«Mama, ich will die Pille» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Mama, ich will die Pille»

Lesedauer: 5 Minuten

Die Pille ist das beliebteste Verhütungsmittel bei Teenagern. Seit diesem Jahr ist ein Präparat auf dem Markt, das den weiblichen Zyklus verlängert und die Blutungen auf vier im Jahr reduziert. Darin sehen viele Frauen Vorteile. Aber wie steht es um die Risiken? 

Linda nimmt die Pille, seit sie 16 ist und einen festen Freund hat. Schwanger zu werden, käme für die Gymnasiastin zurzeit nicht in Frage. Zudem litt die 17-Jährige während ihrer Menstruation unter starken Unterleibsschmerzen. Sie könnte auf die monatlichen Blutungen gut und gerne verzichten. Eine neue Pille könnte der Schülerin jetzt helfen. Seit diesem Jahr ist in der Schweiz erstmals eine Pille mit Langzyklus erhältlich, die ohne Unterbruch eingenommen wird und nur noch zu vier Blutungen pro Jahr führt. Stellt sich die Frage, wie geeignet diese Pille für junge Frauen ist. Gabriele Merki leitet an der Frauenklinik am Universitätsspital Zürich die Sprechstunde Schwangerschaftsverhütung. In einer Studie, die die Medizinerin 2014 durchgeführt hat, gaben 57 Prozent der Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren an, dass sie ihre Periode als beschwerlich empfinden. Rund 80 Prozent der befragten Mädchen hätten die Blutung lieber weniger als monatlich oder gar nicht.

Menstruation gestern und heute

Braucht es überhaupt eine monatliche Hormonentzugs- oder Abbruchblutung, wie sie bei herkömmlichen Pillen herbeigeführt wird? Sibil Tschudin, Leitende Ärztin an der Frauenklinik des Universitätsspitals Basel, erklärt: «Aus medizinischer Sicht sind die regelmässigen Blutungen unter Pilleneinnahme für die Gesundheit nicht notwendig.» Heute haben Frauen die Wahl, die Zahl ihrer Blutungen neben der Pille auch mit einem Pflaster oder Hormonring zu reduzieren. 

«Aus medizinischer Sicht sind die regelmässigen Blutungen nicht nötig.»

Häufige Blutungen sind eine Erscheinung der modernen Zeit. Noch vor etwa 100 Jahren hatten Frauen im Lauf ihres Lebens durchschnittlich nur zirka 160 Blutungen, weil sie zum einen die Periode später bekamen, zum anderen 10 bis 15 Mal schwanger wurden, 10 Kinder zur Welt brachten und die 7 oder 8 Überlebenden jeweils während etwa zwei Jahren gestillt haben. Die Menstruation wurde früher also während längerer Zeit durch zahlreiche Schwangerschaften und lange Stillzeiten unterbunden. Heute haben Frauen im Schnitt 450 Mal in ihrem Leben ihre Blutung, weil sie nur noch 1 bis 2 Kinder gebären und die Hälfte der Mütter bereits nach 3 Monaten abstillt.

Junge Frauen setzen auf die Pille

Gemäss der letzten Gesundheitsbefragung des Bundesamtes für Statistik aus dem Jahr 2012 verhüten junge Frauen zwischen 15 und 24 Jahren am häufigsten mit der Pille. In dieser Altersgruppe verlassen sich rund 64 Prozent der Frauen auf den zuverlässigen Schutz. Auch in Lindas Klasse nehmen drei Viertel der Mädchen die Pille. Die meisten versprechen sich neben dem Empfängnisschutz weitere Vorteile. Sarah, 16, schätzt die Tatsache, dass sie ihre Periode dank der Pille regelmässig bekommt und schwächer hat. Pia, 16, nimmt die Pille, weil sie seit Beginn der Pubertät an starker Akne litt. «Seit ich die Pille nehme, hat sich mein Hautbild deutlich verbessert», sagt sie. Sibil Tschudin vom Universitätsspital Basel weiss: «Diese positiven Begleiterscheinungen machen sich nicht bei allen Jugendlichen gleich stark bemerkbar. Die Pille ist kein Wundermittel, und Mädchen müssen sich bewusst sein, dass sie ein Medikament ist.»

Pillen mit niedrigem Risiko

Frühestens mit 14 Jahren dürfen sich junge Frauen die Pille ohne Einwilligung ihrer Eltern verschreiben lassen. Gabriele Merki erklärt: «Einem vierzehnjährigen Mädchen, das allein in die Sprechstunde kommt und mit der Pille verhüten will, verschreiben wir diese nur dann, wenn es reif genug ist, eine solche Entscheidung treffen zu können.» Ein ausführliches Beratungsgespräch sei bei jeder Erstverschreibung äusserst wichtig (siehe Box im Anschluss des Artikels). Seit der Einführung der ersten Pille in den 1960er-Jahren sind unzählige Präparate auf den Markt gekommen. Doch welche Pillen eignen sich für Mädchen, die zum ersten Mal damit verhüten wollen? «Jungen Frauen verschreibe ich am häufigsten Präparate der zweiten Generation, da sie über das beste Nutzen-Risiko-Profil verfügen», erklärt Gabriele Merki. Diese Kombinationspräparate, die das Gestagen Levonorgestrel und das Östrogen Ethinylestradiol enthalten, haben das kleinste Thromboserisiko. 

Komplikationen sind selten, Nebenwirkungen wie depressive Verstimmungen möglich.

In Zahlen ausgedrückt, bedeutet dies: Während zwei bis drei gesunde Frauen von 10.000, die keine Pille einnehmen, an einer Thrombose erkranken, sind es bei Kombipillen der zweiten Generation vier bis sechs Frauen während eines Anwendungsjahres. Das Risiko wird insbesondere durch die Familiengeschichte, aber auch durch Übergewicht, Rauchen und das Alter beeinflusst. Bei Pillen der dritten und vierten Generation liegt das Risiko bei sechs bis zehn zu 10.000. Auch wenn die Pille von der grossen Mehrheit der Frauen gut vertragen wird und Komplikationen wie Thrombosen selten auftreten, sind Nebenwirkungen möglich, zum Beispiel depressive Verstimmungen, Gewichtszunahme, Libidoverlust. Meist machen sich unerwünschte Wirkungen in den drei Monaten nach der erstmaligen Einnahme der Pille bemerkbar. Gabriele Merki empfiehlt deshalb, nach Ablauf dieser Zeit eine erste Kontrolle zu vereinbaren. Wenn Nebenwirkungen auftreten, kann ein Wechsel auf ein anderes Präparat sinnvoll sein.

Neue Pille verlängert Zyklus 

Aber wie geeignet ist die neue Pille für Teenager? In der Zusammensetzung unterscheidet sie sich nicht von den herkömmlichen Pillen der zweiten Generation. In den USA erschien die Pille bereits 2006, in Österreich ist sie seit zwei Jahren erhältlich, von Swissmedic wurde sie sowohl für junge Mädchen als auch Frauen zugelassen. Nachteile gegenüber herkömmlichen Präparaten der zweiten Generation sehen Experten nicht. Dadurch, dass die Pillenpause durch die kontinuierliche Einnahme wegfällt, verringert sich die Gefahr, dass die Frau die nächste Packung verspätet anbricht und damit einer ungewollten Schwangerschaft. Zudem verkürzt sich die Zeit der Blutung auf etwa drei Tage, worüber sich ebenfalls viele Anwenderinnen freuen dürften. Andererseits könnte eine Langzeitpille das Gewöhnen an die monatliche natürliche Menstruation nach Absetzen erschweren. Wenn die Tochter die Pille will, machen sich manche Eltern Gedanken, ob dadurch die Fruchtbarkeit langfristig beeinträchtigt wird. Sibil Tschudin: «Die Fortpflanzungsfähigkeit wird durch die Pilleneinnahme nicht beeinträchtigt, auch wenn diese im Langzyklus eingenommen wird.» Nach Absetzen der Kombinationspille, unabhängig davon, ob diese im Monats- oder Langzyklus eingenommen wurde, kommt der Zyklus in der Regel umgehend wieder in Gang.

Foto: iStock


Zeichen für Komplikationen 

Die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hat eine Checkliste zusammengestellt, die dabei helfen soll, Zeichen für Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Eine Frau sollte mit ihrer Gynäkologin oder ihrem Gynäkologen Kontakt aufnehmen, wenn:

  • sie unter Pilleneinnahme erstmalig Migräne hat, diese stärker auftritt oder sie häufig an ungewohnt starken Kopfschmerzen leidet;
  • sie plötzliche Seh-, Hör- oder sonstige Wahrnehmungsstörungen hat;
  • sie erste Anzeichen thrombo-embolischer Erscheinungen hat, insbesondere Atemnot, unklare Thoraxschmerzen oder Husten unklarer Ursache;
  • sie unklare Schmerzen in einer Extremität und/oder Schwellung eines Beines hat, vor allem nach Flug- und Busreisen; 
  • sie sich einer geplanten Operation unterziehen muss (mindestens vier Wochen im Voraus) oder sich nach einem Unfall oder einer Operation kaum bewegen kann – falls dies nicht möglich ist, ist eine gezielte Thromboseprophylaxe notwendig;
  • ihr Blutdruck plötzlich erhöht ist (bei wiederholter Messung);
  • Verdacht auf Herzinfarkt oder koronare Herzkrankheit besteht;
  • Verdacht auf Schlaganfall besteht;
  • sie an Gelbsucht, Hepatitis oder Juckreiz am ganzen Körper leidet;
  • starke Oberbauchschmerzen oder Lebervergrösserung auftreten;
  • sie schwanger ist oder Verdacht auf Schwangerschaft besteht.

Was der Gynäkologe Ihre Tochter fragen sollte

  •  Fühlst du dich für den Geschlechtsverkehr bereit oder kommt der Wunsch von deinem Freund? Wie alt ist dein Freund?
  • Bist du dir bewusst, dass die Pille bei korrekter Einnahme zuverlässig vor einer Schwangerschaft, aber nicht vor Geschlechtskrankheiten schützt? Vor Geschlechtskrankheiten schützt nur das Kondom.
  • Weisst du, dass die Pille von den meisten Frauen gut vertragen wird, aber auch Komplikationen und Nebenwirkungen auftreten können?
  • Zum Thrombose-Risiko:
    • Hat jemand in deiner Familie je eine Thrombose, eine Lungenembolie, einen Herzinfarkt oder einen Hirnschlag erlitten?
    • Rauchst du?
    • Leidest du oder jemand in deiner Familie an Bluthochdruck, Diabetes, einer Fettstoffwechselstörung, Bluterkrankungen, Lebererkrankung, einem östrogenabhängigen Karzinom?
    • Leidest du an neurologischen Krankheiten, Epilepsie oder Migräne?
    • Weisst du, dass Übergewicht das Thromboserisiko erhöht?
    • Was musst du wissen, wenn du die Pille mal vergessen oder zu spät eingenommen hast oder wenn du Durchfall hattest? Falls du trotz vergessener Pille Geschlechtsverkehr gehabt hast, kann die «Pille danach» vor einer Schwangerschaft schützen.

Die Einnahme der Pille

Die Reifung des Eibläschens und der Eisprung werden nur dann zuverlässig unterbunden, wenn die Pille regelmässig eingenommen wird. Manchen hilft eine App, um die Einnahme nicht zu vergessen (z. B. Lady Pill Reminder, myPill Erinnerung). Bei der Kombinationspille der zweiten Generation ist die Verhütung bei einer verspäteten Einnahme bis maximal 12 Stunden gewährleistet. Danach besteht kein zuverlässiger Schutz mehr. Bei Pillen im Monatszyklus erfolgt nach 21- bzw. 24-tägiger Einnahme eine Pause von 7 bzw. 4 Tagen. Bei der Pille im Langzyklus wird die Pille ohne Pause während 91 Tagen eingenommen. 84 Tabletten enthalten die Kombination Gestagen-Östrogen, die letzten 7 Tabletten eine niedrige Dosis Östrogen. Nach Beendigung der Packung erfolgt keine Pillenpause.

Zur Autorin

Susanna Steimer Miller ist Chefredaktorin des Elternratgebers «Baby & Kleinkind» und schreibt als Autorin über Gesundheits- und Ernährungsthemen.
Susanna Steimer Miller ist Chefredaktorin des Elternratgebers «Baby & Kleinkind» und schreibt als Autorin über Gesundheits- und Ernährungsthemen.