Allergien auf dem Vormarsch
Ob Pollen, Wespen, Nüsse oder Milben – immer mehr Kinder entwickeln eine Allergie. So wehrt sich ihr Immunsystem. Manchmal wächst sich eine Überempfindlichkeit aus, doch oft bleibt sie ein Leben lang.
Zusammen mit ihrem Mann fuhr sie in den Kindernotfall. Laura bekam Medikamente und wurde über wacht, bis die Symptome zurückgingen. Später habe ein Allergologe die Eierallergie bestätigt. «Laura reagiert auf kleinste Mengen», sagt Sarah Meier. Das Leben der jungen Familie sei komplizierter geworden. Auswärtsessen oder reisen sei schwierig. «Man glaubt nicht, wo es überall Eier drin hat!», so Sarah Meier.
Je früher ein Kind Viren und Bakterien ausgesetzt ist, desto besser.
Das Immunsystem im Abwehrmodus
Bei der Entstehung einer Allergie spielen genetische Komponenten eine Rolle. «Leidet der Vater oder die Mutter an einer Allergie, liegt das Risiko für die Nachkommen bei 30 Prozent. Sind beide Eltern betroffen, kann dieses bis auf 70 Prozent steigen», betont Peter Schmid-Grendelmeier. Dazu komme die Hygiene-Hypothese: Gemäss Studien haben Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen oder früh Kontakte mit Gleichaltrigen haben, weniger Allergien.
Laut Kinderpneumologe Alexander Möller spielt bei der Entstehung von Asthma ebenfalls die Vielfalt der Erreger eine Rolle, denen Kinder und ihre Mütter ausgesetzt sind; dazu gehörten auch die Nahrungsmittel für Kleinkinder.
Viele ungeklärte Ansätze
Dieser neue, noch nicht vollständig geklärte Ansatz hat laut Alexander Möller gerade bei Kindern eine hohe Relevanz, denn die Säuglinge kommen «steril» zur Welt. «Die Besiedlung der Darmflora beginnt erst nach der Geburt.» Hier sei daher die Art und Weise, wie das Mikrobiom aufgebaut werde beziehungsweise welches Gleichgewicht oder eben Ungleichgewicht in der Darmflora herrsche, relevant.
Ebenfalls diskutiert wird die Frage, ob eine frühe Antibiotikagabe das Allergierisiko erhöht. Denn eine neue Studie weist darauf hin, dass Antibiotika in den ersten zwei Lebensjahren die Darmflora nachhaltig beeinträchtigen und damit das Immunsystem beeinflussen können.
Psychische und physische Faktoren können zwar je nach Alter eine Rolle spielen, bei Kindern sind es aber vor allem Umweltfaktoren. Ein grosser Risikofaktor sei, wenn Kinder Tabakrauch ausgesetzt seien. Dies vor allem in der Schwangerschaft, im Mutterleib, betont Alexander Möller.
Suche nach Allergieauslösern
Die Abfolge dieser drei atopischen Erkrankungen (das sind Allergien, bei denen das Immunsystem binnen Sekunden oder Minuten auf das Allergen reagiert) während der Kindheit wird oft als «Allergiekarriere» bezeichnet. Pollen, Tierhaare, Nahrungsmittel, Hausstaubmilben und Insektengifte sind die häufigsten Allergene.
Leiden beide Eltern an Allergien, liegt das Risiko für die Kinder bei 70 Prozent.
Sind diese anfallartig, saisonal oder ortsgebunden? So beginnt die Suche nach dem Allergen.
Weiter gibt es dafür verschiedene Tests: Hauttests, bei denen verschiedene Allergene auf die Haut getropft oder in einem Pflaster aufgetragen werden. «Je nach vermutetem Allergen wählen wir die Untersuchungsart.» Mittels Blutanalysen werden Antikörper bestimmt, zudem gibt es intranasale (in der Nase angewendete) oder inhalative Provokationstests. «Bei Verdacht auf Asthma wird ein Lungenfunktionstest durchgeführt», sagt Alexander Möller. Dabei atmen die Kinder in ein Messgerät, das die Menge der ein- und ausgeatmeten Luft pro Zeiteinheit misst.
Reaktion eindämmen und Toleranz erhöhen
«Bei Asthma braucht es oft einen kortisonhaltigen Inhalationsspray», sagt Möller, da die Kinder bei den Anfällen zu wenig Sauerstoff bekommen, was gesundheitliche Folgen hat. Der Pulvernebel verteile den Wirkstoff in den Atemwegen. Da die Dosen im Mikro- und Nanobereich liegen, müssen sich Eltern nicht vor den Nebenwirkungen des Kortisons fürchten, sagt Möller. Für ihn, der viele Kinder mit Asthma betreut, gebe es keinen Kompromiss, wenn diese leiden. «Es braucht eine klare Diagnose und bei einer Leistungseinschränkung müssen wir behandeln.» Asthma wachse sich dazu oft bis zum Schulalter aus.
Allergikerkinder sollen nicht ausgegrenzt werden, sondern ein normales Leben führen können.
Neuere Arbeiten zeigen auch, dass ein Kontakt im Kleinkindalter mit möglichen allergieauslösenden Substanzen wie Erdnussbutter das Allergierisiko drastisch senkt. Wichtig finden beide Ärzte, dass betroffene Kinder und ihre Eltern geschult werden. Peter Schmid-Grendelmeier appelliert dazu auch an die Lehrerschaft: «Allergikerkinder sollen nicht ausgegrenzt werden, sondern ein normales Leben führen können!» Alle Betreuungspersonen müssen hier Verantwortung übernehmen.
* Name geändert
Bild: Juice Images / Alamy Stock Photo
Zur Person:
Risiko allergischer Schock
Forschungsprojekt Exhalomics – frühe Diagnose und Prävention von Asthma bei Kindern
Weitere Informationen auf www.aha.ch
Allergien – eine Übersicht
- Ursachen haben und sind oft Symptom einer allergischen Reaktion; typisch ist etwa die Neurodermitis.
- Heuschnupfen ist eine allergische Reaktion auf Pollen und steht in Zusammenhang mit der Blühphase von Bäumen und Getreide. Die Schleimhäute der Nase und Augen jucken und schwellen an. Folgerisiko ist das allergische Asthma.
- Hausstaubmilbenallergie: Die Ausscheidungen von Milben können Schnupfen oder Asthma auslösen.
- Nahrungsmittelunverträglichkeiten entwickeln Kinder oft bei Milchprodukten, Eiern, Getreide, Fisch oder Obst.
- Als Überempfindlichkeit auf die Proteine im Latex zeigt sich eine Latexallergie.
- Tierallergien richten sich meist gegen Katzen, Hunde, Pferde und Nagetiere.
- Auslöser einer Medikamentenallergie sind meist Antibiotika, Schmerzmittel, Mittel gegen Krampfanfälle und Beruhigungsmittel.
- Allergene sind die häufigsten Auslöser von Asthma bronchiale, etwa Pollen, Tierhaare, Hausstaubmilben oder Schimmelpilze.
- Viele Kinder leiden an einer Sonnenallergie. Die Allergie zeigt sich als Pusteln oder Bläschen, nachdem die Haut der Sonne ausgesetzt war.
Allergien vorbeugen
- Babys so lange wie möglich stillen, am besten vier bis sechs Monate.
- Alternativ bei Hochrisikokindern in den ersten vier bis sechs Monaten hypoallergene Nahrung geben.
- Ab vier Monaten möglichst vielfältige Beikost geben.
- Aufhören, Babyutensilien wie Schoppen oder Schnuller zu sterilisieren.
- Alles vermeiden, was eine Allergie fördern kann, vor allem Rauchen!
- In Hochrisikofamilien keine Haustiere halten.
- Kuscheltiere regelmässig waschen.
- Kinder so früh wie möglich mit Bakterien und Viren in Kontakt bringen (Kinderkrippe, Krabbel-, Spielgruppe, Bauernhofbesuche).
- Ortswechsel in der Pollensaison.
- Zurückhaltung mit dem Einsatz von Antibiotika wird empfohlen.
- Kinder mit Asthma gegen Keuchhusten und Pneumokokken impfen lassen.