26. September 2017
Kinder müssen verstehen, was sie mit fiesen Nachrichten bewirken
Lesedauer: 2 Minuten
Digitale Medien eignen sich besonders für Mobbing, weiss Mobbingexpertin Christelle Schläpfer. Im Interview erklärt sie, wie Lehrer, Eltern und Kinder mit Cybermobbing umgehen können.
Frau Schläpfer, Sie bieten Beratungen und Fortbildungen zum Thema Mobbing und Cybermobbing an. Was ist der Unterschied?
Cybermobbing ist anonymer, was die Hemmschwelle senkt. Im klassischen Mobbing sehe ich, was meine Handlung beim Gegenüber auslöst, und bin deshalb empathischer. Dieser Mechanismus fehlt hinter dem Bildschirm. Cybermobbing macht es zudem möglich, rund um die Uhr Hassnachrichten weltweit zu verbreiten. Das Opfer kann sich diesen nicht entziehen – weder zu Hause noch mit einem Schulwechsel.
Manchmal senden Jugendliche und Kinder Morddrohungen per WhatsApp. Wann machen sie sich strafbar?
Drohungen sind nach schweizerischem Strafgesetz eine Straftat – zum Beispiel eine Morddrohung oder Anstiftung zum Selbstmord. Viele Kinder und Jugendliche sind sich nicht bewusst, wie früh sie sich auf strafbarem Terrain bewegen. Sie verwenden bisweilen eine grobe Sprache in digitalen Medien. Ausdrücke wie «hey Alter» oder «du Schlampe» sind oft freundlich gemeint. Dienen sie als Beschimpfung, bewegen wir uns bereits im strafbaren Bereich. Oft wähnen sich Jugendliche auch in Sicherheit, weil sie minderjährig sind. Tatsächlich aber sind sie ab zehnjährig strafmündig und unterstehen dem
Jugendstrafgesetz.
Jugendstrafgesetz.
Wie gehen Eltern am besten vor, wenn ihr Kind Opfer von Cybermobbing wird?
Manche Kinder sagen nichts, aus Angst, die Eltern könnten überreagieren – zum Beispiel mit den Eltern des Täters oder mit dem Täter selbst reden. Das stachelt die Mobbingdynamik noch mehr an. Die erste Anlaufstelle ist in der Regel die Lehrperson. Manchmal reicht es schon, wenn diese die Klasse über das Strafgesetz aufklärt. Bei Drohungen und Verleumdungen rate ich aber, die Polizei einzuschalten. Vielleicht genügt vorerst eine Beratung durch den Jugenddienst. Wer sich dann für eine Anzeige entschliesst, muss diese innerhalb von drei Monaten machen. Beweismaterial kann zum Beispiel mit Printscreen gesichert werden. Was aber unter Sexting läuft, wie Nacktfotos oder Pornos, darf man nicht sichern, sonst macht man sich selber strafbar.
Ist die Lehrperson bei Cybermobbing verantwortlich? Whatsapp-Nachrichten werden ja auch ausserhalb der Schule verschickt.
Cybermobbing geht meist von Mitschülern aus. Es ist die Lehrperson, die täglich mit ihnen arbeitet. Sie ist die Einzige, die das Mobbing auflösen kann – egal, ob die Kommunikation über das Handy läuft oder im Flur stattfindet. Beliebt ist dabei der No-Blame-Approach: Nicht Schuldige werden gesucht, sondern eine ausgewählte Gruppe von Schülern erarbeitet eine Lösung Richtung Wiedergutmachung (Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi berichtete in seiner September-Ausgabe 2016). Viele Lehrer arbeiten immer noch mit Schuldzuweisung und Sanktionen. Dadurch wird ein Kind jedoch nicht sozialkompetent.
Jugendliche können daran zerbrechen. Die Leistungen sinken, so auch der Selbstwert.
Jugendliche können daran zerbrechen. Die Leistungen sinken, so auch der Selbstwert. Manche werden depressiv oder gar suizidal. Das Allerwichtigste für Mobbingopfer ist: nie alleine bleiben! Das Kind soll sich trauen, die Eltern einzubeziehen. Auch Die Dargebotene Hand oder Pro Juventute sind Anlaufstellen. Ausserdem braucht das Kind dringend psychologische Unterstützung.
Wie können Eltern ihre Kinder vor Cybermobbing schützen?
Manche Eltern verbieten Whatsapp und andere Plattformen. Das senkt zwar das Risiko für Mobbing, verhindert es aber nicht. Mobber tauschen sich trotzdem untereinander aus. Auch Handy ausschalten nützt nichts. Kaum schaltet das Kind das Handy wieder ein, sieht es die Nachrichten. Manchmal raten Eltern ihren Kindern, sich zu wehren, vielleicht gar mit körperlicher Gewalt. Davon rate ich dringend ab. Wird es erwischt, ist es doppelt Opfer. Den besten Schutz bietet Aufklärung. Kinder brauchen ein Bewusstsein dafür, was sie bewirken.