Achtung, Achselschweiss! - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Achtung, Achselschweiss!

Lesedauer: 3 Minuten

Unsere Autorin über den mütterliche Oxytocin-Spiegel in der Pubertät und ihre Versteckspiele mit dem Pausenhof-King.

«Es beginnt kurz vor dem 12. Geburtstag. Spielt mein Ältester mit zwei Freunden eine Stunde in seinem Zimmer, riecht es danach wie im Reptilienhaus eines Zoos. Schlagartig überkommt mich die Erkenntnis: Diese Duftwolken sind das Ende der Kindheit. Das Ende watteweicher Patschhändchen und knubbeliger Zehen. Stattdessen: schwitzige Hände, klebrige Haare und Schuhgrösse 42.

Mit Schrecken erinnere ich mich an meine eigenen Jugendjahre, an vulkanöse Talgdrüsen und vergammelte Tage, an denen ich pausenlos Nirvana hörte, mein Taschengeld für traurige Bücher ausgab und von einem Rückentattoo träumte, das mir meine toleranzbehinderten Eltern leider nicht erlaubten. Ach, jung zu sein, war schon immer schwierig.

Ich begutachte meinen Sohn, der gross, schön und ein bisschen grossnasig am Tisch sitzt, den dritten Teller Spaghetti in sich reinschaufelt und mir punktgenau die wichtigsten Ereignisse seines Vormittags mitteilt: ‹Nicolai hat sich wieder geprügelt.› ‹Arabella dachte, Hitler sei ein Fussballer.› ‹Ich brauche superdringend neue Hallenschuhe, Mamaaa!› Die Art, wie er das ‹a› darin betont, verfehlt seine Wirkung nicht. Mein Oxytocin-Spiegel schwillt an, Duftmarke hin oder her. So ein cleveres Bürschchen! Und so hübsch! Und wie er lieb fragt! Nein, die sogenannt schwierigen Jahre sind noch in weiter Ferne. Denn noch kommt er, zusammen mit seinen Geschwistern, freudig angehopst, wenn ich nach Hause komme. Bedankt sich für die Spaghetti. Auch die Strassenseite muss ich noch nicht wechseln, wenn wir uns zufällig begegnen. Küsse sind erlaubt, ja, im häuslichen Bereich sogar erwünscht, vornehmlich abends. Hach.

Das vorpubertäre Kind spürt meine Sentimentalität, räuspert sich und sagt: ‹Mama, ich habe doch bald Geburtstag. Und weisst du was: Ich wünsche mir von ganzem Herzen ein iPhone 6. Wirklich. 64 GB. In Schwarz. Es kostet so 800 Franken, aber du kannst mein Kinderkonto plündern. Mama, ich brauche es unbedingt. Mein Lebensglück hängt davon ab.›
Ich überlege, ob ich die Vorsilbe nicht doch streichen muss. Mir schaudert. Das Handythema haben wir wiederholt diskutiert. Ich war der Meinung, er bekäme eines, wenn er in die Oberstufe kommt. Also nächstes Jahr. Daher versuche ich es mit Ironie: ‹Muss es denn unbedingt ein iPhone sein? Du weisst ja, die Metalle darin zerstören in Afrika ganze Ländereien, und in China schuften arme Frauen für einen Hungerlohn dafür.› Sohnemann wirft mir einen mitleidigen Blick zu. ‹So ein Huaweidingsbums ist totaler Müll. Lieber verzichte ich! Es muss ein iPhone sein, sonst mache ich mich zum Gespött! Überhaupt haben alle anderen ein Handy, alle!›

Seinen Empörmodus zum Anlass nehmend, schleiche ich mich eines Vormittages in die Nähe des Schulhauses, Gassi mit Hund und ein vergessenes Turnsäckli als Vorwand. Tatsächlich: In den Pausen ziehen alle Fünft- und Sechstklässler ihre Handys aus den Taschen und zeigen einander ihre Displays. Sie telefonieren aber nicht etwa, sondern schauen auf das Telefon, grinsen oder dozieren mit der Inbrunst frisch Verliebter über IOS 8 und 9.
Ich begreife: Handys sind Präpubertierendenstatussymbol Nummer eins. Mein Sohn bekommt also zum Geburtstag ein Handy, dessen Innenleben aus dem Kongo stammt. Er ist der Erste mit einem iPhone 6 und damit so etwas wie der Pausenhof-King. Unser ruhiges Leben ist damit allerdings schlagartig vorbei. Denn alle zwei Minuten: Ping! ‹Hi›, schreibt jemand aus dem Klassenchat, worauf 25 andere umgehend mit – Ping! – ‹Hi› antworten. Oder: ‹Nein!› ‹Doch!› ‹Krass›! Ping!

Es beginnt am Morgen, setzt sich am Mittag fort und steigert sich in den Abendstunden. Sogar Netflix ärgert sich und reagiert mit Störungen, weil unser WLAN vollkommen vom eruptiven Kurznachrichtenausstoss in Beschlag genommen wird. Meine Aufforderung, Handyzeiten einzuhalten, wird ignoriert – so viel zu meiner pädagogischen Wirkungskraft. Ich sage Sätze, die ich nie sagen wollte: ‹Dauernd spielst du an deinem Handy, geh doch mal raus, guck nicht so viel Youtube, nein, Facebook gibt’s noch nicht.› Ich steigere mich sogar in die Drohung hinein, für mehrere tausend Jahre Handyzeit zu streichen, wohl wissend, dass diese vollkommen wirkungslos verpuffen wird (obwohl mir die Masslosigkeit daran insgeheim gefällt).

Ich begreife: Je grösser die Geste, desto kleiner die Wirkung. In der Erziehung sowieso und in der Pubertät erst recht.

Mein Sohn kreischt, dass wir Erwachsenen totale Spielverderber seien, weil wir selbst ständig den Verlockungen der Unterhaltung eines Smartphones nachgeben, aber dem Nachwuchs verbieten, an irgendwelchen Gadgets herumzutüddeln.
Es kommt, wie es so kommt im erzieherischen Steigerungslauf, es gibt einen handylosen Tag, das Handy wird konfisziert und schliesslich versteckt. Das Kind erleidet Schnappatmung, ich bezahle eine exorbitante Handyrechnung, alle schmollen.

Dann kommen die Ferien, das Handy bleibt daheim, und als wir wieder heimkehren, habe ich vergessen, wo ich es in meinem kleinkindhaften Benehmen versteckt habe. Weder im Backhandschuh ist es zu finden noch in der Teeschachtel, und auch nicht in der Matratze des ausrangierten Babybettchens im Keller. Trotz unzähligen elterlichen Suchaktionen und inbrünstigen Gebeten des Handybesitzers bleibt es wie vom Erdboden verschluckt.
Wir beginnen es zu vermissen, besonders am Abend. Das gläserne Ping! hatte so gut zu Claire Underwood gepasst. Vom schlechten Gewissen geplagt, bestelle ich klammheimlich ein neues Smartphone. Kaum die Ok-Taste gedrückt, hustet ein Kind erbärmlich, ich suche den Sirup und finde im Medikamentenschrank hinter Globuli und Grüffelo-Pflaster: das Handy des Sohnes.

Ich begreife: Je grösser die Geste, desto kleiner die Wirkung. In der Erziehung sowieso und in der Pubertät erst recht.

Dabei machen doch alle ungefähr das Gleiche durch. Das Kind müffelt, die Mutter versteckt Handys. Kaum ist das Ding wieder da, spricht das Kind lieber mit dem Lifestyle-Handy als mit der Mutter. Das stresst die Mutter, und jetzt müffelt auch die Mutter. Womöglich versteckt ja demnächst das Kind die Mutter. Auszuschliessen ist es nicht.»


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Über die Autorin:

Claudia Landolt Starck ist Journalistin und Mutter von vier Jungs. Sie hat fest vor, die nahende Pubertät ihres ältesten Sohnes als eine Art Gratis-Psychotherapie anzusehen, nach demMotto: Pubertät ist, wenn die Eltern anfangen komisch zu werden. Unser Foto zeigt die Autorin mit ihren Kindern.