Das kannst du doch nicht anziehen! - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Das kannst du doch nicht anziehen!

Lesedauer: 3 Minuten

Zu enge Hosen, zu viel Make-Up und auf jedem Rücken der gleiche Rucksack: Warum Mode für Jugendliche so schwierig ist und wie Eltern sie unterstützen können, haben wir Fashion Consultant Melanie Albisser gefragt.

Frau Albisser, wäre ich mit 15 Jahren in Ihre Modeberatung gekommen, hätte ich weite tiefsitzende Hip-Hop-Hosen getragen, die den Bund der Unterhose freigeben. In meinem Fall hätte auf dem Bund nicht Calvin Klein gestanden, sondern Backstreet Boys. Und dazu ein enges, bauchfreies Top. Hätten Sie mir das ausgeredet?

Nein, nicht grundsätzlich. Aber ich hätte vermutlich nach ihrem Freundeskreis gefragt und versucht herauszufinden, ob Sie sich denn nun mehr als Hip-Hopper oder als Girlie sehen. Was ist Ihre Lebenssituation? Zu welchen Gruppen möchten Sie dazu gehören? Das hätte ich dann als Anhaltspunkt genommen, um nach einem Look zu suchen, in dem Sie sich wirklich wohl fühlen und glücklich sind. 

Aber ich sah doch unmöglich aus!

Ja, aus heutiger Sicht. Jeder kennt das Phänomen, dass man Fotos von früher sieht und sich sagt: Wie konnte ich nur? Aber wir werden geprägt von dem, was wir sehen. Daher brauchen die Looks von den Laufstegen auch zwei bis drei Jahre, bis wir wirklich bereit sind, diese zu tragen.
«Bei Mädchen sind Eltern oft besorgt, dass sie sich zu sexy anziehen», weiss Melanie Albisser. Sie berät Erwachsene und Teenager als Stylistin und Fashion Consultant.
«Bei Mädchen sind Eltern oft besorgt, dass sie sich zu sexy anziehen», weiss Melanie Albisser. Sie berät Erwachsene und Teenager als Stylistin und Fashion Consultant.

Warum kommen Teenager zu Ihnen?

In erster Linie werden Sie von Ihren Eltern geschickt – denn die haben das Budget. Gerade bei Jungs ist das Motiv meist das erste Vorstellungsgespräch. Besonders wenn sie bis anhin nur legere Klamotten getragen haben. Bei Mädchen sind Eltern oft besorgt, dass sie sich zu sexy anziehen, andere Eltern spüren bei ihren Kindern Unsicherheiten betreffend der Figur. Oder, dass die Kinder nur Marken-Kleider tragen wollen, weil sie nicht wissen, was ihnen gefällt.

Und wo sehen Sie selbst die grössten Probleme? 

Aus Unsicherheit werden oft Problemzonen zu fest betont, wenn es diese denn gibt. Vor allem tragen Mädchen meist die falschen Hosenschnitte. Sie verstehen noch nicht, dass man nicht jedem Trend folgen muss und kann. Keiner kann alles tragen was angesagt ist. Es ist abhängig von der Figur und von der eigenen Persönlichkeit. Und gerade bei den Mädchen ist das Problem tatsächlich auch, dass sie stark übertreiben, wenn sie ausgehen: Sehr viel Haut, sehr viel Schminke.

Ist das denn so schlimm?

Nicht, wenn die Mädchen diese Kleider bewusst wählen. Viele Eltern kommen auch mit übertriebenen Sorgen zu mir, und dann bremse ich sie. Mit den Mädchen spreche ich dann – ohne Eltern – darüber, welche Kleidung was kommuniziert. Sie dürfen selbstverständlich anziehen, was sie möchten. Aber ich möchte, dass sie sich fragen, was sie mit ihrer Kleidung ausdrücken.

Täuscht der Eindruck, oder sind die meisten Teenager heute sehr ähnlich angezogen?

Tatsächlich gibt es eine gewisse Konformität. Das liegt an den vielen Bloggern und Influencern, die ja im Prinzip auch nur der verlängerte Arm der Modebranche sind. Mit einem wichtigen Unterschied: Früher hatten wir nur die Werbung der Firmen, die wenig mit unserem Leben zu tun hatte. Heute zeigen gleichaltrige Identifikationsfiguren, was du tragen sollst. Das hat emotional eine ganz andere Qualität.

Warum suchen Jugendliche modische Vorbilder?

Die Jugendlichen sind wirklich in einer schwierigen Situation: Sie stehen zwischen den Erwartungen der Eltern und denen ihrer Freunde und gleichzeitig erwartet die Gesellschaft von ihnen, möglichst authentisch zu sein. Selbst dann, wenn dafür noch das nötige Selbstbewusstsein fehlt. Da ist es natürlich hilfreich, wenn man jemanden zu Rate ziehen kann, der Ahnung hat und gleichzeitig Aussenstehender ist – also keine eigenen Ängste und Erwartungen auf das Kind projiziert.

Was raten Sie Eltern, die ihre Kinder bei der Suche nach dem eigenen Stil unterstützen möchten, ohne einen Coach hinzuzuziehen?

Suchen Sie ein in einem ruhigen Moment das Gespräch und stellen Sie wirklich offene Fragen. Warum möchtest du das tragen? Woher kommt diese Idee? Was gefällt dir daran? So finden Sie heraus, ob das Kind die Kleider wirklich gerne trägt, oder ob es einen Druck gibt. Oft sind es gar nicht die Teenager, die ein Problem mit ihrer Kleidung haben, sondern die Erwachsenen! Dann ist natürlich Selbstreflexion gefragt: Warum habe ICH denn ein Problem damit? Ermutigen Sie Ihr Kind, die Kleider zu tragen, in denen es wirklich glücklich ist und unterstützen sie es bei dem Verständnis der Kommunikation von Kleidung. Das Glück sollte über allem stehen. Wer sich wohlfühlt, kann auch beim Vorstellungsgespräch überzeugen. 

Zur Person:

Melanie Albisserarbeitet seit über 30 Jahren in der Modewelt und berät Erwachsene und Teenager als Stylistin und Fashion Consultant. Neben der individuellen Beratung bietet Sie gemeinsam mit Therapeutin und Coach Sibylla Lustenberger Seminare für Eltern an, in denen diese lernen, Teenager zu bewussten, eigenen Styling-Entscheidungen zu führen.
www.melaniealbisser.ch