05. Oktober 2016
Tattoos und Piercings – das sollten Sie wissen
Text: Claudia Füssler
Bild: Catherine Minala / Plainpicture
Bild: Catherine Minala / Plainpicture
Lesedauer: 7 Minuten
Tattoos, Piercings, Branding: Die freiwillige Veränderung des Körpers durch Malerei und Schmuck ist besonders bei jungen Menschen so beliebt wie nie. Die Träger investieren viel Geld und Schmerzen in ihren Körperschmuck. Wollen sie ihn wieder loswerden, kommts oft noch schlimmer.
Das chinesische Zeichen für «Ich liebe dich» auf dem Oberarm, ein Drache auf dem Schulterblatt, ein florales Muster am Fussknöchel – der Wunsch, den eigenen Körper mit einer Tätowierung (englisch: Tattoo) zu schmücken, ist vor allem bei Jugendlichen sehr stark. Das liegt nicht zuletzt an Vorbildern wie Rihanna, Miley Cyrus oder Justin Bieber, der sich nach eigenen Angaben schon mehr als 50 Mal unter die Tätowiernadel gelegt hat. Fast jeder vierte 16- bis 29-Jährige hat bereits ein Tattoo, und fast der Hälfte aller 16- bis 29-Jährigen gefällt diese Form des Körperschmucks, wie aus einer Umfrage des IfD Allensbach von 2014 hervorgeht. Dass der Trend auch in der Schweiz ungebrochen ist, erlebt Laurence Imhof tagtäglich: Sie ist Oberärztin an der Dermatologischen Klinik und Leiterin der Lasermedizin am Universitätsspital Zürich.
«Wir wissen nicht, was die Farbe im Körper anrichtet, da es keine grossen Studien darüber gibt.»
Felix Bross, Oberarzt an der Klinik für Dermatologie und Venerologie des deutschen Universitätsklinikums Freiburg
Die Beliebtheit von Tattoos spürt sie unter anderem an der steigenden Nachfrage nach Entfernungen dieser Körperbilder. «Das ist allerdings zeitlich sehr aufwendig, schmerzhaft und sehr teuer», sagt Imhof. Harmlos sind Tattoos keinesfalls. Es kann bereits beim Stechen eines Motivs zu einigen Komplikationen kommen. «Man sollte nicht vergessen: Jeder Eingriff ist ein Risiko.» Das Risiko beim Tätowieren beginnt mit der Nadel. Hier muss das Studio höchsten Wert auf Hygiene legen, um sicherzustellen, dass sich der Kunde nicht mit Hepatitis oder dem Aids-Virus infiziert. Selbst wenn es nicht zu solch gravierenden Übertragungen kommt: Ein Restrisiko, dass Bakterien in die zwar nur oberflächliche, aber offene Wunde gelangen und sie entzünden, bleibt immer. Tätowierungen können auch Hauterkrankungen hervorrufen. «Vor allem dann, wenn es in der Familie bereits Erkrankungen gibt, kann der mechanische Reiz des Stechens ein Auslöser sein und zum Beispiel einen neuen Herd der Schuppenflechte produzieren», erklärt Laurence Imhof.
Allergische Reaktionen sind häufig
Nicht selten kommt es zu allergischen Reaktionen auf die Tätowierfarbe. Wie hoch das Risiko ist, lässt sich vorher nie genau sagen. Der Grund: Viele Hersteller der Farben halten sich nicht an die gesetzlichen Regelungen. Seit dem 1. Januar 2008 gelten in der Schweiz Vorschriften hinsichtlich der chemischen und mikrobiologischen Anforderungen sowie der Deklaration der Bestandteile von Farben, die für Tattoos und Permanent- Make-up verwendet werden. Da die Hersteller jedoch kein Zulassungsverfahren durchlaufen müssen, sind nach wie vor Farben in Umlauf, die potenziell gesundheitsschädlich sind. Das Bundesamt für Gesundheit rät daher zur äusserst sorgfältigen Auswahl eines Tätowierstudios. «Wir wissen nicht, was die Farbe im Körper anrichtet», sagt Felix Bross, Oberarzt an der Klinik für Dermatologie und Venerologie des deutschen Universitätsklinikums Freiburg. Da es keine grossen Studien darüber gibt, können Mediziner bis heute nicht sagen, wie sich ein Tattoo auf die Gesundheit auswirkt. Experten streiten, ob es einen Zusammenhang mit Hautkrebs gibt. Klar ist: Die Farbe, die in der Regel in die Lederhaut – die mittlere der drei Hautschichten – eingebracht wird, bleibt nicht dort. Etwa ein Drittel der gesamten Farbmenge landet über die Lymphbahnen im Körper. «Wir haben von tätowierten Menschen Lymphknoten entfernt, die vor lauter Farbe völlig dunkel waren», sagt Bross. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sich die Farbe verteilt.
Rund ein Drittel der eintätowierten Farbe landet über die Lymphbahnen im Körper.
Bedenklich ist das laut Bross vor allem deshalb, weil bei chemischen Laboruntersuchungen der Farbzusammensetzung krebserregende Substanzen wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), hochgiftige aromatische Amine sowie potente Allergene wie Nickel und Cadmium gefunden worden sind. Wenn solch giftige Bestandteile der Farben in der Lymphe unterwegs sind, können sie theoretisch allerlei Krankheiten auslösen, etwa in der Leber oder der Blase; Untersuchungen dazu fehlen jedoch. Ein oft unterschätztes Risiko bei der Entscheidung für oder gegen ein Tattoo ist der eigene Geschmack. Jugendliche können sich nicht vorstellen, dass sie in drei, vier Jahren andere Dinge schön finden als heute oder nicht mehr mit dem Partner zusammen sind, dessen Namen sie sich jetzt grossflächig in den Unterarm gravieren wollen. Ganz zu schweigen von der Lebens- und Berufswelt in mehreren Jahrzehnten. Eltern sollten in Gesprächen also immer wieder behutsam darauf hinweisen, dass Mode, Geschmack und Liebe veränderliche Dinge sind. «Wir erleben hier viele enttäuschte Menschen», sagt auch Felix Bross. «Jeder sollte es sich wirklich dreimal, viermal überlegen, ob er sich tätowieren lassen möchte, und sich vor allem klarmachen, dass es sich nicht um eine temporäre Sache handelt, die man bei Nichtgefallen problemlos wieder entfernen kann.»
Vollständige Entfernung von Tattoos meist nicht möglich
In der Tat stellt die Entfernung eines Tattoos Dermatologen vor eine grosse Herausforderung. Die Theorie ist einfach: Mit einem Laser wird durch die Haut hindurch auf die Farbe geschossen. Diese wird in einzelne Pigmente zertrümmert, die der Körper nach und nach über die Lymphe und die Haut abtransportiert. Das dauert mehrere Wochen. In der Praxis erfordert jede Farbe eine andere Wellenlänge und damit einen anderen Laser. «Häufig wissen wir nicht, wie die einzelnen Farben auf eine Laserbehandlung reagieren. Da es so viele unterschiedliche Farbhersteller gibt, müssen wir immer wieder probieren, vor allem, wenn es sich um Mischfarben handelt», erklärt Bross. Daher wird bei jedem Patienten erst eine kleinere Probebehandlung gemacht. Weil der Arzt nie sicher sein kann, was genau in der Farbe enthalten ist, kann auch niemand vorhersagen, wie der Patient auf die Laserbehandlung reagiert. Mitunter verursacht die Laserbehandlung einen Farbumschlag, das heisst, die Farbe verändert sich – beispielsweise von Blau zu Schwarz oder von Rot zu Braun. Die chemische Zusammensetzung der Farbe kann sich auch so verändern, dass der Tätowierte plötzlich allergisch reagiert. Hinzu kommt: Die Tattoos, die Profis in den empfohlenen seriösen Tätowierstudios anfertigen, sind sehr tief und dicht gestochen und enthalten oft Farbmischungen – das macht das Entfernen um einiges schwieriger. Eine vollständige Entfernung des Tattoos ist meist nicht möglich, eine verblasste oder vernarbte Stelle auf der Haut bleibt zurück.
Hilfe nur von Experten
Dennoch sollte, wer sein Tattoo entfernen lassen möchte, unbedingt die Hilfe von Experten beanspruchen. Viele nichtärztliche Institutionen bieten auch die Entfernung der von ihnen angebrachten Schmuckstücke an. Dafür spritzen sie hochkonzentrierte Milchsäure in die bemalte Haut, die die Farbpigmente abtransportieren soll. Von dieser Methode rät Laurence Imhof vom Universitätsspital Zürich dringend ab: «Dabei entstehen oft grossflächige Narben, so dass selbst wir nichts mehr retten können.» Auch die Dermabrasion, also das Abschleifen der Haut mit speziellen Instrumenten, oder die chirurgische Entfernung des Tattoos sollten nur in Ausnahmefällen angewandt werden. Die mit Abstand sicherste und effektivste Methode ist der Laser.
Piercing – Körperschutz mit Nebenwirkungen
Ähnlich populär wie die Tätowierung ist das Piercen von Körperteilen: Kleine Stifte aus Metall werden durch Nasenwände, Unterlippen, Zunge, Augenbrauen oder Brustwarzen gestochen. Doch auch hier raten Fachleute zur Vorsicht. Beim Stechen des Lochs, durch das später das Piercing gezogen wird, kann es zu schwerwiegenden Verletzungen von Nerven kommen. Beim Durchstechen der Zunge kann es zu Gefässverletzungen kommen, Mundboden und Zunge schwellen in den ersten Tagen nach dem Eingriff oft an, die Atmung kann behindert werden. «Besonders vorsichtig sollten Menschen sein, die selbst oder deren Familienmitglieder zu einer wulstigen Narbenbildung neigen», sagt Laurence Imhof. Durch den Reiz kann die Haut zu wuchern beginnen und Wülste bilden. Piercings, die Kobalt oder Nickel enthalten, lösen häufig Allergien aus. Hier sollte also auf hochwertiges Material geachtet werden.
Ein Tattoo entfernen geht selten ohne verblasste oder vernarbte Haut.
Piercings im Mundbereich können den Zähnen schaden. Wenn sie beim Reden und Kauen gegen die Zähne stossen, greifen sie den Zahnschmelz an. Kleine Stücke können abbrechen. Besonders bei Lippenpiercings wird das Zahnfleisch geschädigt und geht zurück, die Zahnhälse liegen frei. Während der Träger eines einfachen, einfarbigen Tattoos wenigstens noch die Chance hat, das gute Stück einmal völlig loszuwerden, hinterlässt ein Piercing seine Spuren. Denn wie bei einem Ohrringloch verschliesst der Körper die inneren Wände entlang des Kanals. Wer sein Piercing eines Tages nicht mehr tragen möchte, muss also mit dem Loch leben. Es zu entfernen, ist häufig nur über eine Operation möglich: Das Loch wird zum Beispiel herausgestanzt und die frisch entstandenen Wundränder werden vernäht. Dann bleibt statt dem Loch eine Narbe. «Wie gut das verheilt, hängt von der Struktur ab, in der sich das Piercing befindet, ein Nasenknorpel reagiert anders als eine Oberlippe», sagt der Freiburger Dermatologe Felix Bross. Ob Tattoo, Piercing oder eine andere Form von Körperschmuck, wer das lebenswichtige Organ Haut verschönern möchte, muss sich im Klaren darüber sein: Das wird ein lebenslanger Begleiter.
Was ist Body Modification?
Mit dem englischen Begriff Body Modification wird die freiwillige Veränderung des menschlichen Körpers durch Körperschmuck bezeichnet:
- Die bekannteste Form der Body Modification ist die Tätowierung, bei der Tinte oder andere Farbmittel in die Lederhaut eingebracht werden. Sie sind dauerhaft.
- Anders verhält es sich bei Mehndi, der Körperbemalung mit Henna. Hier gelangt die Farbe lediglich in die obere Hautschicht, nach zwei bis drei Wochen verblasst das Tattoo. Wichtig: Viele Henna-Anbieter mischen der Farbe das Haarfärbemittel PPD bei. Das ist billig und verkürzt die normalerweise sechs bis acht Stunden dauernde Einwirkzeit des Hennas erheblich. Aber PPD kann schwere allergische Reaktionen auslösen und zu irreparablen Haut- und Leberschäden führen.
- Beim Piercing wird stäbchen- oder ringförmiger Schmuck durch ein gestochenes Loch durch die Haut und das darunterliegende Gewebe angebracht.
- Von Scarification oder Skarifizierung spricht man, wenn der Haut künstliche Narben zur Zierde zugefügt werden.
- Geschieht das mittels Schnittwunden, nennt man das Cutting, werden Brandmale erzeugt, nennt man das Branding.
- Eine weitere Möglichkeit sind kleine Metallplatten mit Gewinde, die unter die Haut implantiert werden. Das Gewinde bleibt an der Oberfläche sichtbar, hier können verschiedene Schmuckaufsätze angebracht werden. Diese Variation heisst Transdermals, kleine und daher schneller verheilende Implantate nennt man Microdermals.
Drei Tipps für Eltern
- Wollen sich Minderjährige tätowieren oder piercen lassen, brauchen sie die Zustimmung beider Eltern. Das heisst auch: Eltern haben ein Vetorecht.
- Bevor Sie davon Gebrauch machen, sollten Sie sich mit dem Wunsch Ihres Kindes auseinandersetzen und erklären, was gegen ein Tattoo spricht. Wichtiges Argument: Der Körper wächst und formt sich noch, so dass sich das Tattoo noch verändern kann und später nicht mehr aussieht wie angedacht.
- Steht die Entscheidung für ein Tattoo, konsultieren Sie einen Hautarzt und informieren sich über das Risiko einer allergischen Reaktion Ihres Kindes. Wählen Sie gemeinsam ein Tätowierstudio aus. Weitere Informationen Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen hat wichtige Tipps zu Tattoos und Piercings zusammengestellt.
Woran erkenne ich ein gutes Tattoo-Studio?
- Hohe Hygienestandards.
- Freundliches Personal, das sich Zeit nimmt für Erklärungen und es in Ordnung findet, wenn man nach dem ersten Besuch untätowiert nach Hause geht, um noch einmal in Ruhe darüber nachzudenken.
- Die Räume sollten hell, aufgeräumt und rauchfrei sein und von der Sauberkeit her an eine Arztpraxis erinnern.
- Das Arbeiten mit Handschuhen und Einmalnadeln ist selbstverständlich.
- Der Tätowierer sollte ungefragt und am besten schriftlich über mögliche Risiken und Allergien aufklären und Auskunft über Herkunft und Zusammensetzung seiner Farben geben.
- Minderjährige werden nur mit schriftlicher Genehmigung beider Eltern tätowiert.
- Ein seriöses Studio informiert ausführlich darüber, wie der neue Körperschmuck in den ersten Wochen gepflegt werden muss.