Leiden eines Vaters  - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Leiden eines Vaters 

Lesedauer: 5 Minuten

Seit der Trennung von der Ehefrau ist seine Tochter praktisch aus seinem Leben verschwunden. Ein Vater erzählt. 

Seit zehn Monaten bin ich aus dem Leben meiner Tochter entfernt. Naja, ich sehe sie ab und zu für ein paar Stunden. Aber für einen Vater, der mehr als zwei Jahre in Elternzeit war, fühlt sich das an, als wäre mir das Herz aus der Brust gerissen worden. Meine Tochter ist fast vier Jahre alt, und ich liebe sie sehr. Sie mich auch. Die Trennung kam, weil meine Frau und ich viel gestritten haben. Auch heftig. Ich habe ihr gesagt, sie soll gehen; ich bin für ein paar Tage abgehauen. Ja, ich habe viele Fehler gemacht. Ich mache mir deshalb auch Vorwürfe, würde gerne die Vergangenheit ändern. Aber ich kann auch nicht alle Schuld auf mich laden. Wir haben einander nicht mehr verstanden.

Ich sehe meine Tochter noch vor mir. Wie sie mir aus dem Fenster winkte, wenn ich zur Arbeit ging. Wie sie in der Badewanne jauchzte, wenn wir sangen: «Ich habe eine Krone und eine Burg, in der ich wohne. Ich habe auch ein grosses Pferd, und auch mein Prinz ist lobenswert. Lo-lo-lo-lo-lobenswert.» Für unsere Tochter wäre es so schön, wenn zwischen ihren Eltern wenigstens ein freundschaftliches Verhältnis bestehen könnte. Ich weiss, dass das wichtig ist. Nur: Wie sollen wir das anstellen?

«Ich will doch aber ihr Papa bleiben! Ich habe das Gefühl, ich verschwinde.»

Kurz nach der Trennung war meine Frau samt Tochter und ihren Eltern verreist. «Kannst sie danach einen Tag länger sehen», meinte sie. Aus drei Wochen wurden vier Wochen, ich wurde nicht über den Zeitpunkt der Rückkehr informiert. Die Kleine war einfach weg. Danach gab es einen genauen Plan, wann und wie lange ich meine Tochter sehe. Maximal zwei Mal in der Woche. Nicht über Nacht. Davon, dass ich einen Tag länger bekommen sollte, war keine Rede mehr. Ich will das Beste aus der Situation machen. Dankbar dafür sein, dass es meine Tochter gibt und ich Kontakt zur ihr habe. Wenig, aber immerhin. Ich vermisse sie so sehr. Ständig habe ich Bilder aus der Vergangenheit im Kopf. Wie sie beim Wandern durch die Wälder auf meinem Rücken in der Trage sitzt und sich beklagt, dass ich schwitze. Wie sie an meinen Haaren zieht. Wie wir zusammen durchs Dickicht kriechen und Pilze sammeln.
Dieser Artikel stammt aus
Dieser Artikel stammt aus unserem grossen Online-Dossier über moderne Väter. Lesen Sie Artikel und Interviews über die Rolle der Väter dem Kind gegenüber, in der Familie und in der Gesellschaft. Mit vielen Berichten von den Vätern selbst.

Der normale Alltag mit der Tochter fehlt

Neben diesen Momenten fehlt mir vor allem der ganz normale Alltag mit ihr. Ich bin nur noch ein Entertainer für ein paar Stunden. Ich will mit ihr frühstücken, ihr das Brot klein schneiden. Ich will ihr die Zähne putzen. Ich will ihr eine Gutenachtgeschichte vorlesen und sie nicht nach Hause fahren müssen, wenn es dunkel wird.  Mir fehlt, dass ich nicht mehr Teil ihres Lebens bin. Wenn sie von ihrem Opa erzählt, sagt sie versehentlich Papa. Ich will doch aber ihr Papa bleiben! Ich habe das Gefühl, ich verschwinde. Bestimmt werde ich auch verpassen, wie sie das erste Mal Fahrrad fährt. 

Jetzt geht sie in den Kindergarten. Ich erfahre davon nur bruchstückhaft. So gerne wüsste ich: Wie kommt sie mit den anderen Kindern zurecht? Einmal habe ich meine Frau via WhatsApp gefragt: «Wie geht es unserer Tochter im Kindergarten? Was hat sie heute gemacht?» Die Antwort: «Kinder haben auf Spielplatz gespielt.» Ich erfahre auch nicht, wenn die Kleine krank ist und zu Hause bleiben muss. Das Pflegen und Trösten – es scheint nur die Aufgabe der Mutter zu sein. Oder etwa ihr Privileg?

«Den Termin beim Jugendamt empfand meine Ex als Kriegserklärung.»

Warum kann sie allein bestimmen, wie viel ich mich um das Kind kümmere und an der Erziehung teilhabe? Alle reden von Vätern in Elternzeit. Die ihre Arbeit reduzieren, um mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen. Und damit ihre Frauen wieder leichter in den Beruf einsteigen können. Manchmal denke ich: Ist doch alles Quatsch. Viele Frauen wollen dem Vater gar keine Verantwortung abgeben. In meinem Umfeld sagen einige: Du siehst die Kleine immerhin regelmässig, denke positiv. Ein paar Stunden in der Woche, super. Quality Time. Konzentriere dich auf deine Arbeit, bleibe bei einer Vollzeitstelle. Das klassische Ernährer-Ding. Die meisten finden aber: Ein Vater darf sich das nicht gefallen lassen. Vor allem meine engen Freunde, die wissen, wie sehr meine Tochter an mir hängt und wie wichtig es auch für sie ist, dass ich präsent bleibe. Ich stecke in der Zwickmühle. Will es nicht noch schlimmer für unsere Tochter machen und denke deshalb oft, ich sollte die Situation einfach aussitzen. Bis es besser wird. Wird es das? Ich fürchte, dass sie sich entfremdet.

Meine Tochter sagt immer wieder an Papatagen, dass ich ihr noch ein Buch vorlesen soll. Und noch eines. Und dass sie noch nicht nach Hause will. Einmal warf sie sich trotzig auf das Bett. Das hat mich dazu verleitet, meine Frau anzurufen. 

«Du, die Kleine würde gerne hier übernachten.» 

Tochter spricht mit Mutter. «Ich will hier beim Papa schlafen.» 

Antwort der Mutter: «Daheim gibt es jetzt doch Abendessen.» 

Ist das Kind krank, fällt der Papatag aus.

Ich hatte schlaflose Wochen und die ersten Antidepressiva hinter mir, als ich ein klärendes Gespräch beim Jugendamt einforderte. Den Termin beim Amt empfand meine Ex als Kriegserklärung. Die Frau vom Amt war vernünftig. Im darauffolgenden Monat bekam ich meine Tochter deutlich mehr zu Gesicht. Am Wochenende sogar mehrmals an beiden Tagen. Solange meine Ex-Partnerin noch nicht arbeite, spreche doch nichts dagegen, meinte die Sachbearbeiterin. «Das ist doch zu viel», sagte meine Ex wenig begeistert. «Es gibt kein Zuviel», entgegnete die Frau vom Amt. Die Sache ist die: Die Trennung wäre doch für alle – auch für unsere Tochter – in Ordnung, wenn wir uns gemässigt verhalten würden. Hauptsache keine Streitereien mehr. 

Es geht vielen Familien so. Wieso kann es nicht so sein, dass sich meine Verflossene freut, wenn ich mir Zeit nehmen kann? Ich arbeite 100 Prozent, und jede Woche versuche ich, einen Nachmittag freizuschaufeln oder wenigstens zwei Stunden. Kürzlich konnte ich den Termin um 14 Uhr nicht einhalten, wegen der Arbeit. «Du, es wird 15 Uhr bei mir.» Antwort: «Ich habe etwas vor, dann nehme ich sie mit.» Mir wird bei jeder Gelegenheit gezeigt, dass ich keine Rechte oder Entscheidungsbefugnisse habe. Ist die Kleine krank, fällt der Papatag aus. Bei mir kann sie schliesslich nicht gesund werden. Bin ich krank, sage ich von mir aus ab. In beiden Fällen gibt es keine Ersatzzeit. 

«Familiengericht – darüber habe ich am Anfang oft nachgedacht. Aber ich habe mich noch nicht dazu durchgerungen.» 

Ich habe mit vielen Männern gesprochen, die ein paar Jahre älter sind und dasselbe mitgemacht haben. Die sagen alle: Du hast die A-Karte. Vergiss es! Da hilft es auch nicht, dass ich mal eben den Job gewechselt habe, um nicht 200 Kilometer entfernt von meiner Tochter zu leben, sondern gleich ums Eck. Und um ihr noch näher zu sein, ziehe ich erneut um. Dann wohne ich nur wenige Kilometer entfernt und nicht mehr 20. Familiengericht – darüber habe ich am Anfang oft nachgedacht. Aber ich habe mich noch nicht dazu durchgerungen. Meine Frau und ich, wir müssen doch irgendwann wieder eine vernünftige Grundlage finden. Unsere Tochter bleibt doch unsere Tochter, für immer.  

Neue Strategie: Präsenz zeigen

Meine neue Strategie heisst: Präsenz zeigen. Ich bin in der Nähe. Ich signalisiere meiner Tochter: Papa ist da, du kannst jederzeit vorbeikommen. Meine Hoffnung: Irgendwann regelt sich das alles von selbst. Irgendwann ist nicht mehr alles so furchtbar starr. Wenn sie mag, kann sie kommen. Wenn ich spontan Zeit habe, kann ich sie abholen. Doch davon sind wir sehr weit entfernt. Einmal war ich im Kindergarten. Meine Noch-Ehefrau wollte vorab einen Termin mit mir vereinbaren, einen spontanen Besuch hielt sie für unangebracht. Ich darf meine Tochter weder zum Kindergarten bringen noch abholen. Weil sie nach dem Kindergarten «erst einmal Ruhe braucht». Da ist so viel Neues für sie im Kindergarten. Und dann auch noch der Papa.

Ich kann mir das nicht mehr länger gefallen lassen. Manchmal kommt so etwas wie Kampfgeist durch. In Zukunft werde ich einfach dort stehen – komme, was wolle. Und wenn so etwas Banales wie das Abholen vom Kiga schon nicht geht, dann frage ich mich: Wann werde ich mit meiner Tochter in Urlaub gehen können? In fünf Jahren für ein verlängertes Wochenende vielleicht? Meine Frau und ich haben das gemeinsame Sorgerecht, aber das ist nichts wert. Leute, die das Gegenteil behaupten, haben keine Ahnung.

Bild: fotolia.com


Zum Autor

Adrian Hoffmann ist 36 Jahre alt und Journalist. Er lebt in Süddeutschland. Er sucht Kontakt zu Vätern, die in einer ähnlichen Lage sind, auch um Geschichten zu sammeln und journalistisch aufzubereiten – gerne auch anonym. Wer Interesse hat, kann sich direkt bei ihm per E-Mail melden. vaterleiden(at)gmx.de.

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