Können Männer von Frauen lernen, Väter zu sein?
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Nein, sagt Jesper Juul. Männer können das Vatersein nur von anderen Vätern lernen – vor allem aber im Umgang mit ihren Kindern.
Eine Leserin schreibt: Ich bin verheiratet, mein Mann stammt aus Portugal. Wir haben einen gemeinsamen siebenjährigen Sohn. Unser Problem ist, dass ich der Meinung bin, dass mein Mann «altmodisch» denkt, wenn es um die Erziehung unseres Sohnes geht. Wir lesen gerade beide «Dein kompetentes Kind». Ich empfinde das Buch als Inspiration. Bei meinem Mann habe ich das Gefühl, dass er immer vergisst, was wir besprochen haben, und dann einfach so weitermacht wie bisher.
Verbote lähmen. Gleichwürdige Dialoge dagegen aktivieren und entwickeln das Gehirn.
Er wird immer sehr wütend, wenn ich ihn auf sein Verhalten in Konfliktsituationen mit unserem Sohn anspreche und ihn an die Vereinbarung erinnere, die wir aufgrund unserer Gespräche getroffen haben. Mein Mann sagt, dass er sich dadurch angegriffen fühlt und dass die Stimmung in unserer Familie darunter leidet. Er ist auch der Meinung, dass wir keine Konflikte haben dürfen, wenn unser Sohn uns zuhört. Aber ich sorge mich um unser Kind. Ich bin beunruhigt. Es bedrückt mich der Gedanke, dass unsere Ehe vielleicht sogar daran scheitern könnte. Ich bin sehr verzweifelt, denn ich liebe ja alle beide, aber was kann ich tun?
Jesper Juul antwortet:
Ich fürchte, ich muss Ihrem Mann Recht geben. Mit Ihrem Verhalten untergraben Sie seine Rolle als Vater. Sie können ihm dabei helfen, dass er als Elternteil wächst – aber sie können es auch verhindern. Aus meiner Erfahrung, die mittlerweile von der Forschung bestätigt wird, weiss ich: Väter können von den Müttern ihrer Kinder nicht lernen, Väter zu sein. Auch nicht von anderen Müttern.
Kinder sollten lernen, über ihre eigenen Gedanken, Gefühle, Erlebnisse und Werte zu sprechen statt über die anderer Menschen.
Sie können es nur von anderen Vätern und im Umgang mit ihren Kindern lernen. Beide Elternteile lernen vor allem von ihren Kindern. In einer Familie ist das Wohlbefinden aller der zentrale Punkt. Ihr Mann liegt absolut richtig, wenn er behauptet, dass er durch Ihre Kritik an Würde verliert. Vor allem in den Augen seines Sohnes. Es darf nicht passieren, dass Ihre Situation sich zu einem Machtkampf um die Fürsorge und das Wohlbefinden des Kindes entwickelt.
Kindern mit Einfühlungsvermögen begegnen
Wenn wir uns mit Elternschaft beschäftigen, sollten wir auch die Frage danach einbeziehen, wie wir jemand anderen zu lieben gelernt haben. Wie steht es um unsere Bereitschaft und Fähigkeit als Erwachsene, uns selbst und den anderen so zu lieben, wie er ist? Für Eltern ist es schwierig – aber nicht unmöglich –, ihren Kindern mit Einfühlungsvermögen und Interesse zu begegnen, selbst wenn sie dies als Kinder selbst nicht erlebt haben. Viele Erwachsene sind als Kinder in Familien gross geworden, in denen ihre Gefühle und Verhaltensweisen nicht anerkannt und ernst genommen wurden. Einige dieser Menschen sind sich der dadurch entstandenen Schmerzen durchaus bewusst und wollen mit ihren Kindern einen anderen Weg gehen. Andere haben die Schmerzen schlichtweg vergessen und unterdrücken ihre Gefühle. Es fällt ihnen schwer, Neues zuzulassen.
Die Fähigkeit, zu lieben, verfeinern
Das heisst nicht, dass diese Menschen dazu verdammt sind, ein Leben lang an ihrem Verhalten festzuhalten. Es kann in der zweiten oder dritten Generation durchaus gelingen, die Fähigkeit, zu lieben, zu verfeinern. Wenn sich Eltern aber ständig gegenseitig im Elternsein kritisieren, werden bald existenzielle Fragen auftauchen: nämlich danach, welchen Wert sie als Menschen haben.
Veränderungen entstehen in den Pausen
So entwickeln sich Streitigkeiten über das Kind oft zu emotionalen Unterhaltungen. Um den Kindern ein Vorbild zu sein, sollten die Gespräche deshalb mit Sanftmut und Sorgfalt geführt werden. Veränderungen werden nicht während der Diskussion stattfinden, sondern vielmehr in den Pausen zwischen den Gesprächen – oft auch unbewusst. Die beste Art, wie Sie Ihren Mann unterstützen können, ist, ihn und Ihren Sohn deren eigenen Weg gehen zu lassen. Ihr Mann wird sich weiterentwickeln, um der beste Vater zu sein – und Ihr Sohn wird lernen, mit ihm zurechtzukommen. Es ist sehr schwierig für ihn, mit Eltern zu leben, die sich mit ihrer Ehe plagen und vergebens versuchen, die jeweils andere Partei als besser oder schlechter darzustellen. Sollte sein Vater seine Männlichkeit dem Familienfrieden opfern, so hat Ihr Sohn ein nutzloses Vorbild als Mensch, als Vater und Partner.
Familientherapeut Jesper Juul schreibt für jede Ausgabe des ElternMagazins Fritz+Fränzi eine Kolumne. Sie wollen diese regelmässig lesen? Dann abonnieren Sie jetzt unser Heft.
Über Jesper Juul:
Jesper Juul ist Familientherapeut und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familien. 1948 in Dänemark geboren, fuhr er nach dem Schulabschluss zur See, war später Betonarbeiter, Tellerwäscher und Barkeeper. Nach der Lehrerausbildung arbeitete er als Heimerzieher und Sozialarbeiter und bildete sich in den Niederlanden und den USA bei Walter Kempler zum Familientherapeuten weiter. Seit 2012 leidet Juul an einer Entzündung der Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im Rollstuhl. Jesper Juul hat einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter Ehe geschieden.
Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen in Zusammenarbeit mit familylab.ch
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