Von wegen verstaubt ... - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Von wegen verstaubt …

Lesedauer: 4 Minuten

Die Arbeit von Bibliotheken wird oft unterschätzt. Dabei sind sie der beste Wegweiser durch den Digitaldschungel, findet unser Experte Thomas Feibel.

Wenn es um die digitale Medi­enbildung von Kindern und Jugendlichen geht, fühlt sich selten jemand zuständig. Oft winkt die Schule ab. Da viele Lehrkräfte schon mit der Vermittlung des übrigen Schulstoffs ausgelastet seien, verweisen sie bei diesem Thema gerne auf das Eltern­ haus. Die Eltern wiederum sehen vor allem die Schule in der Pflicht, wenn es um die Einführung ihrer Kinder in die digitale Welt geht.

Recht haben beide Seiten, nur wird in dieser Diskussion stets eine wichtige Bildungsinstanz über­ sehen: die öffentlichen Bibliothe­ken. Keine andere Bildungsinstitu­tion in Europa wächst so schnell und organisch mit den medialen Herausforderungen der Moderne wie diese.

Warum Eltern und Schule Bib­liotheken als Bildungseinrichtung stärker miteinbeziehen sollten, liegt auf der Hand: Sie haben den Raum, die digitalen Geräte und die Mitar­beiter, die sich damit auskennen.

«Die Schweiz verfügt über eine breite und aktive Bibliothekenland­schaft», sagt Heike Ehrlicher, stellvertretende Geschäftsführerin des Verbandes Bibliosuisse. Auch in überdurchschnittlich vielen kleineren und kleinen Gemeinden seien Bibliotheken angesiedelt. Und diese stellen nicht nur einen umfangreichen und qualitativ hochwertigen Medienbestand zur Verfügung, sondern bieten auch zusätzliche Angebote in Form von Beratung oder zielgruppenorientierten Ver­anstaltungen. Aus diesen sieben Gründen, sind Bibliotheken unver­zichtbar:

1. Bibliotheken sind für jeden zugänglich

Jeder Mensch kann das Angebot öffentlicher Bibliotheken nutzen. Unabhängig von Bildungsstand, Nationalität, Religion oder Lebens­standard. Genau darum sind Biblio­theken so wertvoll: Kinder und Jugendliche, die zum Beispiel aus bildungsfernen Schichten stammen und zu Hause weder auf einen Com­puter noch ein Tablet zugreifen kön­nen, profitieren besonders von der technischen Ausstattung.
Durch viele spezielle Freizeitan­gebote im Internet, in Fächern aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, kurz MINT, oder mit Games wird diese Gruppe gezielt begleitet und gefördert.

2. Bibliotheken sind Orte der Begegnung

Heute wird von Bibliotheken oft als «drittem Ort» neben Schule, Arbeit und dem Zuhause gesprochen. Kin­der und Jugendliche halten sich ger­ne in Bibliotheken auf, um gemein­sam an ihren Hausaufgaben oder Referaten zu arbeiten. Die Mitarbei­ter der Bibliotheken stehen ihnen dabei unterstützend zur Seite.

Doch selbst wenn nicht gelernt wird, ist die Bibliothek ein beliebter Aufenthaltsort, um zu lesen, in Magazinen zu blättern, zu spielen oder einfach nur den Gedanken nachzuhängen. Nicht selten wird hier auch Sozialarbeit geleistet, wenn Kinder und Jugendliche mit den Bibliotheksmitarbeitern ins Gespräch kommen.

3. Bibliotheksmitarbeiter leisten Hilfestellung bei der Recherche 

Für Hausaufgaben und Referate ist eine fundierte Recherche unerläss­lich. Die meisten Schüler nutzen dazu Google und Wikipedia. Meist ergeht es ihnen wie den Erwachse­nen: Die hohe Zahl der Fundstellen überfordert sie und das Filtern fällt schwer. In der Bibliothek lernen Schüler, wie sie an gesicherte Fakten herankommen und diese von Falsch­meldungen unterscheiden. Dafür steht ihnen – anders als im Netz – ein realer Ansprechpartner zur Seite. Somit ist die Bibliothek als Partner der verbrieften Informationsbe­schaffung in Zeiten von Fake News wichtiger denn je.

4. Mit Hilfe von Bibliotheken Geld sparen

Nicht alles muss gekauft werden. Medien kosten Geld, und nicht selten erweist sich privat Erworbenes als Fehlkauf. Gerade bei teuren Anschaffungen wie PC­ oder Kon­solenspielen bieten Bibliotheken einen wunderbaren Service: Wer sich ein Spiel ausleiht, kann in Ruhe prü­fen, ob das Spiel auf den heimischen Geräten läuft, ob es dem Kind gefällt und ob es nicht schnell langweilig wird. Das ist guter Konsumenten­schutz. Ähnliches gilt natürlich auch für andere Medien.

5. Bibliotheken haben fast rund um die Uhr geöffnet 

Rücknahmeautomaten erlauben die Abgabe von Büchern und DVDs usw. auch ausserhalb der Öffnungs­zeiten. Viele Bibliotheken testen aktuell auch die Sonntagsöffnung, wie beispielsweise die Stadtbiblio­thek Luzern. Andere Bibliotheken erproben das Format der «Open Library». Hier nutzen die Bürger die Medien selbständig, während die Mitarbeiter längst zu Hause sind. In der Stadtbibliothek Chur beispiels­weise können Bibliotheksbesucher ab 16 Jahren die Räumlichkeiten mit dem Bibliotheksausweis auch nach den offiziellen Öffnungszeiten betre­ten und Medien ausleihen.

6. Bibliotheken sind digitale Welten

WLAN und Internetarbeitsplätze in Bibliotheken sind weit verbreitet. Um die Angebote der Bibliotheken zu nutzen, müssen diese noch nicht einmal betreten werden. Online lei­hen sich Nutzer bequem E­-Books und E-­Paper aus. Im Angebot sind auch Filmstreamingdienste oder musikalische Angebote zu Pop, Jazz und Klassik. In der Schweiz bieten fast 300 Bibliotheken von Aarau bis Zuoz diesen Service an. Das Angebot ist unter www.bibnetz­.onleihe.ch zu finden.

7. Bibliotheken sind innovativ

In Bibliotheken gibt es keine Berüh­rungsängste mit technischen Neu­heiten. Oft existieren dort auch sogenannte Maker Spaces, Werk­stattprogramme mit Experimenten und explorativem Ansatz. Ebenso finden Besucher dort Angebote zu 3­D-­Druckern, Robotik und VR­-Brillen oder über das Erstellen von Stop­Motion­Filmen.

Fazit:

Kaum eine andere Institution setzt sich so aktiv und umfassend für die unterschiedlichen Formen der Lese­fähigkeit ein wie öffentliche Biblio­theken. Würden Bibliotheken stärker in unsere Medienerziehung mit ein­ geplant werden, würde dies Familien und Schulen deutlich entlasten.

Das sollten Eltern über Bibliotheken wissen:

  • Jedes Kind, jeder Jugendliche braucht einen eigenen Bibliotheksausweis.
  • Konsolenspiele sind ein guter Anreiz. Manche Kinder gehen nur in Bibliotheken, um sich Konsolenspiele auszuleihen. Dabei stossen sie aber auch auf eine Reihe anderer Medien.
  • Bibliotheken bieten Kindergärten und allen Schulstufen Einführungen an.
  • Nehmen Sie die Lese- und Digitalangebote für Kinder und Schüler unter die Lupe. Auch in den Ferien wird viel angeboten.
  • Vermissen Sie in Ihrer Bibliothek etwaige digitale Angebote, dann fordern Sie sie ein. Bibliotheken sind für die Bürger da.
  • In Bibliotheken finden auch viele Veranstaltungen für Kinder und Erwachsene statt.

Zum Autor:

Thomas Feibel, 58, ist einer der führenden Journalisten zum Thema «Kinder und neue Medien» im deutschsprachigen Raum. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare. 

Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.


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