Hypnose – eine Brücke zwischen Körper und Seele - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Hypnose – eine Brücke zwischen Körper und Seele

Lesedauer: 5 Minuten

Die moderne Hypnosetherapie bietet die Möglichkeit, körperliche und psychische Vorgänge besonders effektiv und nachhaltig positiv zu verändern. Gerade Kinder und Jugendliche können von den Vorteilen dieser Therapieform profitieren

Vorsichtig streichelt die 10-jährige Lena die Dackelhündin Topsi. Noch vor wenigen Wochen hätte sich Lena nicht mal in die Nähe des Vierbeiners getraut, denn sie hatte panische Angst vor Hunden. Jeder Gang nach draussen war ein Problem, und weder gut gemeinte Ratschläge noch verständnisvolles Zureden von Eltern, Geschwistern und Freundinnen konnten daran etwas ändern. Erst die Hypnosetherapie bei einem Kinderpsychologen hat dem Mädchen schliesslich geholfen, ihre Angst vor Hunden zu überwinden. «Irreale Ängste gehören zu den Beschwerdebildern, die mit Hypnose besonders gut behandelt werden können», sagt Dr. Christian Ziegler, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Ausbilder und Supervisor der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Hypnose (SMSH). «Denn verantwortliche Muster oder Verknüpfungen, die im Unterbewusstsein abgespeichert sind, können im Wachzustand oft nur schwer oder gar nicht erreicht werden, in Hypnose dagegen schon.»

Effektive Hilfe zur Selbsthilfe

Unter Hypnose, abgeleitet aus dem altgriechischen «Hypnos» für Schlaf, versteht man einerseits einen Zustand, andererseits aber auch eine Methode. «Denn Hypnose ist eine Bewusstseinsebene, die man sich, neben Schlaf und Wachsein, wie einen traumartigen Dämmerzustand vorstellen kann», erklärt Ziegler. «Hypnose ist aber auch eine besondere Entspannungsmethode, die angewendet wird, um in diesen Dämmerzustand zu gelangen, und die dabei hilft, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren.» Die Methoden der modernen Hypnosetherapie basieren massgeblich auf den Erkenntnissen des amerikanischen Psychiaters Milton Erickson, der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Hypnosetherapie entscheidend weiterentwickelt hat und bis heute prägt. Der Kern von Ericksons Ansatz ist die besondere Berücksichtigung der Individualität jedes Patienten und die positive Bewertung des Unbewusstseins, die Erickson als unerschöpfliche Ressource zur kreativen Selbstheilung definiert hat.

Schadhafte Muster ändern

Vielen ist Hypnose vor allem in Form von Showhypnose bekannt, bei der ein Hypnotiseur vor Publikum scheinbar willenlose Teilnehmer in spektakulärer Weise befohlene Handlungen ausführen lässt. Medizinische oder klinische Hypnose zu therapeutischen Zwecken hat damit nichts zu tun. «Hier geht es nicht darum, irgendwelche Effekte zu erzielen, sondern es stehen das Wohl und das Interesse des Patienten im Vordergrund», betont Ziegler. «Der Therapeut erteilt bei einer medizinischen Hypnose deshalb auch keine Befehle, sondern kommuniziert mit dem Patienten immer auf Augenhöhe, fragt nach Gefühlen und Empfindungen und bietet Bilder und positive Verstärker an.» 

«Im Zustand der Trance findet keine Kritik oder Bewertung durch das eigene Ich statt».

Christian Ziegler, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Ausbilder und Supervisor der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Hypnose (SMSH)

Der Hypnosezustand dient innerhalb der Therapie vor allem als unterstützendes Element, um dem Patienten noch besser helfen zu können. «Im Zustand der Trance findet keine Kritik oder Bewertung durch das eigene Ich statt», sagt Ziegler. «Das bietet die Chance, verborgene Stärken freizulegen, neue Einsichten zu gewinnen und diese auch anzunehmen, was im Wachzustand nur schwer oder gar nicht möglich gewesen wäre.»

Der Patient findet im Zustand der Hypnose also bessere Bedingungen vor, um die Lösung für seine Probleme selbst zu finden und schadhafte Muster zu ändern. Der Therapeut begleitet und unterstützt ihn auf dem Weg dorthin und hilft ihm dabei, die gewonnenen Erkenntnisse in den Alltag zu übertragen. «Diese Aufgabe ist sehr verantwortungsvoll und erfordert vom Therapeuten viel Einfühlungsvermögen, Fingerspitzengefühl und auch fachliches Know-how, das weit über die alleinigen Kenntnisse von Hypnosetherapie hinausgeht», sagt der Ausbilder der SMSH. «Wir sagen den Studenten deshalb immer, dass sie nichts mit Hypnose behandeln sollen, was sie nicht auch ohne Hypnose behandeln können.»

Kinder sind besonders empfänglich

Wegen ihrer Fantasie, Verspieltheit und Vorstellungskraft sind Kinder und Jugendliche für Hypnose besonders empfänglich. «Ob sie Ihre hypnotische Welt mit Erwachsenen teilen können oder wollen, ist jedoch eine offene Frage im Einzelfall», so Ziegler. «Hier kann und darf man nichts erzwingen.» Wichtigste Voraussetzung für die Bereitschaft ist das gegenseitige Vertrauen. «Das Kind oder der Jugendliche muss sich vollkommen sicher und akzeptiert fühlen», sagt der Thuner Kinder- und Jugendpsychiater. «Dazu muss der Behandler in der Lage sein, sich individuell auf die Gefühlswelt des Kindes einzustellen. » 

Sobald das geschafft ist, kann die Einleitung in die Hypnose beginnen. «Dazu wird über bildhafte, altersgemässe Sprache, Augenfixation und Körperwahrnehmung die Aufmerksamkeit allmählich auf das Innere gelenkt», schildert Ziegler. 

Der Therapeut erteilt in der Hypnose keine Befehle, sondern kommuniziert auf Augenhöhe. 

«Bei Kindern ab Schulalter ist das meist allein mit Worten möglich, bei kleineren Kindern ist der zusätzliche Einsatz von passenden Gegenständen wie Plüschtieren sinnvoll.» Während der Hypnosebehandlung unterstützt der Therapeut das Kind mithilfe von Bildern und positiven Verstärkern ganz behutsam darin, das unerwünschte Symptom oder Verhalten allmählich in den Griff zu bekommen. Die Hypnose kann dabei als eigenständige Sitzung oder auch in Form von kurzen hypnotischen Elementen innerhalb eines therapeutischen Gesprächs erfolgen. Die kleinen Patienten sind die ganze Zeit über ansprechbar und erinnern sich an das Geschehene. «Im Anschluss erfolgt dann eine posthypnotische Suggestion, durch welche die gewonnene Erkenntnis auf den späteren Alltag übertragen werden kann.»

Entspannte Kinder beim Arztbesuch

Die Wirksamkeit von Hypnose ist wissenschaftlich belegt und der veränderte Bewusstseinszustand ist über Hirnstrommessung und bildgebende Verfahren wie Kernspintomografie messbar. Als unterstützendes Element wird Hypnose bei Kindern deshalb schon lange erfolgreich in der Psychotherapie verwendet und kommt auch in der kinderärztlichen Praxis bei vielen somatischen und psychosomatischen Beschwerden zum Einsatz. 

Aber auch, wenn es einfach nur darum geht, eine angstfreie Behandlungssituation – zum Beispiel beim Zahnarzt – zu schaffen, kann Hypnose helfen. Schlafsaft für den Zahn Unbehagen oder gar Angst beim Zahnarzt sind weit verbreitet. Nach Untersuchungen haben bis zu 70 Prozent der Patienten zumindest ein mulmiges Gefühl. «Kinder stehen dem ersten Zahnarztbesuch zwar in der Regel unvoreingenommen gegenüber, doch Ängste der Eltern können sich auf die Kleinen übertragen», weiss Prof. Christian Besimo, Präsident der zahnärztlichen Fachgruppe der SMSH. 

Der Patient findet im Zustand der Hypnose bessere Bedingungen vor, um sein Problem selbst zu lösen.

«Auch gutgemeinte Äusserungen wie ‹Du musst keine Angst haben, wenn der Doktor bohrt> oder ‹das tut gar nicht weh› schüren Ängste oft erst.» Denn das Kind hört: Doktor – Angst – bohrt – weh.

Mithilfe der gezielten Anwendung von hypnosesystemischer Sprache, die auf die Vorstellungswelt des Kindes oder Jugendlichen angepasst ist und unangenehme Vorgänge immer positiv benennt, lassen sich entspannende Trancezustände erreichen. «Wenn bei einem Erstklässler zum Beispiel Karies behandelt werden muss, dann sage ich dem Kind, dass wir einen Zahn heilen müssen, dazu darf der Zahn einen Schlafsaft (Lokalanästhetikum) mit dem Strohhalm (Spritze) trinken und wir zaubern dabei gemeinsam ein Zauberkissen (pelzige Stelle im Mund) für den Zahn», so Besimo. «Hilfsmittel wie eine Handpuppe als Stellvertreter können diesen Effekt noch verstärken.»

Basis für den entspannten hypnotischen Zustand ist immer das Vertrauen und dass das Kind sich darauf verlassen kann, dass nichts gemacht wird, was es nicht will. «Wichtig ist ausserdem, auch die Eltern miteinzubeziehen und sie darin anzuleiten, ihr Kind optimal zu unterstützen», betont der Zahnarzt. «Selbst Kinder und Jugendliche, die aufgrund schlechter Erfahrungen traumatisiert sind, können so wieder Vertrauen fassen und medizinischen Behandlungen entspannt und angstfrei begegnen.»

Worauf Eltern bei der Therapeutenwahl achten sollten

Der Hypnosetherapeut soll eine fundierte Ausbildung und möglichst einen medizinischen oder psychotherapeutischen Hintergrund haben sowie nachweislich Erfahrung speziell bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Leider ist die Berufsbezeichnung Hypnose- oder Hypnotherapeut bislang nicht rechtlich geschützt. Festgelegte Standards erfüllen die Mitglieder der anerkannten Hypnose- Fachgesellschaften wie die Schweizerische Ärztegesellschaft für Hypnose (SMSH), die Gesellschaft für klinische Hypnose Schweiz (ghyps) oder auch das Milton Erickson Institut Schweiz.

Hier wird Hypnose eingesetzt

Hypnose kann Kindern und Jugendlichen bei einer Vielzahl an Symptomen und Beschwerden helfen.

Typische Einsatzgebiete sind zum Beispiel:

• Ängste und Schmerzen
• Psychosomatische Beschwerden
• Traumatherapie
• Verhaltensauffälligkeiten
• Bettnässen und Schlafstörungen
• Allergien und Hautprobleme
• Darmbeschwerden
• Krebserkrankungen


Weiterführende Links und Literatur zum Thema Fachgesellschaften:

Schweizerische Ärztegesellschaft für Hypnose (SMSH), www.smsh.ch
Gesellschaft für klinische Hypnose Schweiz (ghyps), www.hypnos.ch
Milton Erickson Institut Schweiz, www.milton-erickson-institut-schweiz.ch

Eine Auswahl an Fachbüchern:
Lehrbuch der Kinderhypnose und -hypnotherapie, Karen Olness, Daniel P. Kohen, Verlag Carl Auer, 2. Auflage 2006 

Der kleine Lederbeutel mit allem drin. Hypnose mit Kindern und Jugendlichen, Susy Signer- Fischer, Thomas Gysin, Ute Stein, Verlag Carl Auer, 3. Auflage 2014


Zur Autorin:

Anja Lang ist langjährige Medizinjournalistin. Sie ist Mutter von drei Kindern und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.
Anja Lang ist langjährige Medizinjournalistin. Sie ist Mutter von drei Kindern und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.