Ein Baby als Empathielehrer
Fotos: Christian Grund / 13 Photo
Sie sind herzig, noch hilflos, aber gute Lehrer: Geht es nach der Organisation «Roots of Empathy», sollen Babys Kindern mehr Einfühlungsvermögen vermitteln. Das internationale Projekt hat im Herbst 2014 auch an vier Schweizer Schulen Einzug gehalten. Ein Unterrichtsbesuch.
Ihr Name: Lisa. Ihre Aufgabe: Im Auftrag der gemeinnützigen kanadischen Organisation Roots of Empathy (ROE, auf deutsch Wurzeln der Empathie) soll sie Miriam und ihre Klassenkameraden im Schulhaus Guggenbühl in Winterthur in Empathie unterrichten, für ihre Gefühle sensibilisieren – damit die Kinder letztlich ihre eigenen besser verstehen.
«Hello Baby Lisa, wie geht es dir? Wie geht es dir heut hier?» Die Schülerinnen und Schüler stehen um eine grüne Decke herum und singen aus voller Kehle. Von ihrer Mutter getragen macht Lisa die Runde. Hände greifen nach ihren Füsschen, streicheln über ihre zarten Hände. Das Baby lacht, die Schüler strahlen.
«Wollt ihr Lisas Mami fragen, was sie beachten muss, damit Lisa nichts passiert, jetzt da sie krabbeln kann?» Sicherheit ist das Thema der heutigen Lektion. In der Vorbereitungsstunde, die jedem Babybesuch vorausgeht und durch eine Nachbereitung ergänzt wird, hat die Klasse über Gefahren in Lisas Zuhause nachgedacht.
Raum für negative Gefühle schaffen
«Wann habt ihr euch zuletzt so gefühlt wie ein Baby?»
«Roots of Empathy»-Trainerin
Klassenlehrerin Rahel Wepfer hält sich in diesen Schulstunden als Beobachterin im Hintergrund. Sie habe von dem Programm gelesen und es für eine sinnvolle Methode gehalten, die anstehende Unterrichtssequenz «Miteinander leben» einmal anders zu vermitteln. «Die Klasse ist schon sehr empathisch, aber ich habe gemerkt, dass sich gerade die Buben Themen wie Emotionalität, Konflikte lösen, miteinander reden langsam verschliessen», sagt sie. «Es ist leichter, über jemand Drittes zu sprechen, um dann auf sich selbst zu kommen.» Und den Emotionen eines hilflosen Babys könne sich keiner verschliessen. Rahel Wepfer räumt zwar ein, dass die Buben zurückhaltender seien als die Mädchen. «Aber man sieht die Begeisterung in ihren Gesichtern.»
«Die Beziehung zwischen einem Kind und seinem Mami ist einmalig.»
Lisa lacht, die Buben strahlen
Nach 40 Minuten ist die kleine Lehrerin müde, quengelig. «Lisa hat heute lange durchgehalten», sagt Martina Scheidgen, Lisas Mutter. Sie ist mit der Tochter der Lehrerin befreundet und so zu dem Projekt gekommen. «Lisa hat Freude an den Kindern, es macht ihr Spass, sonst würde ich das nicht machen», sagt sie. Jetzt nimmt sie das Baby auf den Arm, streicht ihm sanft über den Kopf. Die Kleine schmiegt sich zufrieden an den Hals der Mutter.
«Die Beziehung zwischen einem Kind und seinem Mami ist einmalig, Lisa weiss, dass sie bei ihr sicher ist», kommentiert Daniela Mühlheim das Bild und fragt ihre Schüler: «Wie fühlt ihr euch jetzt?» «Gut!», ruft Sarah. «Wenn ein Baby lacht, muss ich auch lachen.»