Wie viel Corona können Eltern ihren Kindern zumuten? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wie viel Corona können Eltern ihren Kindern zumuten?

Lesedauer: 6 Minuten

Die zweite Corona-Welle ist hier und täglich sind wir mit Nachrichten über Neu-Infektionen und neuen Vorgaben konfrontiert. Wieviel davon sollen Eltern ihren Kindern zumuten? Und wie reagiert man, wenn das Viruswirklich nah ist; Freunde, Verwandte oder das Kind selbst betrifft? Jugendpsychologin Nadine Messerli-Bürgy gibt Antworten.

Frau Messerli-Bürgy, seit dem Ende der Herbstferien gilt im Kanton Zürich für Erwachsene Maskenpflicht im Schulhaus. Was geht in einem Kind vor, wenn da plötzlich nur noch «maskierte» Erwachsene herumlaufen?

Die meisten Kinder haben sich durch die bereits seit mehreren Monaten bestehende Maskenpflicht in verschiedenen Bereichen gut daran gewöhnt. Kinder lernen schnell und wenn man ihnen erklärt, warum dies nun notwendig ist, dann ist es für ein Kind schnell normal – so, wie dies auch beim Händewaschen für viele Kinder der Fall war. Sicher können Kinder – und auch wir Erwachsenen – die Mimik der anderen Person schlechter erkennen. Aber eine Bedrohung stellt eine Maske heute für unsere Kinder kaum dar.

Trotzdem: Wie erklärt man den Kindern eine solche Massnahme?

Genau so, wie wir ihnen bereits im Frühling verständlich machten, warum wir nun die Hände häufiger waschen. Erklärungen müssen dabei altersangepasst sein. Kleinen Kindern ist es noch nicht möglich, sich in andere hineinzuversetzen. Daher sind Erklärungen eher schwierig. Bei Kindern ab Kindergartenalter kann gut erklärt werden, dass wir das Virus über die Atemwege aufnehmen, es sich bei Husten oder Niesen besonders gut über die Luft verbreiten kann und uns sowie andere darum Masken vor einer Erkrankung schützen.
Prof. Dr. Nadine Messerli-Bürgy ist Professorin an der Universität Freiburg und leitet die Forschungsgruppe für Klinische Kinderpsychologie und die nationale Studie «STERN» zum Einfluss von Stress auf die psychische Gesundheit von Vorschulkindern. 
Prof. Dr. Nadine Messerli-Bürgy ist Professorin an der Universität Freiburg und leitet die Forschungsgruppe für Klinische Kinderpsychologie und die nationale Studie «STERN» zum Einfluss von Stress auf die psychische Gesundheit von Vorschulkindern. 

Die gefürchtete «zweite Welle» scheint mittlerweile hier zu sein. Und wenn man den (sozialen) Medien glaubt, scheinen wir zu pendeln zwischen Panikmache und Ignoranz. Was ist Ihrer Meinung nach der richtige Weg, als Eltern mit dieser Bedrohung umzugehen?

Kinder hören oft mit, wenn Erwachsene sich unterhalten und kriegen so verschiedene Informationen mit. Als Eltern können wir unseren Kindern helfen, diese aufgeschnappten Informationen richtig einzuordnen. Dabei hilft es sicher, dass man altersentsprechend auch über Fakten spricht, jedoch ohne Panik zu machen, sondern aufzeigt, was jedes einzelne Familienmitglied tun kann, um die bestehenden Schutzkonzepte im Alltag umzusetzen. Die Eltern laden zum Beispiel die Covid-App aufs Handy, alle waschen sich regelmässig die Hände und halten in der Öffentlichkeit Abstand etc. Es geht darum, dem Kind Unterstützung zu bieten im Umgang mit der Angst vor Corona, aber auch mit der Furcht vor den möglichen Einschränkungen. 

Wann und wie soll man dieses Thema als Familie diskutieren?

Kinder können sich Zusammenhänge aus dem im Umfeld aufgeschnappten Kommentaren meist schlecht selber erklären. Es lohnt sich daher, das Thema daheim aufzugreifen und nachzufragen, was die Kinder gehört und verstanden haben, um ihnen so zu ermöglichen, die verschiedenen Informationen einzuordnen und sie zu verstehen. Können sie dies nicht tun, dann besteht die Gefahr, dass sie verängstigt und verunsichert werden. Es ist empfehlenswert, das Thema Covid19 von Zeit zu Zeit zu thematisieren, und dann mit dem Kind konkret zu besprechen, was man als Familie tun oder wie man handeln kann, um beispielsweise die Ansteckungsgefahr zu reduzieren. 

Wie reagiert man am besten, wenn das Virus tatsächlich «nahe» kommt, also zum Beispiel ein Verwandter oder Freund positiv getestet wurde?

Für Kinder ist es einfacher zu wissen, was los ist, als im Dunkeln zu tappen. Es ist daher sinnvoll, dem Kind dem Alter entsprechend die Informationen mitzuteilen, die es braucht, um dies einordnen zu können. Ein Gespräch zur Klärung von Begriffen kann helfen: Was bedeutet «positiv getestet»? Dies kann helfen, dem Kind die Angst zu nehmen, dass nun etwas ganz Gefährliches in seiner Nähe passiert ist. Kinder brauchen Sicherheit, daher sollte das Kind wissen, dass jemand mit einem positiven Test sich möglicherweise krank fühlen kann, aber vielleicht auch gar nichts von der Ansteckung spürt. Aber dass man sich wegen der Ansteckungsgefahr nun vorläufig nur über Telefon oder Videocall treffen kann, und die Kontaktmöglichkeiten für eine gewisse Zeit eingeschränkt sind.

Wie soll man als Eltern dem Kind gegenüber reagieren und kommunizieren, wenn ein Kind Symptome zeigt? Und wie, wenn es positiv getestet wurde?

Es ist auch hier wichtig, dass das Kind informiert wird, dass der Test positiv war, und man ihm erklärt, dass damit die Ansteckungsgefahr nun für andere erhöht ist. Auch wenn es sich nicht krank fühlt, muss es für einige Tage daheim bleiben. Panikmache bringt sicher nichts, sondern vielmehr ist es wichtig mit dem Kind zu besprechen, dass sich Covid19 sehr unterschiedlich zeigen kann. Das Kind muss erfahren, dass die Eltern für es da sind, es unterstützen, mit ihm gemeinsam den Verlauf der Erkrankung beobachten und, dass bei Bedarf der Kinderarzt beigezogen werden kann, um allenfalls Symptome zu lindern.

Wie sollen Lehrpersonen kommunizieren, wenn in einer Klasse ein Kind positiv getestet wurde, um Panik zu vermeiden?

Kinder reagieren dann mit Angst, wenn sie nicht wissen, ob diese Situation für sie eine Gefahr bedeutet. Daher lohnt es sich, dass Lehrpersonen ihre Klasse nicht nur über einen positiven Test informieren, sondern auch erklären können, was dies nun für sie bedeutet. Konkret heisst dies, dass die Kinder wissen, dass ihre Eltern informiert sind und, dass sie bei Symptomen daheim bleiben müssen.

Es kam offenbar schon vor, dass ein betroffenes Kind nach seiner Rückkehr zum Aussenseiter wurde, weil sich niemand in seine Nähe traute.

Es ist von Vorteil, wenn Lehrpersonen von Anfang an erklären, dass sich alle Menschen anstecken können, und dass dies jedem passieren kann.

Was, wenn ein Kind wirklich echte Angst entwickelt? Ab wann würden Sie psychologische Hilfe empfehlen?

Wenn Kinder und Jugendliche solche Ängste entwickeln, ist es typisch, dass diese sie im Alltag nahezu ständig begleiten, sie in ihren Aufgaben im Alltag einschränken oder verhindern, dass sie diese erfüllen können. Die Kinder fühlen sich gestresst und angespannt, sie vermeiden Situationen oder Aufgaben, die bei ihnen die Angst auslösen oder erhöhen, schränken ihren Bewegungsspielraum ein, können schlecht abschalten, haben wenig Appetit oder schlafen vielleicht auch schlecht. Wenn Eltern merken, dass dies bei ihrem Kind der Fall ist, macht es Sinn, sich psychologische Hilfe zu suchen.

Und wenn, im Gegenteil, ein Kind oder Jugendlicher die «es ist nur eine Grippe»-Einstellung vertritt? Sollte man da eingreifen und den Ernst der Situation erklären?

Kinder dürfen ihre eigene Meinung haben. Meist ist wohl die «es ist nur eine Grippe»-Einstellung nicht selbstgemacht, sondern wird häufiger von anderen, meist Erwachsenen, als Meinung übernommen. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass die Symptome sich bei Covid19 deutlich häufiger verschlechtern, als dies bei einer Grippe der Fall ist. Aber auch die Erkrankung an einer Grippe ist keine angenehme Situation, und kann genauso verhindert werden, wenn die Schutzkonzepte angewendet werden. Es macht durchaus Sinn, Kindern klar zu machen, dass wir uns in einer besonderen Situation befinden, in der jeder dazu beiträgt, dass Personen mit erhöhtem Risiko geschützt werden, und gleichzeitig alles getan werden muss, damit für die Kinder und Jugendlichen beispielsweise weiterhin der Präsenzunterricht oder die Freizeitaktivitäten weitergeführt werden können.

Das müssen Sie wissen, wenn Ihr Kind Symptome zeigt!

Hatte das Kind engen Kontakt mit einer anderen Person mit Symptomen, hängt das Vorgehen vom Testresultat dieser Kontaktperson ab. Wurde sie positiv getestet, muss das Kind zu Hause bleiben und es sollte mit dem Kinderarzt/der Kinderärztin abgeklärt werden, ob ein Test notwendig ist. Ist das Testresultat der Kontaktperson negativ, darf das Kind wieder zur Schule, nachdem es seit 24 Stunden kein Fieber mehr hat oder sich der Husten deutlich gebessert hat.

Zeigt das Kind Symptome einer möglichen Ansteckung und hatte keinen engen Kontakt zu einer Person mit Symptomen, hängt die Vorgehensweise von den Symptomen des Kindes ab. Sind es nur leichte Erkältungssymptome und fühlt sich das Kind sonst gut, darf es weiter zur Schule gehen. Hat es zwar Fieber, aber einen guten Allgemeinzustand, muss es daheim bleiben, bis das Fieber für mindestens 24 Stunden weg war. Falls das Fieber drei Tage oder länger anhält, sollte der Kinderarzt kontaktiert werden, ebenso wenn sich weitere Symptome zeigen. Hat das Kind starken Husten, aber ist sein Allgemeinzustand gut, sollte es trotzdem daheim bleiben und erst wieder zur Schule gehen, wenn der Husten sich innerhalb von drei Tagen deutlich gebessert hat. Bei ausbleibender Besserung oder anderen Symptomen sollte man den Kinderarzt kontaktieren. Hat das Kind Fieber oder starken Husten und ist sein Allgemeinzustand schlecht, sollte auf jeden Fall der Kinderarzt kontaktiert werden.

Dies sind die Vorgaben des Bundesamtes für Gesundheit. Allenfalls bestehen weitere Schutzkonzepte der Schulkreise, die berücksichtigt werden müssen. Die Eltern sollten daher auch die Vorgaben der Kantone und der Schulkreise beachten.


Buchtipp:

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