Pipi im Tipi
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
Beim Zelten mit den Kindern erfährt man, was es heisst, Kinder zu haben: Es ist hart, aber man überlebt es.
Es war, das möchte ich vorwegschicken, die Idee meiner Frau: Wir gehen zelten mit den Kindern. Ich weiss, dass viele Familien das gerne machen, auch oft. In mir aber löste der Gedanke daran Angstschweiss aus. Das letzte Mal, dass ich ein Zelt aufgebaut habe, war 1997 beim Roskilde-Festival. Es hatte vier Stunden gedauert und am Ende sah es aus, als hätten wir eine Plane über eine Schubkarre geworfen. Die Leinen hatten schon am gleichen Abend nachgegeben, in der Nacht kam der Regen.
Auf einer Website stellte ich fest, dass man an einem schönen Standort auch Tipi-Zelte mieten kann, die bereits errichtet sind. «Wolltet ihr nicht schon immer mal in einem echten Tipi-Zelt schlafen?», versuchte ich die Idee meiner Familie zu verkaufen.
Es ist erstaunlich, wie gemeinsame Not verbindet. Sein Stress beruhigte mich.
Mitten im Wald auf einer kleinen Lichtung waren fünf Tipis rund um ein Lagerfeuer aufgebaut worden. In der Nähe sah ich eine Reihe anderer Väter Zelte errichten, die wie Zelte aussahen. Ich murmelte ein kurzes Dankgebet und legte unsere Schlafsäcke ins Tipi. Ich ging zu einem der anderen Väter, der mit einem Wurfzelt hantierte. Einem stand der Schweiss auf der Stirn. «Was machst du?», fragte ich wie ein Idiot. «Nach was sieht das aus? Ich versuche dieses verfluchte Zelt aufzubauen.»
«Was ist das Problem?», fragte ich, als hätte ich für einen Moment vergessen, dass ich, egal was das Problem ist, nicht in der Lage wäre, ihm zu helfen. «Ich weiss es nicht genau», antwortete der Mann resigniert.
Ich fühlte mich ihm sofort nah. Es ist erstaunlich, wie gemeinsame Not verbindet. Sein Stress beruhigte mich. Vielleicht würden meine Kinder und ich dieses Wochenende nicht überleben. Aber wir würden nicht die Einzigen sein, die draufgehen.
Der Tag war gut: im Wald spielen, im See schwimmen, erschöpft rund ums Lagerfeuer sitzen. Die Nacht war nicht so gut:
00:30 Meine Tochter rüttelt an meinem Kopf, weil ihr kalt sei. Ich lege ihr meine Jacke über den Schlafsack.
01:12 «Papa!» – Meine Tochter sitzt kerzengerade auf ihrer Isomatte. «Ich muss Pipi.»
02:07 «Es regnet.» Diesmal ist es meine Frau, die wach geworden ist. «Ja, ist doch schön», murmle ich. «Es regnet rein», sagt sie mit Nachdruck.
02:10 Ich stehe in Boxershorts und T-Shirt im Regen und versuche die Rauchklappen so zu richten, dass das Tipi oben komplett verschlossen ist.
02:15 Ich überlege, ins Auto zu gehen und nach Hause zu fahren.
02:20 Meine Frau hilft mir, die Rauchklappen zu schliessen.
03:30 «Papa», sagt meine Tochter direkt in mein Ohr, «ich habe einen Hund gehört.»
04:30 Diesmal bin ich es, der ohne Grund wach geworden ist.
05:00 Die Vögel beginnen draussen in einer unvorstellbaren Lautstärke zu zwitschern.
Kurz darauf sitzen wir wieder ums Lagerfeuer, einer kocht Kaffee, die Stimmung ist überraschend gut. Die Nacht war ein Spiegel dessen gewesen, was es heisst, Kinder zu haben: hart, aber man überlebt es. Der Vater aus dem kaputten Wurfzelt setzte sich neben mich: «Ich habe gehört, es gäbe noch ein anderes Tipi-Dorf, oben im Jura.»
«Ach ja?», hörte ich mich sagen.