«Die Trauer um Daddy verändert sich. Sie ist jetzt weniger gross» 
Merken
Drucken

«Die Trauer um Daddy verändert sich. Sie ist jetzt weniger gross» 

Lesedauer: 3 Minuten

Christian König starb vor einem Jahr an Schleimhautkrebs. Seine Kinder Rafael und Aline gaben ihrem Papi einen Auftrag mit für die Zeit nach seinem Tod – er hat ihn inzwischen erfüllt.

Text: Claudia Füssler
Bild: Adobe Stock

Die Kinder beschützen und dabei gleichzeitig ehrlich sein – das war immer ein riesengrosser Spagat für mich», sagt Annyett König. Die Bernerin arbeitet seit 18 Jahren auf einer Kinderintensivstation. Dort hat sie gesehen, wie viele Angebote es für Erwachsene gibt, die einen kranken und sterbenden Angehörigen begleiten und wie wenige für Kinder. Annyett König hat sich 2015 zur Familientrauerbegleiterin ausbilden lassen und mit vier anderen Frauen zusammen den Verein «familientrauerbegleitung.ch» gegründet.

Ziel des Vereins ist es, jedem betroffenen Kind und Jugendlichen und seinen Eltern schweizweit eine individuelle professionelle Begleitung in der Trauerzeit zu ermöglichen. «Damals wusste ich noch nicht, wie wichtig das für mich einmal werden würde.» Ihr Mann Christian erkrankte an Schleimhautkrebs und starb im August 2017.

«Papi hat gesagt, der Krebs sitzt im Hals. Ich fand das immer komisch und hab mich gefragt, warum der da nicht einfach rauskrabbelt oder wieso wir ihn da nicht rausholen», erzählt Aline. Die Achtjährige und ihr zwölfjähriger Bruder Rafael haben das Sterben ihres Vaters sehr bewusst erlebt.

Es entstehen wertvolle Gespräche, wenn man die Kinder in die Entscheidungen miteinbezieht.

Annyett König

Es seien lange Diskussionen gewesen, erinnert sich Annyett  König, die sie mit Freunden, Bekannten und auch ihrer Familie geführt habe zur Frage: Wann sagen wir es den Kindern? Wann erklärt man ihnen, dass der Papi nicht wieder gesund wird? 

«Mein Mann wollte sie schützen, ich habe aber immer gesagt: Sie brauchen Vorlaufzeit, um die Zeit mit ihrem Vater noch geniessen und alle Fragen stellen zu können, die ihnen auf der Seele liegen», sagt Annyett König. «Irgendwann habe ich gespürt, dass der Moment da ist.»

Die Familie erlebt die letzten Monate als Quartett sehr intensiv, sie reisen noch einmal nach Mexiko, verbringen gemeinsame Urlaubstage. Rafael bastelt mit seinem Vater an Modellautos, eine grosse Leidenschaft von Christian, der mit seinem Sohn auch eine Autorennbahn hat. Ihr letztes gemeinsames Projekt war ein Rettungshubschrauber. 

An dunklen Tagen weinen alle vier gemeinsam – und trotzen dem Leben doch ein wenig Freude ab. «Wir haben uns dann die Sonnenbrillen aufgesetzt, damit niemand sieht, dass wir geweint haben, und sind im Pyjama zur Tankstelle gefahren und haben Glacé gekauft», erzählt Aline und alle lachen. Es gibt viele solcher schönen Erinnerungen an den Vater. Auch an die Zeit nach seinem Tod. Der Tag zum Beispiel, an dem im Garten Familie und Freunde den Sarg bemalt haben: mit einer Schottlandfahne, einem Motorrad, einem Herz und den Umrissen der eigenen Hände. 

«Wir durften den Sarg auch mit zuschrauben», erzählt Rafael. Die Urne für Papi haben alle drei gemeinsam getöpfert, sie ist mit einem grossen Salamander versehen, ihrem Familientier. «Das war ein trauriger und trotzdem sehr schöner Tag», erinnert sich Annyett König, «und ich habe immer wieder gemerkt, welch wertvolle Gespräche entstehen können, wenn man die Kinder in die Entscheidungen miteinbezieht. » 

«Geboren, um zu leben»

Für die Trauerfeier haben Aline und Rafael jeweils ein Lied ausgesucht, Aline entschied sich für ein Lied von Züri West, Rafael wählte «Geboren, um zu leben» von Unheilig. Im Rückblick, sagt Annyett König, frage sie sich manchmal, wie das alles funktioniert habe. Ein todkranker Mann, den sie zu Hause gepflegt hat, zwei schulpflichtige Kinder und ihre Arbeit im Spital. Von ihren eigenen Bedürfnissen ganz zu schweigen.

Der Zusammenbruch kam, nachdem Christian gestorben war. Mit dem Loslassen trat die Erschöpfung ein. Sie habe Monate gebraucht, um wieder etwas Boden unter den Füssen zu haben, und erst jetzt setze die Trauer richtig ein.

«Diese riesige Verzweiflung, wenn mir klar wird, dass er wirklich nie mehr wiederkommen wird.» Sie musste lernen, um Hilfe zu bitten, und hat viele Dinge neu gelernt. Zum Beispiel kann sie jetzt Lampen anbringen. Unschätzbar sei die Hilfe der Familientrauerbegleiterinnen gewesen. Schon in der Zeit, als Christian noch lebte, aber der Tod absehbar war, und auch danach. «Da war immer jemand da. Sie haben sich regelmässig gemeldet und nachgefragt, Dinge mit den Kindern unternommen – das war von unschätzbarem Wert», sagt Annyett König. 

Der Zusammenbruch kam, nachdem Christian gestorben war. Mit dem Loslassen trat die Erschöpfung ein.

Inzwischen besuchen Aline und Rafael eine Waldkindertrauergruppe. Die Trauer, sagen Rafael und Aline, habe sich verändert. «Sie ist jetzt weniger gross, aber ich muss schon noch ab und zu weinen», sagt Aline. Dann kuschelt sie mit ihrer Mama und knuddelt ihren Daddy: Annyett König hat ihren Kindern zu Weihnachten jeweils ein Kissen mit einem Foto des Vaters geschenkt. 

Der hatte nach seinem Tod übrigens noch einen Auftrag zu erfüllen, erzählt Rafael: «Mami hat Daddy kurz vor seinem Tod gesagt, dass er den Fussballgott so lange suchen soll, bis er ihn findet. Dann soll er ihm sagen, dass die Young Boys nach 32 Jahren endlich wieder einmal die Meisterschaft gewinnen sollen. Und er hat es gemacht!»  

Claudia Füssler
arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin. Am liebsten schreibt sie über Medizin, Biologie und Psychologie.

Alle Artikel von Claudia Füssler