«Bei den Grosseltern darf mein Kind alles!»
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«Bei den Grosseltern darf mein Kind alles!»

Lesedauer: 4 Minuten

Eine positive Beziehung zwischen Enkelkind und Grosseltern ist wertvoll für beide Seiten. Da verträgt es auch andere Regeln – solange wichtige Grenzen nicht überschritten werden.

Text: Stefanie Rietzler
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Kindheit bedeutet für die meisten Familien auch: Zeit mit Grosi und Nonno! Immerhin betreuen laut Bundesamt für Statistik 40 Prozent der Grosseltern ihre Enkelinnen und Enkel bis zum Teenageralter mindestens einmal wöchentlich, weitere 18 Prozent hüten mindestens einmal im Monat und 14 Prozent vorwiegend während der Ferien.

Aber nicht nur die Eltern werden zeitlich und finanziell entlastet – auch für das Enkel-Grosseltern-Gespann ergeben sich viele Vorteile. So zeigt eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts, dass Seniorinnen und Senioren, die ihre Enkelkinder betreuen, länger leben. Eine aktive, positive Verbindung zum Enkelkind scheint verschiedenen Studien zufolge zudem mit einer besseren psychischen Gesundheit, einem höheren Selbstwertgefühl und weniger depressiven Symptomen im Alter verbunden zu sein – solange die Betreuung auf Freiwilligkeit beruht und nicht ausufert.

Auch die Enkelkinder gewinnen durch regelmässigen Kontakt und eine enge emotionale Bindung zu ihren Grosseltern: Sie entwickeln mehr Resilienz und Sozialkompetenz, sind emotional stabiler, zeigen weniger Verhaltensauffälligkeiten und depressive Symptome und erreichen bessere Schulleistungen.

Alles gut also? Mitnichten! Denn neben all diesen positiven Aspekten birgt das Dreieck zwischen Grosseltern, Eltern und (Enkel-)Kindern auch Konflikt­potenzial. Die Auseinandersetzungen drehen sich verschiedenen Umfragen zufolge am häufigsten um die Themen Disziplin, Ernährung und Mediennutzung. Viele Eltern ärgern sich insbesondere darüber, dass das Kind bei den Grosseltern alles darf.

Die Entwicklung des Kindes wird kaum darunter leiden, wenn es am Oma-Tag viel mehr Süsses isst oder deutlich mehr fernsieht als daheim.

Wer diesen Frust kennt, dem möchte ich folgenden Selbst-Check ans Herz legen:

«Beeinträchtigt das, worüber ich mich ärgere, ­tatsächlich die Entwicklung meines Kindes?»

Wir tragen Verantwortung für die Sicherheit unserer Kinder und müssen reagieren, wenn andere sie gefährden: Wenn Grosseltern das Kind beispielsweise einschüchtern, herabwürdigen, beschämen, körperlich oder seelisch verletzen. Wenn sie es Sendungen ansehen lassen, die nicht altersangemessen sind. Wenn sie auf das Kind einwirken, dass es ihnen Küsschen geben oder Dinge vor den Eltern verheimlichen solle. Dann ist es wichtig, das Gespräch mit den Grosseltern zu suchen, die eigenen Sorgen und Standpunkte zu formulieren und gegebenenfalls auch den Kontakt anders zu gestalten, um das Kind zu schützen.

Auf der anderen Seite wird die Entwicklung unseres Kindes kaum darunter leiden, wenn es am Oma-Tag neben dem Schokoriegel noch Gummibärchen und ein Eis verdrückt oder deutlich mehr fernsieht als daheim.

«Welche (anderen) Möglichkeiten lasse ich den ­Grosseltern überhaupt, ihre Enkel zu verwöhnen?»

Viele Eltern sind heute sehr eng mit ihren Kindern verbunden, lassen sich auf sie und ihre Bedürfnisse ein, richten ihre Freizeitaktivitäten und die Essensplanung nach ihnen aus. In der Folge fühlt es sich für Gross­eltern oft an, als wären die noch aus eigener Kindheit bekannten Grosseltern-Highlights wie Lieblingsessen kochen, tolle Ausflüge unternehmen, etwas Schönes spielen oder miteinander in Ruhe plaudern für die Enkel nichts Besonderes mehr.

Vielleicht hilft uns diese Perspektive, etwas sanfter und nachsichtiger zu sein, wenn manche Grosseltern dann auf Verwöhnprogramme ausweichen, die ihnen noch übrigbleiben: mehr Süssigkeiten, extra Medienzeit, Geschenke. Insbesondere körperlich eingeschränkte Grosseltern, die nur noch wenig unternehmen können, sehen darin oft ihre einzige Möglichkeit, den Enkeln noch «etwas Besonderes» geben zu können.

«Worum geht es hier wirklich?»

Oftmals spiegelt die elterliche Frustration auch ein Lebensthema wider, das im Grunde gar nicht in die Grosseltern-Enkel-Beziehung gehört. Sehen wir uns dazu verschiedene Beispiele an:

Angst vor Bindungsverlust: Immer wieder beobachte ich vor allem bei Müttern, wie sehr sie sich für die Kinder aufopfern und wie sehr es sie dann schmerzt, abgeschrieben zu sein, wenn Oma oder Opa da sind. Eifersucht keimt auf. Statt sich einzugestehen, dass es einen schlicht stresst, dem eigenen Kind im Alltag kein so dauerpräsenter Spielgefährte sein zu können, wirft man Oma und Opa stattdessen vor, mit ihrem Animations- und Verwöhnprogramm zu sehr um das Enkelchen zu kreisen. In dieser Situation kann man sich bewusst machen, dass die Beziehung zu den Grosseltern eine Ergänzung und keine Konkurrenz ist und man selbst dadurch mehr Zeit und Freiheit gewinnt.

Ich erlebe viele Grossväter, die ihre Söhne um die Präsenz und die enge Beziehung zu den Kindern beneiden – und bereuen, sich früher nicht mehr um ihren Nachwuchs gekümmert zu haben.

Aufreissen alter Wunden: Kürzlich kam ich mit einem Opa ins Gespräch, der seinen etwa eineinhalbjährigen Enkel bei einem Spaziergang in der Babytrage in den Schlaf begleitete. Schmunzelnd erzählte er, wie neu das alles für ihn sei – habe er dies doch bei den eigenen Kindern niemals gemacht. Derlei zu beobachten, kann für manche Eltern schmerzhaft sein. Wie sehr hätten sie sich das als Kind auch gewünscht! Schnell drängt sich die Frage auf: «Warum haben meine Eltern das bei mir nicht so gemacht?»

Wie kann man mit diesem Gefühl umgehen? Ein wichtiger Schritt besteht darin, sich selbst die Erlaubnis zu geben, das zu betrauern, was einem als Kind gefehlt hat. Gleichzeitig können wir uns darum bemühen, besser zu verstehen, was das Erziehungsverhalten der eigenen Eltern damals geprägt hat. Und wer sagt, dass sie nicht ähnlich empfinden wie wir selbst? Ich erlebe viele Grossväter im Umfeld, die ihre (Schwieger-)Söhne um die Präsenz und die enge Beziehung zu den Kindern beneiden – und im Nachhinein bereuen, sich früher nicht mehr um ihren Nachwuchs gekümmert zu haben.

Darüber hinaus kann hier eine bewusste Entscheidung zur Grosszügigkeit helfen: «Ich wünsche meinem Kind das Allerbeste und mag es ihm gönnen, so von seinen Grosseltern umsorgt zu werden. Wenn ich mich darauf einlasse, kann es auch heilsam sein, zu sehen, wie sehr sich meine Eltern weiterentwickelt haben.»

«Ist das tatsächlich ein Zeichen mangelnden Respekts vor mir und meinen Grenzen?»

Vielen Eltern ist es ein Dorn im Auge, wenn bei den Grosseltern lockerer mit den Regeln umgegangen wird. Wie sehr wünschten sie sich Rückendeckung – gerade bei Themen, die sie selbst verunsichern und um die sie als Eltern ringen, wie Medienzeit oder Ernährung. Schnell werden andere Handhabungen als persönlicher Angriff oder gar als Grenzüberschreitung gewertet. Wir dürfen uns fragen: Ist das wirklich der Fall? Oder fällt es uns einfach schwer, den Grosseltern zuzugestehen, dass sie keine Dienstleister sind, sondern ihren eigenen Kopf haben und gewisse Dinge auch anders handhaben dürfen, solange sie unser Kind nicht gefährden?

Ich jedenfalls wünsche mir, dass meine eigenen Kinder, sofern sie mich irgendwann zur Grossmutter machen, hier und dort ein Auge zudrücken werden – in dem Wissen, dass ich es gut meine.

Stefanie Rietzler
ist Psychologin und Autorin. Gemeinsam mit Fabian Grolimund leitet sie die Akademie für Lerncoaching, ein Beratungs- und Weiterbildungsinstitut. Rietzler ist Mutter eines Sohnes und einer Tochter und lebt mit ihrer Familie in Zürich.

Alle Artikel von Stefanie Rietzler

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