Angst in der Schule
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Schulangst: «Der kann schon, der will nur nicht!»

Lesedauer: 2 Minuten

Weil er Angst hatte, gemobbt zu werden, wollte Joel lange nicht mehr zur Schule gehen. Er und seine Mutter erzählen, wie sie diese Zeit erlebt haben und wie sie einen Weg daraus gefunden haben.

Aufgezeichnet von Sandra Markert
Bild: Ladina Bischof / 13 Photo

Karin Kuttelwascher, 50, arbeitet als Verkäuferin und lebt mit ihrem Mann Andreas, 61, Umzugsberater, sowie den drei Söhnen Philip, 29, David, 19, und Joel, 18, im Kanton Thurgau. Ihr jüngster Sohn hatte jahrelang Angst, von seinen Mitschülern ausgelacht zu werden. ­Inzwischen hat Joel die Schule abgeschlossen, macht derzeit ein ­Praktikum im IT-Bereich und beginnt im Sommer eine Lehre.

Karin: «‹Ich bin ja eh doof!› Als Joel in der zweiten Klasse zu Hause mit grosser Mühe lesen geübt hat, sagte er diesen Satz zum ersten Mal. Ich habe von Anfang an gemerkt, dass er sich mit den Buchstaben schwertat. Ich habe noch zwei ältere Kinder, ich wusste, wie die lesen und schreiben gelernt hatten. Aber die Lehrer meinten nur: ‹Er kann das schon, er will nur nicht, er muss sich einfach mehr anstrengen.›

Bis heute habe ich immer Angst, wenn etwas Neues in meinem Leben passiert. Damit kann ich nicht gut umgehen.

Joel, 18

Dann fing es an, dass er morgens Kopf- oder Bauchschmerzen hatte und nicht zur Schule gehen wollte, weil die anderen Kinder ihn dort ausgelacht haben. Wir haben uns schnell ärztliche Hilfe geholt. Da wurde dann auch seine starke Lese-Schreib-Schwäche festgestellt, die ich schon die ganze Zeit vermutet hatte. Auch wenn von da an alle wussten, warum er in der Schule mehr Mühe hatte als die anderen Kinder, ist die Angst, wieder ausgelacht zu werden, nicht mehr ­weggegangen.

An vielen Tagen konnte ich ihn trotzdem motivieren, zu gehen, aber wenn es gar nicht ging, dann durfte er auch daheimbleiben. Aber es gab dann kein Fernsehen und keine PC-Zeit, ich wollte nicht, dass er es als angenehm empfindet, zu Hause zu bleiben. Trotzdem haben wir von anderen Eltern und Lehrern gemerkt, dass sie dachten: Der geht nicht, weil er keine Lust hat. Sie haben nicht verstanden, dass er wirklich nicht gehen konnte, dass alles bei ihm blockiert war. Das hat sich richtig blöd angefühlt für uns. Und ich habe natürlich auch an mir gezweifelt, ob ich nicht vielleicht auch etwas falsch mache.

Irgendwie hat es Joel trotzdem in die Oberstufe geschafft. Dann kam eine noch grössere Schule, es wurde noch mehr Selbständigkeit erwartet. Das hat ihn dann komplett überfordert und wir haben ihn rausgenommen. In der Förderschule hat er es dann gut geschafft bis zum Abschluss.»

Joel: «Ich kann mich an meine ersten Schuljahre kaum mehr erinnern. Klar bin ich manchmal geärgert worden, aber das ist ja auch normal bei Kindern, da kommt immer mal ein dummer Spruch. Als ich dann morgens nicht mehr gehen wollte, habe ich mich wirklich krank gefühlt. Wenn meine Mutter dann gesagt hat: ‹Okay, du kannst zu Hause bleiben›, ist mir ein richtiger Stein vom Herzen gefallen. Bis heute habe ich immer Angst, wenn etwas Neues in meinem Leben passiert, damit kann ich nicht gut umgehen.»

Sandra Markert
ist freie Journalistin und Mutter von drei Kindern im Kindergarten- und Primarschulalter. Sie lebt mit ihrer Familie am Bodensee.

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