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Warum zu viel Sonnencreme gefährlich sein kann

Lesedauer: 5 Minuten

Schweizer Kinder werden zu oft mit Sonnencreme eingeschmiert. Es drohen Allergien und Hormonveränderungen. Wie sieht ein gesunder Sonnenschutz aus?

Text: Bianca Fritz
Bild: Fotolia

Aufschrauben, eincremen, sicher fühlen – das ist ein Mechanismus, der sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten eingeschlichen hat. Sonnencremes mit einem Lichtschutzfaktor (LSF) unter 6 sind inzwischen nicht mehr im Handel zu haben. Verbraucher greifen immer häufiger zu Cremes mit LSF 30 und darüber. 

Dermatologinnen, Apotheker und die Hautkrebslobby haben ein Bewusstsein dafür geschaffen haben, dass wir unsere Haut schützen müssen. Immerhin gilt die Schweiz mit jährlich rund 2000 neu diagnostizierten Patienten mit schwarzem Hautkrebs und geschätzten 15 000 mit hellem Hautkrebs als eines der besonders stark von Hautkrebs betroffenen Länder. 

Viele Jugendliche gehen davon aus, man müsse sich nur eincremen und könne dann gefahrlos schulterfreie Oberteile tragen.

Dagegen ist Sonnenschutz die wichtigste Präventionsmassnahme. Ganz besonders für Kinder und Jugendliche. Denn wie gross unser Hautkrebsrisiko sein wird, entscheidet sich bereits in jungen Jahren. Aber es gibt auch kritische Stimmen gegen die Sonnencreme. 

Zum einen vermittelt sie eine trügerische Sicherheit:  Die Wirkung des Eincremens wird häufig überschätzt. Das fand die Universität Basel bei einer Befragung von Jugendlichen im Jahr 2012 heraus. Eincremen galt für viele als selbstverständlich – den Schatten aufzusuchen und sich zu bedecken allerdings nicht. So ist zu erklären, dass das selbstverständliche Eincremen die Zahl der Sonnenbrände gar nicht reduziert hat.

Mehr als die Hälfte aller Schüler und Schülerinnen gab an, im Vorjahr mindestens einen Sonnenbrand erlitten zu haben. Viele gehen offenbar davon aus, man müsse sich nur eincremen und könne dann gefahrlos schulterfreie Oberteile tragen und in der Sonne an einer schönen Bräune arbeiten.

Und die Fehleinschätzung ist nicht die einzige Gefahr aus der Sonnencremetube: Wer nach den Begriffen Sonnenmilch und Gefahr googelt, kann schnell das Gefühl bekommen, dass wir uns pures Gift auf die Haut schmieren, das erst recht für Krebs sorgt, unsere Haut allergisch aufschwellen lässt und unseren Hormonspiegel durcheinander bringt. 

Sonnencremes sind chemische Mittel, die eine Wirkung auf den Körper haben.

Nathalie von Götz, Senior Scientist ETH Zürich

Alternative Gesundheitswebseiten raten dazu, sich doch lieber mit Sesam- oder Kokosöl einzuschmieren. Sie bleiben aber eine Prognose schuldig, wie lange man sich dann in die Sonne legen dürfe. Die gute Nachricht zuerst: Viele der Substanzen, die im Verdacht stehen, gesundheitsschädigend zu sein, sind in der Schweiz ohnehin verboten. Und zumindest Produkte für sensible Haut und Kinderhaut verzichten weitgehend auf allergieauslösende Parfumstoffe.

Trotzdem bleibt die Sonnencreme in Diskussion. Erst im Frühjahr 2019 zeigte wieder eine US-Studie (veröffentlicht im Fachmagazin Jama), dass die Inhaltsstoffe schneller und in höherer Konzentration ins Blut geraten, als bisher angenommen. Weitere Untersuchungen sollen folgen.

«Sonnencreme nützt definitiv mehr, als dass sie schadet», sagt Natalie von Götz, Senior Scientist und Dozentin an der ETH Zürich am Institute of Chemical and Bioengineering. Sie hat 2015 untersucht, wie viel Sonnencreme die Schweizer verwenden und ob dabei chemische UV-Filter in bedenklichen Mengen aufgetragen werden. Dabei fand sie heraus: Schweizer cremen sich und insbesondere ihre Kinder zu häufig mit bedenklichen Stoffen ein.

Ausgerechnet die Produkte für Kinder sind betroffen

In der Untersuchung wurden zwei Stoffe gefunden, welche in den verwendeten Mengen zum Problem werden könnten: Octocrylen kommt in vielen hier erhältlichen Sonnencremes vor und kann Allergien auslösen. Wie viele Menschen darauf reagieren, ist schwer festzustellen, da sich nur wenige Menschen auf eine Allergie untersuchen lassen.

«Wenn Hautreaktionen nach dem Sonnenbad auftreten, denken viele Menschen an eine Sonnenallergie, nicht aber daran, dass es auch eine allergische Reaktion auf die Sonnencreme sein könnte.» Dennoch melden immer mehr Dermatologen, dass sie Allergien gegen Octocrylen feststellen.

Schatten allein schützt nicht vor Sonnenbrand. Es gelangen weiterhin 50 bis 90 Prozent der gefährlichen UV-Strahlen an die Haut.

Der zweite umstrittene Stoff trägt den Ungetüm-Namen Ethylhexylmethoxycinnamat, kurz EHMC. Ausgerechnet Kleinkinder sind dieser Substanz am stärksten ausgesetzt, weil sie in einigen Sonnenschutzprodukten vorkommt, die speziell für Kinder beworben werden. Ausserdem wird der Stoff häufig in Kosmetika und Gesichtscremes mit Lichtschutzfaktor verwendet – möglicherweise schlicht deshalb, weil der Stoff günstiger ist, als andere UV-Filter.

EHMC wirkt allerdings hormonaktiv – kann also Einfluss auf den Hormonhaushalt haben. «Wenn das bei der Entwicklung des Embryos durcheinander gerät, können beispielsweise Hodenhochstand bei Kleinkindern und ein verfrühtes Einsetzen der Pubertät die Folge sein», sagt von Götz.

Bisher sei allerdings noch ungenügend untersucht, wie und wieviel der umstrittenen Substanzen aus den Cremes über die Haut in den Stoffwechsel gerät und was dort mit den Substanzen geschieht. Die Forschungsgruppe der ETH Zürich empfiehlt daher weitere Untersuchungen und eventuell auch die Grenzwerte für die Substanzen weiter zu senken.

Tipps für Eltern

  • Bevor man eincremt: überlegen, wie lange man an einem Tag überhaupt draussen sein wird. Im Zweifel: Sonnencreme mitnehmen und unterwegs einschmieren.
  • Tages- und vor allem Nachtcreme mit UV-Schutz meiden. Lieber gezielt an sonnigen Tagen eincremen. Falls man aber Kosmetik mit UV-Schutz verwenden will: Besser prüfen, ob Ethylhexylmethoxycinnamat (EHMC) auf der Inhaltsliste steht.
  • Sonnenschutz durch Kleidung vorziehen. Dicht gewebte Kleider oder spezielle UV-Shirts schützen die Kinderhaut besonders in den Bergen und am Strand – und minimieren die Hautfläche, die wiederholt eingecremt werden muss.
  • Bei Hautreaktionen beim Dermatologen eine mögliche Allergie auf Inhaltsstoffe der Sonnencreme abklären.

Sollten Eltern derweil die Produkte mit Octocrylen und EHMC meiden? Von Götz gibt sich zurückhaltend, möchte Substanzen nicht grundsätzlich «verteufeln». Sie selbst nutze für sich und ihre Kinder ein Produkt, das auch den potentiell allergieauslösenden Stoff Octocrylen enthält. «Aber ich halte Mass und bin mir bewusst, dass Sonnencremes chemische Mittel sind, die eine Wirkung auf den Körper haben – das sollte man bei Kosmetika immer bedenken», sagt sie. Davon Kinder im Sommer einfach jeden Tag prophylaktisch einzucremen rät von Götz allerdings ganz klar ab (siehe Tipps unten).

Alternativen zu chemischen Sonnencremes

Wem das zu schwammig ist und wer lieber ohne Chemie auskommen will, für den gibt es natürlich Alternativen. Von allen Seiten empfohlen wird der mechanische Sonnenschutz – also das Abschirmen der Sonne durch Kleidung wie Hüte, spezielle Sonnenschutz-Shirts und Sonnensegel. Schatten allein schützt nicht vor Sonnenbrand. Hier kommen – je nachdem, welche Studie man zu Rate zieht – noch immer 50 bis 90 Prozent der gefährlichen UV-Strahlen an die Haut.

In der Schweiz sind ausserdem Sonnenschutzmittel mit dem physikalischen oder auch mineralischen Sonnenschutzfilter Titandioxid auf dem Markt. Der Stoff ist natürlich und bietet einen guten Sonnenschutz, allerdings zieht die Creme oft nur schwer ein – ein weisser und klebriger Film bleibt auf der Haut zurück. Ausserdem reagieren einige Menschen auf die mineralischen Filter allergisch.

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«Eine Alternative ist Kinderschutzcreme mit Nano-Titandioxid», sagt von Götz. Diese lasse sich leichter verteilen und ziehe schneller ein. Allerdings ist Nanotechnologie wieder nicht mehr natürlich und hat ihrerseits wieder viele Kritiker. Von Götz: «Bisher ist mir keine Studie bekannt, die besagt, dass die Aufnahme von Nanoteilchen über die intakte Haut kritisch sei.» Vorsicht sei aber bei Wunden geboten oder wenn die Teilchen inhaliert werden könnten.

Von Experimenten mit Sesamöl und Kokosöl rät von Götz entschieden ab – wie hier ein Sonnenschutz zustande kommen sollte, sei ihr schleierhaft. Ein weiterer natürlicher Schutz vor der Sonne ist das hauteigene Melanin. Sprich eine gesunde Bräune. Aber die zu erreichen, ist eben ein Balanceakt zwischen Schaden und Nutzen.

Der Artikel stammt aus dem Jahr 2017 und wurde von uns mit neuen Erkenntnissen ergänzt.

Das Wichtigste in Kürze
  • Sonnenschutz ist die wichtigste Massnahme, um das Hautkrebsrisiko zu senken. Trotzdem erkranken in der Schweiz jährlich rund 20 000 Personen an dunklem und 15 000 Personen an hellem Hautkrebs.
  • Auch im Schatten kann man sich mit 50 bis 90 prozentiger Wahrscheinlichkeit einen Sonnenbrand holen.
  • Besonders chemische UV-Filter mit schädlichen Inhaltsstoffen werden in der Schweiz bei Kindern häufig verwendet.
  • Die Expertin rät, Sonnenschutzprodukte bei Kindern nur punktuell zu verwenden und nicht jeden Tag aufzutragen. Schliesslich handelt es sich dabei um Chemie, die in die Haut einzieht und ins Blut gelangt.
  • Besonders wirksam ist das Abschirmen der Sonne durch Hüte, Sonnenschutz-Shirts und Sonnensegel.
  • Machen Sie an Hitzetagen über Mittag eine Siesta zu Hause und vermeiden sie die besonders sonnenintensive Stunden zwischen 11 und 15 Uhr.

Bianca Fritz
Bianca Fritz ist freie Autorin und berät Selbständige und kleine Unternehmen in ihrem Social Media Marketing. Ein Gebiet, das besonders viel Selbstdisziplin und Achtsamkeit braucht.

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