Der erste feste Freund zu Besuch -
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Der erste feste Freund zu Besuch

Lesedauer: 2 Minuten

Der alleinerziehende Vater Andreas B. hielt es für eine tolle Idee, den Freund der Tochter nach Hause einzuladen. Er ahnte nicht, worauf er sich einliess …

Text: Andreas B.
Bild: Savannah Dematteo from Pexels

Meine Tochter Olivia (16) hat einen mehr oder weniger festen Freund. Das hat durchaus Vorteile. So muss sie nicht mehr jedes Wochenende bis zum frühen Morgen mit Kolleginnen auf die Pirsch. Ob ich sie stattdessen in guter Gesellschaft wissen kann, möchte ich gerne in Erfahrung bringen. Deshalb biete ich Olivia an, ihren Freund einmal heim zu bringen – will heissen zu mir. Zu meiner freudigen Überraschung kommt der Besuch zustande und der junge Mann – Elias (18) – soll sogar bei uns übernachten. Das war zwar nicht unbedingt meine ursprüngliche Idee, lässt sich aber wohl auch kaum verhindern.

Die Nervosität im Vorfeld ist gross. «Papi, rede nicht lange mit ihm und vor allem sei nicht peinlich!». Ich muss es schwören: Ich werde ihn nur kurz begrüssen. Olivias Vorbereitung, duschen, rasieren, schminken, parfümieren, stylen, Maniküre etc nimmt gute zwei Stunden in Anspruch.

Ich sehe sie nur zwischendurch einmal, dann ist sie kaum ansprechbar, gereizt und in heller Aufregung. Bei jedem Vorbeihuschen sieht sie ein bisschen anders aus, bis sie schliesslich völlig aufgebrezelt dem Ertönen der Türklingel entgegenfiebert.

Die Plüschtiere mussten umziehen

Ich bin zugegebenermassen auch ein wenig nervös und ziehe mich in unser Musikzimmer zurück, um mich ein wenig zu entspannen. Das Musikzimmer befindet sich im gleichen Stock wie Olivias Zimmer. Beim Eintreten traue ich meinen Augen nicht; Plüschtiere, Fotoalben, Spiele, ihr Waschkorb und sogar das Schreibpult, Wandbilder, selbstgebastelte Tonfiguren, eine Schachtel mit der Aufschrift «Kristalle selber züchten», all das befindet sich nun im Musikzimmer, das sich seinerseits in ein Kinderzimmer verwandelt hat.

Olivia hat offenbar ihr Zimmer «erwachsenengerecht» hergerichtet und sämtliche «kindlichen» Sachen kurzerhand in dieses Zimmer verschoben. Selbst den Mickey-Mouse-Kleber an der Türe hat sie hastig entfernt und nur noch die Klebspuren zeugen davon, dass hier eben noch ein Kinderzimmer war.

Kaum habe ich Olivia das Versprechen abringen können, alles wiederherzurichten, wenn Elias weg ist, klingelt die Türglocke. Der grosse Moment scheint gekommen zu sein. Ein kurzer Kontrollblick in den Spiegel (von Olivia und mir) und auf zur Begrüssungszeremonie. Elias macht mir einen sympathischen Eindruck, sieht flott aus. Er grüsst mich sogar mit Namen und stellt sich selber als Elias vor, was heutzutage nicht selbstverständlich ist.

Ich finde schnell einen Einstieg und es entwickelt sich ein kurzes Gespräch, bei dem Olivia gespannt wie ein Strommast danebensteht und sicher denkt: «OMG, wieso redet der wieder so lange?!». Schliesslich erlöse ich Olivia (und Elias) und schwupp sind beide weg, verschwunden in ihrem Zimmer, wo es sehr lang, sehr still wird. Ein Lebenszeichen vernehme ich erst wieder, als ich ins Bett gehe. Kaum ist meine Tür geschlossen, geht die Zimmertür von Olivia auf …

Am nächsten Morgen …

Am nächsten Tag bekomme ich gegen Mittag eine WhatsApp-Botschaft aus dem Zimmer von Olivia. Das erste Lebenszeichen seit unserer Begrüssungszeremonie. «Hast Du Geld für Gipfeli?». Ich lege ihr eine Zehnernote auf den Küchentisch. 

Eine Stunde später kommt erneut eine WhatsApp-Botschaft: «Wo bist Du? Gehst Du noch weg heute?». Auf meine Antwort «Wieso die Frage?» kommt nichts mehr zurück. Ich verstehe den Wink mit dem Zaunpfahl und mache mich auf zu meinem sonntäglichen Ausflug.

Gegen Abend komme ich nach Hause und sehe Olivia mit glückseligem Ausdruck vor dem Fernseher im Wohnzimmer sitzen. 
«Wo ist Elias?»
«Schon weg!» Ich habe Elias nicht ganz fünf Minuten gesehen. Aber das ist länger als die kommenden Male, die er bei uns auftaucht. Denn meist schafft er es erst um 2 Uhr morgens zu uns. Vermutlich ist es lustiger, den Abend mit Kollegen zu verbringen, anstatt im (ehemaligen) Kinderzimmer der Freundin. 

Kein Wunder also trennt sich Olivia schon bald von Elias. Sie hätten sich nach nur drei Monaten auseinandergelebt, sagt sie. Zum Glück ohne Anzeichen von Liebeskummer und Herzschmerz.

Jetzt dürfen die Kristalle und die Kuscheltiere also wieder ganz ins Kinderzimmer einziehen. Vorerst, nehme ich an.

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Andreas B.

Andreas B.
wohnt in der Agglomeration einer deutschschweizer Grosstadt, lebt seit vier Jahren getrennt und ist alleinerziehend. Seine Teenagertöchter und deren Freunde heissen in Wahrheit anders, aber wir wollen verhindern, dass künftige Arbeitgeber auf diese ungeschminkten Pubertätserlebnisse stossen.