmen, Situationen zu reflektieren … nicht abschalten.
Und im Hinterkopf dieses leise Flüstern, das sagt: «Eigentlich ist das deine Aufgabe.»
1. Bilanz ziehen: Wer fühlt sich für was verantwortlich?
Er: Auto (Reparaturen, Versicherung, Reifenwechsel, etc.)
Ich: Deko in der Wohnung, Geschenke für Freunde und Familie
Er: Geschirrspüler, Sauberkeit Wohnung
Ich: Unternehmungen, Ausflüge, Treffen mit Freunden
Das heisst nicht, dass ich nicht auch mal die Reifen vom Auto gewechselt habe (um mir selbst zu beweisen, dass ich es kann). Aber ich habe mir keine Gedanken gemacht, wie abgefahren das Profil ist, ob wir beim nächsten Wechsel neue Reifen brauchen und wenn wir neue brauchen, welche wir kaufen, usw.
2. Bewerten: Gefällt uns diese Aufteilung? Was möchten wir ändern?
Mit der Geburt unserer Tochter sahen wir viele neue Aufgaben auf uns zu kommen, die wir gemeinsam bewältigen wollten. Nach der traditionellen Rollenverteilung läge die Verantwortung für unser Kind bei mir. Allerdings würde dies unserer Vorstellung einer gleichgestellten Beziehung widersprechen. Also haben wir die Aufgaben in Verantwortungsbereiche sortiert und zwischen uns aufgeteilt. Das gibt die Chance die Bereiche so aufzuteilen, wie es jedem Spaß macht und daher auch leicht fällt.
Bei uns sieht das so aus.
Er: Arzttermine, Transport (Kinderwagen, Babytrage, Autositz, …)
Ich: Ernährung, Klamotten
Im Alltag merke ich, welch grossen Unterschied es macht, dass wir nicht die Aufgaben, sondern die Verantwortungen aufgeteilt haben.
Ich erkäre das mal mit dem Beispiel Kinderarzt:
Die Aufgabe abgeben, würde bedeuten, ich sage ihm: «Bitte geh am 3. März um 11:30 Uhr zum Arzt zur Routineuntersuchung. Die Chipkarte leg ich dir raus. Frag bitte nach dem Pickel am Bauch.»
Die Verantwortung abgeben, heisst, dass er mich fragt: «Du, ich hab demnächst einen Termin für die Routineuntersuchung gemacht und die Kleine hat doch so einen Pickel am Bauch, da frag ich mal nach. Ist dir noch was aufgefallen?»
Verantwortung abgeben ist nicht so einfach
Für mich liegt auch eine Herausforderung in der Konfrontation mit den Erwartungen anderer Frauen. Wenn mich eine andere Mutter fragt, wie unsere Kinderärztin heisst und ich nicht gleich auf den Namen komme, fühle ich mich automatisch schlecht. Und nein, ich habe auch keine App, die mich über Entwicklungsschübe informiert.
Verantwortung heisst nicht, dass man alles alleine machen muss
Ist die Verantwortung zugeteilt, kann man keine Vorwürfe machen, dass der Partner eine Aufgabe «nicht sieht». Der, der verantwortlich ist, erfüllt die Aufgabe oder bittet um Unterstützung. Selbst wenn einer um Unterstützung bittet, muss der andere kein schlechtes Gewissen haben, dass er nicht von selbst auf die Idee gekommen ist.
Nach und nach entsteht ein Vertrauen, dass jeder um Unterstützung fragt, wenn er sie braucht. Und genau das lässt eine unglaubliche Entspannung entstehen.
Ungeklärt läuft es eher so: Einer bringt drei Wochen lang immer wieder den Müll weg und mit jedem Mal, steigt die Frustration, bis sie sich mit Vorwürfen am Partner entlädt, der nicht weiss, wie ihm geschieht. Wenn ich weiss, dass Ordnung und Sauberkeit der Küche in meiner Verantwortung liegt, brauch ich nicht darauf hoffen, dass der Partner den Müll wegbringt, ich kann ihn gleich um Unterstützung bitten, ohne Frustration.
Dieser Text erschien zuerst auf Edition F.
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