26. September 2017
Herr Arn, wann macht Schule Freude?
Interview: Claudia Landolt
Bilder: Samuel Trümpy
Bilder: Samuel Trümpy
Lesedauer: 3 Minuten
Achim Arn ist Lehrer einer integrativen und altersgemischten Unterstufe. Bei ihm im Unterricht gibt es keine Prüfungen und keine Lehrmittel. Wie funktioniert das?
Herr Arn, gehen Ihre Schülerinnen und Schüler gern zur Schule?
Ja, und genau deshalb zeigen sie grossen Einsatz und tolle Leistungen. Leistung und Freude sind keine Widersprüche, sondern helfen sich gegenseitig.
Achim Arn verzichtet in seinem Unterricht unter anderem auf Lehrmittel.
Ihre Klasse ist eine besondere Lerngemeinschaft. So arbeiten Sie beispielsweise ohne Lehrmittel. Warum?
Das Leben und Lernen jedes Kindes ist einzigartig. Es findet immer im Hier und Jetzt statt und lässt sich folglich nicht wiederholen. Wir wollen mit den Kindern neue Wege gehen und nicht ausgetretene Pfade. Das ist spannender und nachhaltiger. Diese Wege dokumentiert jedes Kind in seinem – zu Beginn leeren – Forscherheft. So kommen in drei Schuljahren gut und gerne über 20 sehr individuelle Hefte zusammen. Ein echter Schatz, auf den die Kinder sehr stolz sind! Ganz «nebenbei» fördern wir damit nicht nur das Rechnen, Schreiben, Lesen usw., sondern auch eigenständiges Denken.
Was stört Sie an üblichen Lehrmitteln?
Aus meiner Sicht orientieren sich die Lehrmittel, Arbeitsblätter, Werkstattposten usw. viel zu wenig an den Fragen und der Erlebniswelt der Kinder. Das können sie auch nicht, denn dazu sind die Kinder, ihre Hintergründe und ihre Möglichkeiten viel zu verschieden. Daneben verleiten Lehrmittel auch zu einer Abarbeitungs- und Erfüllungsmentalität.
In Ihrer Klasse sind Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Alle sind immer voll dabei.
Es ist nicht nur normal, verschieden zu sein, sondern richtig toll! Denn erst durch diese unterschiedlichen Fähigkeiten und Hintergründe wird das Von- und Miteinanderlernen in unserer Klasse so spannend. Um diesen Umstand zu nutzen, arbeiten wir alle meist an demselben Thema oder derselben Aufgabe. Natürlich auf verschiedenen Niveaus und mit verschiedenen Zugängen, aber dennoch miteinander! Dabei merken wir dann alle, wie schön es ist, andern zu helfen, aber auch Hilfe annehmen zu können. Das ist für mich gelebte Inklusion.
Bei Ihnen helfen alle Kinder einander ganz selbstverständlich. Sie als Lehrperson geben also Verantwortung ab.
Genau. Das geht aber nur, wenn man die Grundhaltung des Miteinanders verinnerlicht. Die Kinder sind mit mir gemeinsam für das Lernen jedes Kindes unserer Klasse verantwortlich. Das heisst aber, dass sie den Unterricht auch mitgestalten dürfen. Diese Haltung fordert gerade auch Kinder, die sehr schnell lernen. Durch ihre Mithilfe habe ich dann wiederum genug Zeit für ihre neuen Lernschritte.
«Stärke heisst für mich, seine eigenen Grenzen und Fehler wahrzunehmen.»
Achim Arn, Heilpädagoge
«Schwächere Kinder» ist ein Ausdruck, den Sie bewusst vermeiden.
Schwäche klingt hier als Abwertung der Leistung eines Kindes. Diese normative Aussage wird niemandem gerecht, der sein Bestes gibt, und ist hinderlich für das Lernen. Dennoch ist es wichtig, dass jedes Kind lernt, einen selbstbewussten Umgang mit den eigenen Begrenzungen zu finden. Es geht darum, zu den eigenen Grenzen stehen zu können und sich mit der eigenen Fehlbarkeit auseinanderzusetzen. Das wiederum empfinde ich als Stärke.
In Ihrer Klasse gibt es keine Prüfungen. Warum? Und wie ist das möglich?
Prüfungen und Noten orientieren sich an einer Altersnorm und nicht am einzelnen Kind. Das hat für viele Kinder und ihre Lernbiografie negative Folgen. Deshalb verzichten wir im Unterricht auf Prüfungen. Als Klasse in einer öffentlichen Schule sind wir jedoch gezwungen, halbjährlich Zeugnisse abzugeben. Die dort enthaltenen Noten basieren auf den Leistungen in den Forschungsheften der Kinder und auf Beobachtungen im Unterricht. Aber auch gegenüber diesen Noten sind wir kritisch und besprechen dies auch mit den Kindern und Eltern.
Bei Achim Arn sind die Kinder mitverantwortlich für das Lernen ihrer Klassenkameraden.
Wie wirkt sich das integrative und altersdurchmischte Lernen auf die spätere Laufbahn Ihrer Schüler aus?
Zahlen und Statistiken dazu habe ich keine – woher auch? Und allgemeine Aussagen dazu zu machen, liegt mir fern, denn weder Integration noch Altersdurchmischung garantieren guten Unterricht und Schulerfolg. Für die Kinder zählt einzig, was ihre Lehrpersonen und das Umfeld mit ihnen leben und lernen. Was ich zur Frage ganz persönlich sagen kann, ist, dass mich und unsere Klasse immer wieder ehemalige Schülerinnen und Schüler besuchen. Ich staune dabei immer wieder über den Weg, den diese jungen Menschen gehen und gegangen sind. Dass einige von ihnen Dinge erreicht haben, welche ihnen viele nie zugetraut hätten, freut mich dann umso mehr.
Zur Person:
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