«Ein eigenes Handy? Frühestens mit zwölf» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Ein eigenes Handy? Frühestens mit zwölf»

Lesedauer: 4 Minuten

Kinder verschütten ihr Potenzial, weil sie zu oft digitale Medien konsumieren, sagt der österreichische Pädagoge und Sportpsychologe Fritz Weilharter. Ein Gespräch über die negativen Folgen von zu viel Bildschirmzeit, Verbote und handyfreie Tage.

Interview: Kristina Reiss
Bilder: Rita Palanikumar / 13 Photo, Raymond Forbes LLC / Stocksy

Herr Weilharter, können wir uns auf die folgende Aussage verständigen: Digitale Endgeräte sind längst fester Bestandteil im Alltag unserer Kinder. 

Stimmt. Aber Eltern können die Nutzung steuern. Meine beiden jüngeren Töchter sind heute 16 und 17 Jahre alt. Beide hatten erst mit zwölf ein Handy – eines mit Tasten, kein Smartphone wohlgemerkt. Ich liess mir deshalb die gesamte Kommunikation von der Schule auf mein Smartphone schicken, das hat bestens funktioniert. Ich will keine Rückkehr zur Steinzeit. Aber ich stelle fest: Mit den digitalen Medien ist eine Konkurrenz aufgetaucht, die unseren Kindern viel Zeit raubt – und ihnen ihre Kreativität nimmt. 

Was fordern Sie?

Geben Sie Ihrem Kind erst dann ein eigenes Handy, wenn es die nötige Reife dazu hat, frühestens ab dem zwölften Lebensjahr. Je länger Sie hinauszögern, dass Ihr Kind ein Smartphone zur freien Verfügung hat, desto eher halten Sie Ihr Kind von schädlichen Einflüssen fern und schaffen bessere Voraussetzungen für seine Entwicklung. 

Entscheidend ist doch die Dosis, die Zeit, die ein Kind am Handy verbringt. 

Wir vergessen oft, dass Kinder psychisch und körperlich in einem ­Entwicklungsprozess stehen und zuerst psychisch reifen müssen, um mit neuen Technologien so umgehen zu können, dass sie keinen Schaden nehmen. Es ist kein Zufall, dass gerade die Entwickelnden von digitalen Geräten – führende Ingenieure im Silicon Valley etwa – ihre Kinder vor übermässigem Kontakt mit Bildschirmen und Unterhaltungselektronik schützen. Sind Kinder hingegen reif genug für den Umgang, können sie von digitalen Geräten profitieren. Dazu müssen sie jedoch in der Lage sein, zu unterscheiden zwischen sinnloser, zeitvergeudender und gefährlicher Nutzung einerseits und sinnvoller Anwendung der Technologie andererseits.

Zur Person:

Fritz Weilharter, 65, ist Vater von vier Kindern, Unternehmensberater in Linz und Professor für Sportpsychologie an der BSP Business School Berlin. Er war 14 Jahre lang Lehrer und Direktor eines Gymnasiums in Graz. Zuletzt erschien von ihm das Buch «Die neue Elite. Warum Kindern ohne Smartphone die Zukunft gehört», Verlag edition a 2021, ca. 22 Fr.

Selbst wenn mein Kind erst mit 14 Jahren ein Handy bekommt – die ­Wahrscheinlichkeit, dass es das Gerät exzessiv nutzt, ist extrem hoch. 

In der Tat ist der Sog in diesem Alter am grössten. Allerdings: Je später ein Kind ein digitales Gerät besitzt, um so grösser sind die Chancen, dass sich bereits viele analoge Gewohnheiten verfestigt haben, auf die es sich zurückbesinnen kann, für die es brennt und die es vor einem Abdriften in die digitale Welt abhalten. Ist ein Kind von klein auf gewohnt, mit dem Tablet ruhiggestellt oder vom Smartphone gehütet zu werden, wird dies deutlich schwieriger. 

Was raten Sie Eltern, deren Kind übermässig viel Zeit am Smartphone verbringt?

Auf keinen Fall schnell resignieren oder mit «dann ist das eben so» einlenken und die Kinder einfach machen lassen. Auch mit Ärger und Aggression zu reagieren, bringt nichts, denn ein schlechtes Klima in der Familie verstärkt eher die negative emotionale Spannung und damit oft das Bedürfnis nach digitaler Ablenkung.

Kinder machen Eltern alles nach. Legen Mutter und Vater das Handy kaum aus der Hand, wird das Kind sie kopieren.

Was also hilft? 

Sich Zeit nehmen, im Dialog bleiben, sich mit dem Kind beschäftigen, um herauszufinden, welche analogen Interessen der Nachwuchs hat, und ihm eine attraktive Alternative anbieten. Erwachsene haben oft den Eindruck, dass Kinder ständig am Handy hängen und schwer von dort wegzubekommen sind. Verstehen wir aber die Mechanismen der intrinsischen Motivation, können wir Kindern analoge Erfahrungen ermöglichen, die ihnen attraktiver erscheinen als das Handy. Kinder lieben es zu töpfern, zu hämmern, analoge Spiele zu spielen – sie haben heute nur kaum Gelegenheit dazu. 

Wie schaffen es Eltern, dass Kinder für etwas «brennen» und analoge Hobbys entwickeln? 

Indem sie es vorleben. Vor allem kleine Kinder machen Eltern alles nach, deshalb haben Eltern eine grosse Vorbildfunktion. Legen Mutter und Vater ihr Handy kaum aus der Hand, wird das Kind sie kopieren. Mit zunehmendem Alter ist für den Nachwuchs dann das soziale Umfeld immer wichtiger. Geht die beste Freundin zur Turngruppe, will das Kind auch. Deshalb gilt es schon früh nach gleichgesinnten Eltern und deren Kindern Ausschau zu halten.

Eltern können und sollen die Handynutzung ihrer Kinder steuern, sagt Fritz Weilharter.

Sollten Eltern mit Bildschirmsperren arbeiten? 

Ja, und Screentime gab es bei uns auch. Obwohl es sich irgendwann zum Kräftemessen entwickelt, weil der Nachwuchs rauskriegt, wie sich das Ganze umgehen lässt. 

Sind Verbote tatsächlich eine geeignete Strategie, wenn die Kinder einen eigenverantwortlichen Umgang mit digitalen Geräten lernen sollen? 

Bei einem 20-Jährigen wäre es natürlich absurd, zu sagen: «Du darfst nur eine Stunde pro Tag das Smartphone verwenden.» Bei einem Fünfjährigen hingegen muss man klare Grenzen im Interesse der Gesundheit des Kindes setzen. Zwischen diesen beiden Polen gibt es einen Entwicklungsprozess, bei dem sich hoffentlich zeigt, dass der Nachwuchs das Gerät zunehmend für sinnvolle Themen verwendet und nicht Opfer der Technologie und Algorithmen ist. Auf diesen permanenten Veränderungsprozess müssen Eltern entsprechend eingehen und reagieren.

Wir waren in einer Hütte ohne Handy. Erst waren die Kinder nicht begeistert. Heute sagen sie: Es war einer der schönsten Urlaube ­überhaupt.

Hängt es nicht auch vom Charakter eines Kindes ab, wie sehr es sich für digitale Endgeräte interessiert?

Natürlich gibt es individuelle Präferenzen. Aber den grössten Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder haben wie gesagt die Eltern: Sie sind die Vorbilder, von denen sich der Nachwuchs vieles abschaut. Reden wir über digitalen Medienkonsum bei Kindern und Jugendlichen, müssen sich Eltern deshalb zunächst selbst fragen: Wie handhabe ich das? Haben wir familieninterne Regeln, an die sich alle halten müssen, wie etwa «Kein Handy beim Essen»? Gibt es handyfreie Tage?

Wie ist das in Ihrer Familie?

Wir bestimmen immer wieder Tage, an denen alle das Smartphone weglegen, auch die Eltern. Wir haben zum Beispiel mal Ferien in einer ­Hütte gemacht, auf 2000 Metern Höhe in den Bergen ohne Empfang. Am Anfang waren die Mädchen, die damals schon Smartphones hatten, nicht begeistert. Doch ab dem dritten Tag wurde die Stimmung ganz entspannt. Tagsüber haben wir im Wald Pilze gesucht, abends wurden Brettspiele rausgeholt. Bis heute sagen die Mädchen: «Das war einer der schönsten Urlaube überhaupt!»

Kristina Reiss
ist freischaffende Journalistin und Mutter einer Tochter, 12, und eines Sohnes, 9. Sie lebt mit ihrer Familie am Bodensee.

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