Unser Sohn ist 11. Meine Frau und ich sind beruflich stark eingespannt. Wir können während der Woche kaum Zeit mit unserem Kind verbringen. Am Wochenende sind wir müde und oft fehlt uns die Lust, als Familie etwas zu unternehmen. Müssen wir deswegen ein schlechtes Gewissen haben?
Marlies, 38, und Theo, 44, Frauenfeld TG
Nicole Althaus Wussten Sie, dass wer «schlechtes Gewissen und Eltern» googelt, fast 10 Millionen Einträge erhält? Es ist weit verbreitet und es quält fast jede Mutter und jeden Vater. Das Problem: Das schlechte Gewissen hilft niemandem weiter. Schaffen Sie es ab und nutzen Sie die Zeit, die Sie mit dem Grübeln über das schlechte Gewissen verbringen, mit Ihrem Kind. Eine halbe Stunde oder Stunde pro Tag kommt so schnell zusammen. Und sie tut der ganzen Familie gut.
Stefanie Rietzler Das sollten Sie Ihren Sohn fragen: «Wir wissen, dass wir viel arbeiten. Wie ist das für dich? Was würdest du dir wünschen?» Als Familie müssen Sie nicht dauernd etwas zusammen unternehmen. Die Frage ist eher: Sind wir in Kontakt? Bekommen wir Eltern mit, was das Kind beschäftigt? Gibt es Momente, in denen wir uns zuhören oder gemeinsam lachen? Ihr Sohn wird bald in einem Alter sein, in dem er in erster Linie mit seinen Freunden unterwegs sein möchte. Dann werden Sie wahrscheinlich kein schlechtes Gewissen mehr haben. Vielleicht werden Sie aber wehmütig zurückdenken und sich fragen, warum Sie die Zeit mit Ihrem Kind nicht intensiver genutzt haben.
Peter Schneider Nein, das müssen Sie nicht; ein schlechtes Gewissen ist völlig freiwillig. Ich bin weiss Gott sehr für Tagesschulen und eine gute ausserfamiliäre Kinderbetreuung. Ich denke durchaus nicht, dass Eltern höchstens je ein 60-Prozent-Arbeitspensum haben dürfen, damit sie die restlichen 40 Prozent mit ihrem Nachwuchs durch den Wald streifen können (allerdings habe ich auch nichts gegen die Eltern, die das gerne tun) – aber: Wenn Ihr Sohn Sie derart sowohl bei der beruflichen Einspannung als auch der ausserberuflichen Entspannung stört, dann hätten Sie sich vor zwölf Jahren wohl besser für einen Kaktus entschieden, den man nur einmal im Monat giessen muss.
Unser Experten-Team:
Nicole Althaus, 51, ist Chefredaktorin Magazine und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am Sonntag», Kolumnistin und Autorin. Sie hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.ch» initiiert und geleitet und war Chefredaktorin von «wir eltern». Nicole Althaus ist Mutter von zwei Kindern im Alter von 20 und 16 Jahren.
Stefanie Rietzler ist Psychologin, Autorin («Geborgen, mutig, frei», «Clever lernen») und leitet die Akademie für Lerncoaching in Zürich. www.mit-kindern-lernen.ch
Peter Schneider, 62, ist Kolumnist, Satiriker, Psychoanalytiker, Privatdozent für klinische Psychologie an der Uni Zürich und Gastprofessor für Geschichte und Wissenschaftstheorie der Psychoanalyse in Berlin.
Haben auch Sie eine Frage?
In dieser Rubrik beantworten Expertinnen und Experten IHRE Fragen zu Erziehung und Alltag mit Kindern. Schreiben Sie eine E-Mail an: redaktion(at)fritzundfraenzi.ch
Ich bin generell mit Peter Schneiders Kommentar einverstanden. Aber was bitte soll der letzte Satz? Es soll durchaus Eltern geben, denen vor 12 Jahren eben noch nicht bewusst war, dass ein Kaktus für sie die bessere Option gewesen wäre. Das hat nichts damit zu tun, dass sie ihr Kind nicht lieben. Aber vielleicht fühlen sie sich einfach mit der unglaublich schwierigen und anstrengenden Aufgabe als Eltern jetzt überfordert. Bevor man Kinder bekommt hat man nicht den Hauch einer Ahnung was das im Endeffekt später bedeutet. Da kann man sich noch so sehr im Vorfeld informieren. Man ist auch gar nicht empfänglich für kritische und ehrliche Elternstimmen. Die ehrlichen Elternstimmen sind ja generell schwierig zu finden...
Kurz: Ich finde es äusserst anmassend, dass Herr Schneider überforderten Eltern noch ein "Hättet ihr es euch halt früher überlegt" mit auf den Weg gibt. Dieses Statement bringt jetzt wirklich niemand vorwärts sondern demoralisiert noch zusätzlich.
Diese Webseite nutzt Cookies. Cookies werden zur Benutzerführung und Webanalyse verwendet und helfen dabei, diese Webseite zu verbessern. Durch die weitere Nutzung dieser Webseite erklären Sie sich mit unserer Cookie-Police einverstanden. Mehr Infos hier.