«Niemand kann zur Corona-Impfung gezwungen werden» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Niemand kann zur Corona-Impfung gezwungen werden»

Lesedauer: 4 Minuten

Die angekündigte Impfung gegen Corona bringt für viele Leute Hoffnung, bei vielen kommen aber gleichzeitig viele Ängste hoch. Franziska Sprecher, Direktorin des Zentrums für Gesundheitsrecht und Management im Gesundheitswesen, über ein Impf-Obligatorium für besondere Personengruppen und die Frage, ob Schulen eine Impfung verlangen können.

Liebe Frau Sprecher, gibt es in der Schweiz schon eine Impfflicht für die Corona-Impfung?

Nein. Aktuell gibt es weder eine Empfehlung noch ein Obligatorium für eine Corona-Impfung. Es werden Gespräche geführt, und wir können sicher in den nächsten Wochen Stellungnahmen von Fachgremien und aus der Politik erwarten. Erst wenn eine Impfung in der Schweiz wirklich zugelassen und da ist, wird über Empfehlungen und ein Obligatorium entschieden werden können. 
Franziska Sprecher leitet das Zentrums für Gesundheitsrecht und Management im Gesundheitswesen der Universität Bern. Die gebürtige Baslerin ist Mutter von zwei Kindern. (Bild: Valeriano Di Domenico)
Franziska Sprecher leitet das Zentrums für Gesundheitsrecht und Management im Gesundheitswesen der Universität Bern. Die gebürtige Baslerin ist Mutter von zwei Kindern. (Bild: Valeriano Di Domenico)

Wie könnte ein Obligatorium für die Corona-Impfung aussehen? 

Der Bundesrat kann aufgrund des Epidemiegesetzes von 2012 ein Impfobligatorium aussprechen, wenn erstens eine «erhebliche Gefahr» vorliegt. Diese ist im Falle von Corona sicherlich gegeben. Bei der Schweinegrippe im Jahr 2009 hat man sich ein Impfobligatorium auch überlegt, kam dann aber zum Schluss, dass die vom Epidemiengesetz verlangte Gefahrensituation nicht vorliegt. Zweitens muss ein Obligatorium immer zeitlich limitiert und auch klar auf einzelne Personengruppen begrenzt sein. Im Falle von Corona könnten das zum Beispiel Personen sein, die im Pflegebereich oder mit besonders gefährdeten Personen arbeiten. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass in der Schweiz im Zusammenhang mit Covid-19 ein Impf-Obligatorium für Kinder eingeführt wird. Denn: Nach aktuellem Stand stecken sich Kinder seltener an, geben das Virus weniger weiter und erkranken zudem meist weniger schlimm an Corona als Erwachsene. (Siehe hier auch das Interview mit Prof. Dr. Christoph Aebi zu den neusten Erkenntnissen zur Rolle der Kinder in der Pandemie)

Impfflicht, Impfobligatorium, Impfzwang – was sind die Unterschiede? 

Eine Pflicht oder ein Obligatorium ist rechtlich dasselbe. Einen Impfzwang, wo man jemanden physisch zwingt, eine Spritze machen zu lassen oder ihn indirekt zwingt, indem man eine Busse verhängt, gibt es bei uns nicht. Wichtig: Die Schweiz ist im Bereich Impfen äusserst zurückhaltend. Die Freiheit des Individuums wird hoch gewertet. Deswegen ist das nicht direkt sanktionierbare Impfobligatorium nach dem Epidemiengesetz ein Spezialfall. Die Gurtenpflicht im Auto, beispielsweise, kann gebüsst werden. Im Bereich Impfen ist das in der Schweiz aber ausgeschlossen, denn eine Busse käme einem indirekten Zwang gleich. 

Gibt es denn eine Möglichkeit, diese Impfpflicht durchzusetzen? 

Man muss ganz klar sagen: Zu einer Spritze gezwungen werden kann niemand. Es gibt aber die Möglichkeit, dass Behörden andere Massnahmen verpflichtend anordnen und diese durchgesetzt werden können. Beispielsweise kann man isoliert oder medizinisch überwacht werden oder darf vorübergehend bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausüben. Zudem kann jemand auf arbeitsrechtlicher Basis versetzt werden. Konkret: Wenn sich eine Ärztin auf der Covid-Station nicht impfen lassen will, dann kann man sie in einen anderen Bereich versetzen. Oder sie in Komplett-Schutzmontur arbeiten lassen. Zu einer Kündigung kommt es erst im äussersten Fall. Zuvor müssen alle anderen Wege ausgeschlossen werden. Die Schweiz wertet Impfungen als schwerer Eingriff in die physische und psychische Integrität und stellt deswegen hohe Anforderungen an den Umgang mit Impfvorschriften. 

Wie wird das in anderen Ländern gehandhabt? 

Meines Wissens ist die Schweiz hier wirklich sehr zurückhaltend und fährt eine Sonderstrategie, was auch die aktuellen Massnahmen im Umgang mit der Pandemie zeigen. Unsere Nachbarländer sind hier um einiges strenger. In Deutschland beispielsweise besteht seit diesem Frühjahr eine Impflicht gegen Masern für alle Kinder ab einem Jahr, die eine Kita, Schule, andere Gemeinschaftseinrichtungen oder eine Tagesbetreuung besuchen. 

Ist es in der Schweiz denkbar, dass sich Kinder gegen Corona impfen lassen müssen für den Kita- oder Schulbesuch?

Nein, auf gar keinen Fall. Ich kann mir wie schon eingangs gesagt nicht vorstellen, dass ein Obligatorium für die Corona-Impfung für Kinder überhaupt kommen wird. Und auch wenn eine Pflicht für Kinder kommen sollte, selbst dann würden vorher noch viele andere Massnahmen zum Zug kommen wie Maske tragen, Abstand halten, und so weiter. 

Wie ist das bei privaten Schulen oder privaten Kitas?

Hier ist die Lage anders: Private Anbieter können sich ihre Kunden aussuchen und die Vertragsbedingungen festlegen. Eine Privatschule oder eine private Kita kann also sehr wohl eine Impfung verlangen. Staatliche Schulen sind an die Grundrechte gebunden und müssen jedes Kind aufnehmen. Impfobligatorien für Kinder an staatlichen Schulen sind an die strengen Voraussetzungen des Epidemiengesetzes gebunden und somit nur zeitlich und personell beschränkt möglich.

Gilt das auch für Hotels, Kinos, Freizeitparks?

Ja, auch diese sind private Akteure und haben die rechtliche Möglichkeit, eine Impfung von Kindern und/oder Erwachsenen vorzuschreiben beziehungsweise sie als Bedingung für den Besuch, respektive den Aufenthalt, vorauszusetzen. Wirtschaftlich stellt sich die Frage, ob so eine Vorschrift Sinn macht. Gut möglich, dass dann das Publikum wegbleibt und man das nicht riskieren möchte. 

Mit Quantas hat die erste Fluggesellschaft angekündigt, zukünftig nur Passagiere mit einer Corona-Impfung zu befördern. Ist ein solches Vorgehen auch bei der Fluggesellschaft Swiss denkbar?

Grundsätzlich ja. Die Swiss ist eine private Gesellschaft, kann also selber entscheiden, wen sie befördern will oder nicht. Die Swiss hat aber bereits angedeutet, dass sie eher auf Schnelltests setzen will und keine Impfung vorschreibt. 

Letzte Frage: Darf sich ein 14-Jähriger impfen lassen, wenn seine Eltern dagegen sind?

Das ist grundsätzlich möglich. Bei medizinischen Eingriffen geht man von der Urteilsfähigkeit aus. Wird der Jugendliche im Hinblick auf die Impfung als urteilsfähig eingestuft, kann er sich auch ohne Einverständnis seiner Eltern impfen lassen. Die Urteilsfähigkeit ist allerdings nicht klar geregelt, hier wird von Fall zu Fall und abhängig von der medizinischen Massnahme entschieden. Bei der Pille ist es ähnlich: Mädchen können sich auch ohne Einverständnis ihrer Eltern die Pille verschreiben lassen, wenn sie für diese Entscheidung als urteilsfähig gelten. Die Frage ist dann nur, wer die Kosten übernimmt. 

Aktueller Stand Corona-Impfung BAG
Laut Bundesamt für Gesundheit BAG ist der Bundesrat im Gespräch mit drei Impfstoffherstellern. Die ersten Impfungen sollen im ersten Halbjahr 2021 durchgeführt werden und für die Bevölkerung kostenlos sein. Aktuell soll die Impfung freiwillig sein und eine Impfflicht ist nicht vorgesehen. Quelle: www.bag.ch

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