Lasst die Kinder an die Waffen! - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

Lasst die Kinder an die Waffen!

Lesedauer: 4 Minuten

«Paff, bäng – du bist tot!»Bei den Kindern unseres Bloggers Christian J. Käser sind Waffen hoch im Kurs. Nicht ganz einfach für den friedliebenden Papa. 

Es ist schön hier, nur ein paar Meter über dem Nebelmeer auf dem Üetliberg in Zürich. Wer vorher noch frierend und stumm durch den Wald gestapft ist, befreit sich jetzt von der Jacke und zeigt seinen Kapuzenpulli oder das Funktionsshirt. Ich sitze auf einer Bank und studiere die Markennamen der vorbeigehenden Männer: «Under Armour, Alpha Industries, Boxeur des Rues …». Hersteller, die nicht verheimlichen, dass sie fürs Militär produzieren oder mit Strassenkampf Marketing betreiben. «Ist ziemlich tragisch», empöre ich mich so vor mich hin und merke gleich, dass ich gestern Nacht kaum warten konnte, bis ich wieder eine Folge «Vikings» gucken konnte. Eine Serie, in der Wikinger den Anglosaxen die Köpfe einschlagen oder, wenn das nicht reicht, die Halsschlagadern durchtrennen.
 
Wir Männer sind fasziniert von Gewalt. Wir sind fasziniert vom Töten. 
Mit roher Gewalt konfrontiert sind dann aber nur wenige von uns. Wir führen selber keine Kriege und auch die Wirtshausschlägereien sind kein gesellschaftliches Phänomen mehr.

Und trotzdem: Viele von uns Männern sind gewalttätig. Gemäss einer von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) 2019 veröffentlichten Statistik aus Deutschland wird umgerechnet alle 45 Minuten eine Frau durch ihren Partner verletzt oder angegriffen. In der Schweiz liegt der Anteil von gewaltbetroffenen Frauen bei knapp 80 Prozent gemäss des eidgenössischen Büros für Gleichstellung von Frau und Mann (EBG).
 
Diese Tatsache können wir leider nicht mit einem lustigen Witz aus der Welt schaffen. Obwohl das immer noch viele Kommentarschreiber auf den sozialen Medien versuchen.

Was tun als Eltern?

Die Frage für uns Eltern ist nun: Was können wir tun, damit unsere Kinder und insbesondere die Jungs nicht zu Gewalt neigen? Was können wir tun, um hier eine neue Generation auf den Weg zu schicken?

Wenn meine Jungs wieder einmal aufeinander losgehen, ertappe ich mich oft mit dem Satz: «Das machemer nöd bi üs». Doch warum sage ich das?
 
Schliesslich habe ich in der Primarschule in Herisau auch versucht, Ivo Frischknecht auf dem Pausenplatz zu verprügeln. Die anderen waren ganz einfach nicht in meiner Gewichtsklasse.
 
In unserer Erziehung widerspiegelt sich oft dieses Bedürfnis, Gewalt komplett aus unserer Gesellschaft auslöschen zu können. Das führt dazu, dass den Kindern erst die Spielzeugwaffen, dann die Filme mit Gewaltdarstellungen und später die Konsolen weggenommen werden in der Hoffnung, dass der Entzug von fiktiver Gewalt auch zu einer Distanz zu echter physischer Gewalt führen könnte. 
Oder aber man gibt ihnen die Spielzeugwaffen und sagt: «Du darfst aber damit nicht auf Menschen zielen.» Das Kind denkt selbstverständlich: Was bitte sollte mir eine Spielzeugwaffe bringen, wenn ich damit nicht auf Menschen zielen kann?

Keiner zu klein ein Jedi Ritter zu sein. (Bild: zVg / privat)
Keiner zu klein ein Jedi Ritter zu sein. (Bild: zVg / privat)
Ich sehe nicht ein, warum wir unsere Kinder nicht mit fiktiver Gewalt spielen lassen sollten. Die fiktive Welt, in der Gewalt bis zum bitteren Ende möglich ist, hat eine besondere Faszination. Es ist ein Spiel, bei dem alles zu gewinnen und alles zu verlieren ist. Es geht um Leben und Tod. Das zieht uns magisch an. Wie anders erklärt man sich, dass ruhige, besonnene Männer und Frauen von der entspannenden Wirkung eines Ego-Shooter-Games oder Actionfilms erzählen. Auch Märchen- und andere Gruselgeschichten spielen mit dem Angst-Phänomen. 

Als mein Sohn letzthin gehört hat, dass im Quartier Velos geklaut wurden, hat er mit einem Kumpel beschlossen, den Velodieb in die Luft zu sprengen. Wenn Sie jetzt meine Adresse und die Nummer der KESB gegoogelt haben, dann würde ich Ihnen anraten, die Fiktion von der Realität zu unterscheiden. Genau diese Kompetenz sollten wir unseren Kindern beibringen. Sie sollen schiessen, sie sollen sprengen, sie sollen den «Bösen» an den Kragen. Das tun sie in ihrer Fantasiewelt und nicht in der Realität.

«Das solltest du nicht machen», regelt leider das Problem nicht, schliesslich bringt schon Kasperli den Velodieb ins Chefi. Aber wie genau? Mit einer schlauen List und der sicheren Übergabe an die Polizei. Und darüber sollten wir mit unseren Kindern reden und sie fragen, ob eine Explosion wirklich der richtige Weg sei oder was es für Alternativen gäbe. Ich versuche, mit meinen Kindern abzutauchen in diese fiktive Welt, wo man alles verlieren und alles gewinnen kann. 

 
Und wenn sich die Jungs dann doch prügeln? Buben, die sich prügeln, brauchen keine Therapie, sie brauchen genügend Platz, um sich auszutoben. Und sie brauchen ein Bewusstsein dafür, dass wir Männer nicht nur Defizite haben, sondern auch ganz viele Ressourcen. Wir können zuhören, wir können Gefühle zeigen und wir können darüber reden. Diese Fähigkeiten müssen wir in unseren Jungs stärken. Wer diese Attribute als spezifisch weiblich bezeichnet, tappt genauso in die Gender-Falle, wie mit der Behauptung, Mädchen könnten nicht Fussball spielen. Meine Jungs sollen erfahren, dass es sehr befriedigend sein kann, wenn man einem Gegenüber zuhört: Dass es befreiend ist, auch mal zu weinen, oder dass verlieren zum Leben gehört und als Teil eines Spiels zu verstehen ist. So mussten sie auch einsehen, dass der Velodieb in der Realität nicht zu fangen war. Das Leben bringt halt oft kein Happy End. 

Und in Coronazeiten?

Die Fantasie ist ein aufregender und zugleich sicherer Ort. (Bild: zVg / privat)
Die Fantasie ist ein aufregender und zugleich sicherer Ort. (Bild: zVg / privat)
In Zeiten von Corona wird gerade nicht mehr umarmt. Auch nicht auf dem Üetliberg. Das ist sicher angesichts der Fallzahlen richtig so. Dabei haben wir Männer doch gerade diese Umarmungen als eine ganz spezielle Form von Nähe für uns entdeckt. Diesen Moment, wo die Waffen des «Under Armour» fallen und eine Begegnung zweier Jungs eine Weichheit bekommt, die wohltuend ist.

Christian Johannes Käser steht seit über 20 Jahren auf der Bühne. Seine vier Kinder (die Tochter ist 9, die drei Jungs 7, 4 Jahre und 1 Jahr alt) und seine Frau sind seine liebsten Kritiker. Der gebürtige Appenzeller lebt in Zürich. Improvisiert wird in allen Lebenslagen, ausser bei der Liebe zum Fussballverein. Da gilt nur eines: Hopp Sangalle! 
Christian Johannes Käser steht seit über 20 Jahren auf der Bühne. Seine vier Kinder (die Tochter ist 9, die drei Jungs 7, 4 Jahre und 1 Jahr alt) und seine Frau sind seine liebsten Kritiker. Der gebürtige Appenzeller lebt in Zürich. Improvisiert wird in allen Lebenslagen, ausser bei der Liebe zum Fussballverein. Da gilt nur eines: Hopp Sangalle! 


Mehr lesen zum Thema Kinder und Waffen: 

  • Peng, du bist jetzt tot!
    Fast alle Buben bewaffnen sich irgendwann. Warum Eltern damit gelassen umgehen sollten und wieso die meisten Mädchen kein Interesse an Waffen zeigen. 
  • Armee: Links, zwo, drei – NEIN!
    Erst noch hat der Knirps mit dem Holzgewehr den Garten unsicher gemacht. Nun ruft die Schweizer Armee. Der Sohn von Bloggerin Irma Aregger will Militär-Luft schnuppern – oder doch nicht? 
  • Brutale Spiele machen etwas mit der Seele des Kindes
    Wenn Kinder und Jugendliche Ego-Shooter spielen, machen sich Eltern meist Sorgen. Warum diese oft unbegründet sind, was es mit der sogenannten Angstlust auf sich hat und warum trotzdem Vorsicht geboten ist, weiss unser Kolumnist.