Was kann dein Kind besser als alle anderen?
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Wir leben in einer Kultur der permanenten Selbstoptimierung. Dabei sollten wir den Fokus vermehrt darauf verlegen, etwas zu tun, nicht weil wir gut darin sind, sondern weil es uns wichtig ist, schreibt Mikael Krogerus.
Als Kind wollte ich zuerst Eishockeyprofi werden, dann Archäologe, dann Detektiv. Allerdings hatte ich weder eine besonders gute Beobachtungsgabe, noch war ich in Latein eine Leuchte. Schlittschuhlaufen konnte ich auch nicht. Meine Mutter sagte nichts; ich glaube, sie wollte mir nicht das Kostbarste rauben, was ich besass: Illusionen. Es waren halt die 1980er, und man ging davon aus, dass alle Menschen einen Job bekommen, selbst die, die ausser Träumen nichts können.
Ich erinnere mich nicht daran, je mit meiner Mutter über meine Fähigkeiten oder, Gott verbitte, meine Talente gesprochen zu haben. Sie sagte angesichts meiner Berufsvorstellungen bloss: Versuch doch etwas zu finden, was dir Freude bereitet. Was sie meinte, war: Du musst den Shit 45 Jahre lang machen, such dir also etwas, was dir wenigstens ein bisschen Spass macht. Wenn man darüber nachdenkt: ein ziemlich guter Rat.
Alles wird geliked, gerated und benotet. Die Botschaft dahinter lautet: Du bist nie (gut) genug. Du kannst immer an dir arbeiten.
Heute klingt das alles etwas anders. Die Frage «Was machst du gern?» ist abgelöst worden von «Worin bist du gut?». Genauer: «Was kannst du besser als die anderen?» Wir leben in einer Kultur der konstanten Bewertbarkeit. Alles wird geliked und gerated. Überall gibt es Empfehlungen, Evaluationen, Kritik, Kommentare, Abklärungen, Vergleiche.
Unter dem Mathetest meiner Tochter stehen nicht nur ihre Note, der Klassendurchschnitt und ein trauriger Smiley, nein, sie wird auch noch zur Selbsteinschätzung aufgefordert. Wie siehst du dich? Im Vergleich zu den anderen? Und wo im nächsten Jahr?
Geübt wird der Blick auf sich selbst von aussen. Das ist vermutlich gut für den Job, aber ganz sicher schlecht für die Seele. Denn die Botschaft dahinter lautet: Du bist nie (gut) genug. Du kannst immer an dir arbeiten. Genauer: Du darfst nicht nicht an dir arbeiten. Es ist die Sieger-Rhetorik der Exzellenz-Cluster und Talent-Shows, in denen mittelmässiges Abschneiden, unentschlossenes Herumdrucksen oder gar Versagen nicht vorgesehen sind.
Das Streben bedeutet eine ewige Aufrechterhaltung von Leistungsbereitschaft bis in die Mikrophysik unseres Handelns. Denn auf dem Prüfstand stehen ja nicht mehr nur ein Job oder mathematische Grundlagenkenntnisse, sondern wir als Menschen, unsere Identität und unser Sein. Und das Feedback ist die Währung solcher Selbstoptimierung. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich rede hier nicht einer ambitionslosen Mittelmässigkeit oder genügsamen Selbstzufriedenheit das Wort. Ich begrüsse Einsatzwillen, Hartnäckigkeit und Grössenwahn.
Aber das Problem permanenter Bewertung ist noch ein anderes: Was wir unseren Kindern vorleben, ist eine Welt, in der dein Handeln keinen Sinn macht, wenn du nicht in einen Resonanzrahmen eingebunden bist. Es ist der Grund, warum Leute ihr Leben und ihre Leistungen auf Facebook posten: Du bist nur etwas wert, wenn andere es sehen – und für gut befinden. Damit rauben wir unseren Kindern etwas, das wir eigentlich von ihnen lernen könnten: den Antrieb, etwas zu tun, nicht weil wir gut darin sind, sondern weil es uns wichtig ist.