So viel arbeiten wie meine Eltern? Nein, danke! - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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So viel arbeiten wie meine Eltern? Nein, danke!

Lesedauer: 4 Minuten

Für viele Jugendliche rückt der Eintritt ins Berufsleben näher. Einiges deutet darauf hin, dass diese Arbeitnehmer von morgen anders ticken. Work-Life-Balance ist für sie keine leere Worthülse, sondern hat oberste Priorität. Gut so, sagen Experten. 

Es ist eine offenbar unabänderliche Angewohnheit von Sozialforschern, Generationen nach Buchstaben zu schubladisieren. X waren die Skeptiker, Y die Unkonventionellen. Jetzt ist Z dran. Zur Orientierung: Generation X kam zwischen 1960 und 1980 auf die Welt, Y folgte von 1980 bis 1995. Z meint gemeinhin alle unter 20, wobei die Forscher die Messlatte leicht unterschiedlich ansetzen. Diese Jugendlichen sind die Arbeitnehmer von morgen. Die Gesellschaft tut gut daran, sich mit ihren Forderungen auseinanderzusetzen, denn Nachwuchs wird dringend gebraucht – von Fachkräften und Beitragszahlern gleichermassen.

Die Basis der Generation Z

Wer die Generation Z verstehen will, kommt nicht umhin, einen Blick auf ihre Vorgänger zu werfen. Die wurden so gründlich erforscht wie keine Alterskohorte zuvor. Es sind die heute Zwanzig- bis Mitte Dreissigjährigen, bekannt als Generation Y. Im Englischen spricht sich Y aus wie «why» – «warum». Das passt zu diesen alles hinterfragenden jungen Erwachsenen. Sie waren die Ersten, die in einer digital vernetzten Welt gross wurden, zunehmende globale Konflikte prägten ihre Jugend. Durch die Erfahrung, dass nichts mehr sicher sei, gingen diese jungen Menschen ihr Leben taktisch an, sagt Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Sie hielten sich stets alle Optionen offen und hätten Mühe, sich festzulegen. Charakteristisch sei aber auch ihr Idealismus. «Vor dem Geld kommt der Wunsch, im Job etwas gestalten zu können, das man für wichtig hält», sagt Hurrelmann. 

Die neue Generation will geregelte Arbeitszeiten, unbefristete Verträge, klar definierte Strukturen im Job.

Selbstbestimmte Arbeitszeiten, flache Hierarchien und eine sinnstiftende Tätigkeit seien gefragt. Sähen junge Leute diese Forderungen eingelöst, seien sie hochmotiviert, das nicht nur zu Dienstzeiten. Bezeichnenderweise hat Generation Y Betriebswirtschaftler zur Wortschöpfung Work-Life-Blending inspiriert, damit ist die Fusion von Leben und Arbeit gemeint. Im Glauben, dass der Traumjob existiert, investiert die Generation Y viel – in eine lange Ausbildung, Projekte, die den eigenen Horizont erweitern. «Das ist begrüssenswert», sagt Hurrelmann, «birgt aber die Gefahr, im dauerhaften Provisorium zu enden.» Das wird heutigen Jugendlichen nicht passieren, ist Personalmanagement- Experte Christian Scholz überzeugt. Er ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes und forscht über die Generation Z. «Sie tickt anders und wird den Arbeitsmarkt vor Herausforderungen stellen», sagt Scholz. Unternehmen bekämen es mit ausgesprochenen Realisten zu tun, die sich nicht von rosigen Versprechen locken lassen, sondern Berechenbarkeit einfordern.

Praktische Annehmlichkeiten vor Sinnfragen

«Die Generation Z will geregelte Arbeitszeiten, unbefristete Verträge, klar definierte Strukturen im Job», weiss Scholz aus seinen Jugendumfragen. Sich für die Arbeit zu verausgaben, dafür hätten Jugendliche wenig übrig – auch, weil sie die idealistischen Vorstellungen ihrer Vorgängergeneration als Luftschlösser entlarvt hätten. Der Beruf als Berufung, dieser Traum habe sich nur für die wenigsten um die dreissig bewahrheitet. «Stattdessen steigt in dieser Altersgruppe die Burn-out-Rate», sagt Scholz, «viele haben hart gearbeitet, ohne sich verwirklicht oder einen nennenswerten materiellen Komfort erreicht zu haben. Stattdessen gingen Beziehungen in die Brüche, und Kinder sind auch keine da.» Auf Jugendliche wirke das abschreckend. Sie stellten den Wunsch nach praktischen Annehmlichkeiten über Sinnfragen: Im Job sei finanzielle Sicherheit genauso wichtig wie der Spassfaktor, ausserdem liege jungen Frauen und Männern daran, ihr Privatleben zu pflegen, sprich, es vom Beruf abzugrenzen. E-Mails lesen am Wochenende? Fehlanzeige, sagt Scholz. «Vertrauensarbeitszeit» sei für Generation Z kein Lockruf mehr, sondern impliziere, überspitzt gesagt, Zwang zur Selbstausbeutung. Dasselbe gelte für leistungsabhängige Lohnsysteme und befristete Verträge. Unternehmen müssten ihre Strategien überdenken: «Was Generation Y noch als attraktiv bewertet, schreckt die Arbeitnehmer von morgen bereits ab.»

Wunsch nach sicherem Arbeitsplatz 

Aussagen darüber, wie die kommende Generation die Arbeitswelt prägen wird, seien mit Vorsicht zu geniessen, moniert Jugendforscher Hurrelmann. «Was Jugendliche heute mit Blick auf ihre Zukunft sagen», vermutet er, «werden sie nicht in allen Punkten verwirklichen können oder wollen.» Doch er sieht ähnliche Tendenzen wie Scholz. Hurrelmann ist Mitautor der Shell-Jugendstudien. In der aktuellsten von 2015, sagt er, habe für 95 Prozent der Befragten die Arbeitsplatzsicherheit oberste Priorität, wenn es um Erwartungen an den Beruf gehe. An zweiter Stelle stünden ideelle Aspekte: Neun von zehn Jugendlichen sei es wichtig, Ideen einbringen zu können, ebenso viele wünschten sich eine sinnvolle Arbeit. Doch gewichteten Jugendliche unter 20 den Wunsch nach Erfüllung im Arbeitsleben moderater als ihre Vorgängergeneration.

Selbstschutz, keine Faulheit 

Und sie halten die Familie hoch, Karriere hin oder her. Das zeigt auch eine Analyse der Universität Bern, die seit 2012 Bildungsentscheidungen von Sekundarschülern untersucht. Auf die Frage, was ihnen an ihrem späteren Beruf wichtig sei, antworteten 70 Prozent der 14- und 15-Jährigen, die Arbeit müsse ihnen genug Zeit für die Familie lassen. Die Shell-Studie spiegelt diesen Trend: Neun von zehn Jugendlichen geben an, dass Familie und Kinder durch den Beruf nicht zu kurz kommen dürften. Zwei Drittel wollen darum klar geregelte Arbeitszeiten, und weniger als die Hälfte erachtet Überstunden als notwendig, wenn man etwas erreichen will. 

Den kommenden Arbeitnehmern ist wichtig, dass ihnen die Arbeit genug Zeit für die Familie lässt.

Das habe mit Faulheit nichts zu tun, sagt Hurrelmann, sondern sei ein Selbstschutz im digitalen Zeitalter: «Arbeit ist heute überall und zu jeder Zeit möglich. Wer sich nicht abgrenzt, kommt nicht zur Ruhe.» Die Digitalisierung beeinflusst laut Hurrelmann auch die Stärken und Schwächen der Arbeitnehmer von morgen. «Sie können Informationen blitzschnell beschaffen, aufnehmen und verwerten», sagt der Forscher. Wer dank Smartphone und Co. ständig neuen Impulsen ausgesetzt sei, könne sich aber auch schlechter konzentrieren. Zudem hapere es am Durchhaltewillen: «Aus der digitalen Welt sind sich Jugendliche sofortiges Feedback gewohnt. Problemstellungen, bei denen keine baldige Lösung in Sicht ist, machen vielen Mühe.» Generation Z verspüre zudem keine Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber, sagt Betriebswirtschaftler Scholz: «Lockt ein besseres Versprechen, sind sie weg.» Wer sie deswegen auf eine Generation von Taktikern reduziere, werde ihnen nicht gerecht. «Was wirklich auffällt, ist ihr Streben nach Harmonie», sagt Scholz. «Wir können von den jungen Menschen einiges lernen, indem auch wir andere Prioritäten setzen und Work-Life-Balance nicht als leere Worthülse begreifen.»

Bild: fotolia.com


Dieser Text erschien im Rahmen unseres grossen Dossiers «Jugend 2016 – Generation brav».

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