Früher oder später findet jedes Kind einen Freund - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Früher oder später findet jedes Kind einen Freund

Lesedauer: 4 Minuten

Der Kindergarten ist ein wichtiger Ort für Kinder, um Freundschaften zu schliessen. Doch wie geht das genau? Und was können Eltern tun, wenn ihr Kind dabei Mühe hat? Maria von Salisch, Professorin für Entwicklungspsychologie, über das Anfreunden und den Einfluss von Freunden auf die Persönlichkeitsentwicklung.

Interview: Florina Schwander
Bild: Niki Boon

Greta und Tim spielen gerne zusammen. Beide mögen die Rollenspiele in der Familienecke im Kindergarten. Greta ist die Dominantere, sie liefert oft die Ideen für die Spiele, Tim sorgt immer wieder für gemeinsame Lacher. Die beiden sind Freunde. Darauf angesprochen, warum Tim ihr Freund sei, meint Greta, dass Tim eben lustig sei. Und Tim wiederum erklärt, dass Greta gute Ideen habe.

Frau von Salisch, gute Ideen und Humor, ist das ein gängiges Rezept für Freundschaften im Kindergartenalter? 

Unbedingt! Mehr braucht es nicht. Mit ungefähr drei bis vier Jahren fangen Kinder an, Freundschaften zu schliessen. Diese sind meist zweck­orientiert und aktivitätsbasiert – sie fussen auf gemeinsamen Interessen. Lustige Vorschläge zum Spielen rei­chen für Greta und Tim sowie die meisten Kinder in dem Alter.

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Wie genau finden Kinder Freunde? 

Ganz einfach: Ein Kind nimmt das andere an der Hand und fragt: «Willst du mit mir spielen? Willst du mein Freund sein?»

Und wenn das andere «Nein» sagt? 

Dann probiert es das Kind am nächs­ten Tag noch einmal. Und am über­nächsten. Kinder sind unglaublich hartnäckig, wenn es darum geht, etwas zu erreichen. Freunde zu fin­den, für sich einzunehmen und dann auch zu behalten, ist eine der gröss­ten eigenständigen sozialen Leistun­gen eines Kindes.

Maria von Salisch ist Professorin für Entwicklungspsychologie an der Leuphana Universität in Lüneburg und Mutter zweier erwachsener Kinder. Ihr Schwerpunkt ist die soziale und emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sowie die Bedeutung von Kinderfreundschaften. Als Kindergartenkind fand sie in einem knallroten Rennauto ihren besten Kumpel, dem sie all ihre Sorgen und Nöte erzählte.
Maria von Salisch ist Professorin für Entwicklungspsychologie an der Leuphana Universität in Lüneburg und Mutter zweier erwachsener Kinder. Ihr Schwerpunkt ist die soziale und emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sowie die Bedeutung von Kinderfreundschaften. Als Kindergartenkind fand sie in einem knallroten Rennauto ihren besten Kumpel, dem sie all ihre Sorgen und Nöte erzählte.

Und doch gibt es Eltern, die sich sorgen, ihr Kind finde dereinst keine Freunde.

Da kann ich Sie beruhigen: 98 Pro­zent aller Kinder im Kindergarten­alter finden Freunde. Das Hauptinteresse in diesem Alter liegt im Spiel, und das macht zusammen einfach mehr Spass. Alleine spielen, egal ob Rollenspiele, Verstecken oder Fussball, ist für die meisten Kinder in diesem Alter nicht verlockend.

Und doch, ganz so einfach ist es nicht, wie Maria von Salisch dann erläutert: Gewisse Kinder tun sich schwer damit, Freunde oder Freun­dinnen zu finden. Sie ecken an, fin­den keinen Zugang zu bestehenden Gruppen. In solchen Situationen sind die Lehrpersonen im Kinder­garten gefordert. Sie können solche Kinder «coachen», beispielsweise dass sie im richtigen Moment fragen, ob sie in einer Gruppe mitspielen dürfen. Wenn ein Kind mit einer eigenen Idee dazustösst, wird die Idee oft abgelehnt. Lehrpersonen kennen solche Situationen und kön­nen die einladenden Signale der anderen Kinder deuten und beim Übersetzen helfen, wenn sich ein Kind schwer tue damit, so Maria von Salisch weiter. Der Kindergarten ist also der ideale Ort, um Freunde zu finden. In der freien Zeit werden diese Freundschaften dann vertieft.

Wie oft soll ein Kind seine Freunde und Freundinnen ausserhalb des Kindergartens treffen?

Da gibt es keine Regel. Mit guten Freunden Zeit zu verbringen, macht einfach Spass. Das geht Kindern wie Erwachsenen gleich. Besonders Kin­der wollen ihre Freunde so oft wie möglich sehen. Wir Eltern müssen ein gutes Mass finden: Die erste Kin­dergartenzeit ist sehr anstrengend, da ist es wichtig, dass die Kinder auch mal zur Ruhe kommen.

Nun hat das Kind einen Freund gefunden, den man selber gar nicht gut findet. Kann man Kindern ihre Freunde ausreden?

Ich plädiere hier für die Wahlfreiheit des Kindes. Irgendetwas findet es an dem anderen Kind spannend! Das sollten wir als Eltern erst einmal akzeptieren. Wir könnten herausfin­den, was genau das Kind denn bei dem anderen so toll findet. Ist es die Barbie­-Kollektion? Oder der grosse Bruder mit der Carrera­-Bahn? Das Kind hat einen Freund gefunden und das sollten wir respektieren, solange niemand darunter leidet.

Wie war das bei Ihren Kindern?

Mit unseren Kindern haben wir es jeweils so gemacht, dass wir auf gar keinen Fall ein schlechtes Wort über einen bestimmten Freund verloren haben. Wir haben andersherum ver­sucht, uns «genehmere» Freunde zu fördern. «Möchtest du nicht mal Emma mitnehmen ins Schwimm­bad?», zum Beispiel. Das war meist effektiver als aktives «Entfreunden­ wollen». Wir wollten nicht den Selbstwert unserer Kinder schädi­gen, indem wir ihre Freundeswahl anzweifelten.

Können Eltern beeinflussen, mit wem sich das Kind anfreundet?

In dem Alter in der Regel ja. Wenn Sie eine gute Freundin mit einem Kind im ähnlichen Alter haben und zusammen coole Sachen unternehmen, dann finden sich die Kinder meist in Aktivitäten, die beiden Spass machen. Mit zunehmendem Alter wird das Anfreunden aber schwierig, dann suchen sie sich ihre Freunde eher psychologisch motiviert aus und nicht mehr rein aktivitätsbasiert. Je älter das Kind, desto schwieriger wird es, dass es sich auch mit den Kindern unserer Freunde versteht. Das sollten wir respektieren und dem Kind die Wahl lassen.

Welchen Einfluss haben Freunde auf die Persönlichkeitsentwicklung? 

Freundschaften sind für die Sozial­kompetenz unentbehrlich. Freunde stellen einander vor moralische Pro­bleme – sie tun nicht immer das, was sie aus Sicht des anderen tun sollten. Sie halten eine Verabredung nicht ein oder treffen sich lieber mit einem anderen Kind. An den nachfolgen­ den Aushandlungen reifen Kinder. 

Was, wenn Kinder sich streiten?

Mit Freunden spielen macht Spass, mit seinen Freunden streiten hin­gegen weniger. Auch die Konflikt­fähigkeit will gelernt sein. Eltern wie Kindergartenlehrpersonen sollten erst einmal abwarten und beobach­ten, wenn Kinder sich streiten. Oft­mals wird eine Lösung gefunden, auf die Erwachsene nicht gekommen wären, die für die beteiligten Kinder aber völlig in Ordnung ist.

Kinder schliessen einander im Spiel manchmal aus. Wie soll man damit umgehen?

Grundsätzlich kann regelmässiges Ausschliessen auch im Kindergarten schon Mobbing sein. Dann müssen die Lehrpersonen handeln. Anderer­seits gehört es zum Freundefinden dazu, dass man mit gewissen Kin­dern eben nicht spielen möchte. 

Was können Eltern oder Lehrpersonen in solchen Fällen tun?

Ich würde als Erstes das Gespräch mit dem ausgeschlossenen Kind suchen. Warum denkt es, dass es ausgeschlossen wird? Ist es schlimm für ihn oder sie? Sieht es eine Mög­lichkeit, wie es Zugang zum Spiel finden könnte? Ich habe beispiels­weise bei meinem Sohn beobachtet, wie seine Gruppe beim Fussball­ spielen einmal einen anderen Buben nicht mitspielen liess. Darauf ange­sprochen meinte mein Sohn, dass sich der andere einfach nicht an die Regeln halte. Es lohnt sich, genau hinzuschauen und das Gespräch mit den Kindern zu suchen.

Was ist mit den restlichen zwei Prozent, die keine Freunde finden?

Da gibt es ganz verschiedene Gründe, warum diese Kinder keine Freunde haben. Einige wollen nicht, andere haben vielleicht tiefer liegende Pro­bleme. Im Endeffekt finden aber auch diese Kinder Freunde, einfach viel­leicht ein bisschen später oder auf einer anderen Ebene. Freunde finden und behalten braucht Zeit und kostet viel Energie, man muss auch schwie­rige Momente meistern und Konflik­te lösen können. Das können Kinder meist besser, wir Erwachsenen müs­sen uns manchmal nur ein bisschen gedulden.

Florina Schwander
mag Kinder, Geschichten, Pflanzen, Kaffee, Flipflops und Code. Sie ist Mutter einer Tochter und von Zwillingsjungs im Primarschulalter.

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