Im Haus der Zukunft - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Im Haus der Zukunft

Lesedauer: 2 Minuten

Einer der schönsten Texte für Eltern ist Kahlil Gibrans Gedicht «Über Kinder». «Eure Kinder sind nicht eure Kinder (…), ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen», so heisst es. Ich werde also niemals wissen, in welchem Zimmer meine Kinder im Haus der Zukunft wohnen werden. Aber ich habe eine ganz gute Vorstellung, was ihre Generation prägt: das Smartphone.

Meine Kinder gehören zur sogenannten iGen. Gemeint sind die Jahrgänge von 1995 bis 2012, die mit Smartphones und sozialen Medien aufgewachsen sind. Wie genau die digitale Revolution die Adoleszenz verändert, hat Psychologieprofessorin Jean M. Twenge kürzlich in einem viel diskutierten Artikel dargelegt. Sie bezieht sich auf Statistiken, die in Amerika erhoben wurden. Aber die Veränderungen dürfen jede durch Smartphones geprägte Gesellschaft betreffen.

Heutige Teenager unterscheiden sich in vielen Hinsichten von den vorherigen.

Heutigen Teenagern, beobachtet Twenge, geht es in einigen Hinsichten besser als vorherigen Generationen. Etwa bauen sie weniger Autounfälle oder haben weniger Probleme mit Rauchen und Alkohol. Dafür gehe es ihnen psychisch schlecht, denn Depressions- und Suizidraten unter Teens seien explodiert. Die Teenager der iGen sind abhängiger von ihren Eltern als frühere Generationen, sie gehen weniger alleine aus dem Haus, sie daten weniger, lernen später Autofahren, haben weniger Ferienjobs. Sexuell sind sie ebenfalls weniger aktiv.

Was sie mit ihrer Zeit anfangen, liegt auf der Hand: Sie liegen alleine im Bett – mit dem Smartphone. In einer Zeit, in der meine Generation sich nichts sehnlicher wünschte, als mit anderen Teenagern die Köpfe zusammenzustecken, steckt die iGen ihren Kopf ins Smartphone. Und es macht sie unglücklich: Je mehr Zeit Teenager am Handy verbringen, desto weniger glücklich sind sie. Das betriftt Mädchen noch stärker als Buben, weil diese auch öfter Opfer von Cyberbullying sind.

Das sind schmerzliche Beobachtungen. Allerdings beleuchtet Autorin Twenge nur eine Seite der Medaille. Wenn ich mich an meine Jugend zurückerinnere, hat die digitale Revolution doch auch positive Seiten. Wie verzweifelt hätte ich mir in den Achtzigerjahren so etwas wie Spotify gewünscht, um jene Musik zu finden, die ich hören wollte. Stattdessen harrte ich Stunden um Stunden am Radio aus, um im richtigen Moment auf Record zu drücken – dann nämlich, wenn mein Song endlich gespielt wurde. Mein Sohn kann heute mit dem Smartphone gleich selber Hits produzieren. Meine These ist deshalb: Bringt ein Kind ein stabiles soziales Fundament mit und hat es kreative Interessen, dann ist das Smartphone mehr Segen als Fluch.

Es gibt auch für die iGen Hoffnung.

Allerdings weiss ich, wie süchtig das ewige Surfen in sozialen Medien machen kann. Ich weiss zudem, wie schwer es Kindern manchmal fällt, auf das Smartphone zu verzichten und etwas anderes zu tun. Aber mit etwas Nachdruck kriegt man das hin. Solange man nicht zu bequem ist, zu intervenieren – weil man selber dauernd ins Handy starrt –, gibt es auch für die iGen Hoffnung. Denn auch sie hat Anrecht auf ein hübsches und helles Zimmer im Haus der Zukunft.

Michèle Binswanger
Die studierte Philosophin ist Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel.

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