Fast ein bisschen verliebt -
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Fast ein bisschen verliebt

Lesedauer: 2 Minuten

Wie die junge Liebe des eigenen Sohnes das Haus mit Glück durchflutet, beschreibt Michèle Binswanger in ihrer neuen Kolumne.

Text: Michèle Binswanger
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Vor einem halben Jahr ist meine Tochter ausgezogen und hat eine Lücke hinterlassen. Doch nun habe ich einen Gast bei mir zu Hause. Neuerdings wohnt das junge Glück bei mir. Das heisst, wirklich sesshaft ist Glück ja nie, vor allem nicht, wenn es jung ist. Aber sagen wir, es ist so oft zu Besuch, dass es schon zur Familie gehört. Mein Sohn hat seit ein paar Monaten eine Freundin.

Die beiden verbringen viel Zeit miteinander, sie erfüllen die Wohnung mit dem Duft ihrer Back-Experimente, sie musizieren im Zimmer, sie kochen für mich und lernen und diskutieren und necken sich, dass es eine Freude ist.

Die rosigen Wangen der beiden künden von scheinbar ungetrübter Seligkeit, einer Zufriedenheit mit sich und auch mit dem Leben. Ich versuche mich daran zu erinnern, wie das war, die eigene Jugend. War ich auch so unschuldig, so glückselig in der Liebe? Konnte ich das damals auch so gut wie die zwei?

Diese Fähigkeit kommt einem ja etwas abhanden. In vielem wird man mit den Jahren besser, in der Liebe nicht unbedingt, man geht alles weniger enthusiastisch, dafür gemächlicher an. Nicht so die beiden Turteltauben in meinem Haus.

Was die Liebe angeht, sind das keine Anfänger, sondern Weltklasse-Profis. Und ihr Glück ist ansteckend. Nicht so wie bei Corona, wo ein Blick reicht und schon hat man es auch. Ihr Glück ist subtiler, atmosphärischer, so wie ein besonders schönes Blumenbouquet, das einen Raum verschönert, ein Feuer, das in einer Ecke knistert.

Fast bin ich ein bisschen neidisch, denn kann man in meinem Alter noch so unschuldig empfinden?

Sie geniessen ihr Glück und ein bisschen hat man auch den Eindruck, dass sie unter dem Einfluss dieses Feuers füreinander zu jungen Erwachsenen heranreifen. Fast bin ich ein bisschen neidisch, denn kann man in meinem Alter und nach zig Liebeserfahrungen überhaupt noch so unschuldig empfinden? Aber dann wiederum bin ich auch selbst fast ein bisschen verliebt in die Situation. Ich gratuliere meinem Sohn innerlich zu seiner Wahl. Und auch zu seinem Talent zum Glücklichsein, denn das ist nicht jedem gegeben. 

Nicht zuletzt habe ich auch ein egoistisches Motiv. Nachdem die Tochter ausgezogen ist, weckte das Auftauchen seiner Freundin in mir die Hoffnung auf eine neue Verbündete im Kampf gegen das Chaos. Es hat im Zimmer meines Sohnes nach wie vor einen Rückzugsort und sammelt dort jeweils seine Kräfte, um zu periodischen Eroberungsfeldzügen auf meine Wohnung anzusetzen.

Im Moment sind die beiden so verliebt, dass sie ihre Umwelt herzlich wenig wahrnehmen.

Meine Hoffnung ruht auf einer ordnungsstiftenden Wirkung, die die Freundin auch in sein Zimmer tragen wird – zumal mir ultimativ verboten wurde, dort mit Putzlappen und Staubsauger anzurücken. Bislang wurde sie zwar leider enttäuscht, die Hoffnung. Was eben wieder mit dem jungen Glück zu tun hat.

Im Moment sind die beiden nämlich so verliebt, dass sie ihre Umwelt herzlich wenig wahrnehmen. Sie haben einen Kokon um sich gewoben und ordnungsstiftende Initiativen stehen wohl eher am Schluss ihrer Traktandenliste. Aber wer will denn so kleinlich sein, wenn er dafür Freude bei sich beherbergen darf? Und ja, auch ihr Glück wird nicht dauerhaft sesshaft werden, es wird irgendwann unruhig werden und weiterziehen. Doch bis dahin sollen sie es geniessen.

Michèle Binswanger
Die studierte Philosophin ist Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel.

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