Kurz danach kommen Björn und sein Kollege dran. Sie kichern und rufen «Boah, Alter!», wenn ihnen das Handy einen Stromimpuls verpasst. Dann aber werden sie langsam ernster. Auf dem Bildschirm sieht man, wie das Porträtfoto des gemobbten Jungen auf eine Person mit Zwangsjacke montiert wurde. Das neue Bild wird im Chat verbreitet. «Also beleidigen ist das eine – aber das ist schon richtig fies» , findet Björn. Währenddessen suchen seine Finger am Handy Stellen, an denen er den Schmerz weniger spürt.
#nomobbing-Kampagne im Glatt: «Autsch, das hat wehgetan!»
Das Mobbing ging auch offline weiter: In der Schule wurde Nathalies Velo aufgehängt und sie wurde verprügelt. Sie schlich sich durch die Schulgänge und versuchte, niemandem mehr zu begegnen. «Ich habe den Fehler gemacht und geschwiegen – ich habe alles in mich reingefressen», sagt sie heute. Ihre Eltern hätten gar nichts von ihren Videos gewusst. Und als dann auch noch ein Lehrer ein Video von Nathalie Célines Yotube-Kanal im Unterricht abspielte und die lustigen Kommentare damit befeuerte, kam Hilfe suchen für sie eh nicht mehr in Frage.
«Besser ist es erst geworden, als ich auf die Berufsschule wechseln konnte», sagt Nathalie Céline. Die Buben, die mit ihr gemütlich in einem grossen Bett im Glatt sitzen, als sie diese Geschichte erzählt, schauen sie gross an. «Und warum hast du nicht aufgehört? Mit Youtube?», fragen sie. «Weil mich die positiven Kommentare dort auch gestärkt haben», sagt sie. Heute nutzt die Youtuberin ihre grosse Reichweite (über 100’000 Abonnenten) auch, um über Mobbing zu sprechen und Jugendlichen Mut zu machen. «Ich will nicht mehr, dass es ein Tabuthema ist – ohne das Tabu hätte ich mir vielleicht auch früher Hilfe gesucht.»
Hilfe holen, ist nicht petzen!
Und wenn es dann doch einmal soweit komme, empfiehlt Mike Würmli den Jungen den Gang zur Schulsozialarbeiterin oder zum Schulsozialarbeiter. «Bei ihnen könnt ihr erst einmal alles loswerden und müsst euch keine Gedanken über die Konsequenzen machen, denn sie unterliegen der Schweigepflicht.» Sowieso sei Hilfe holen, wenn man wirklich in Bedrängnis sei, etwas ganz anderes als Petzen.
In einer anderen Ecke sitzen Schülerinnen und Schüler locker mit Studierenden zusammen, die mit ihnen über ihren Handygebrauch plaudern und darüber, was ihnen alles schon begegnet ist im virtuellen Raum und im Klassenzimmer. Diese «Erstkontakter» sind nah dran an den Jugendlichen und die Überwindung, ihnen etwas zu erzählen, ist nicht so hoch wie bei Eltern oder Lehrpersonen.
Schnell wird den Jugendlichen klar: Es sind oft diejenigen, die sich etwas trauen, wie Nathalie Céline mit ihrem Youtube-Kanal, und die, die ein bisschen anders sind, die gemobbt werden. Eine Schülerin erzählt von ihrer Cousine, die als Alien beschimpft wurde, nur weil sie gerne las. Zum Glück wechselte sie wenig später an eine weiterführende Schule, wo es viele junge Leser gab.
Anti-Mobbing-Aktion der Stiftung Elternsein im Glatt Einkaufszentrum Wallisellen:
Wo: Glattzentrum in Wallisellen, in der Center Mall direkt bei der Information
Wann: 04.-09.Juni 2018, jeweils 12 bis 18 Uhr
Wer: für Jugendliche, Eltern und alle, die mit Kindern zusammenarbeiten. Erlebnis, Informationen und Ratschläge sind kostenlos.
Weiterlesen:
- Über die Sensibilisierungkampagne der Stiftung Elternsein
- Je härter und gemeiner, desto mehr Likes – Interview mit Cybermobbing-Expertin Catarina Katzer
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- Warum ist das Internet so gemein?