Mobbingexpertin Christelle Schläpfer über Mobbingprävention an Schulen und was Lehrpersonen auf keinen Fall tun sollten.
Es reicht nicht aus, Schülerinnen und Schüler nur über das Thema Mobbing zu informieren. Man muss sie sensibilisieren. Dazu nutze ich Filme und Geschichten. Dabei verteile ich Rollenkärtchen mit den Namen der Protagonisten des Films oder der Geschichte und erteile den Schülern den Auftrag, sich auf die jeweilige Figur zu konzentrieren. Sie versuchen dabei, sich in die Figur einzufühlen und zu verstehen, wie es dieser geht und was sie braucht. Die Klasse erarbeitet dann gemeinsam Lösungswege aus der Mobbingsituation in der Geschichte. Falls man diese Übung durchführt, sollte allerdings darauf geachtet werden, dass ein Kind, welches in der Klasse Opfer ist, kein «Opferrollenkärtchen» erhält.
Geschichten erlauben es den Kindern, über eine Situation zu sprechen, die ihrer eigenen ähnelt, ohne sich exponieren zu müssen. Da die Schüler auf diese Art weder beschämt noch beschuldigt werden, kommen sie nicht ins Rechtfertigen oder Verharmlosen. Dies ermöglicht eine kreative und gemeinsame Lösungssuche und vor allem eine neue Sichtweise. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse und Lösungen können dann sorgfältig auf die eigene Situation in der Klasse transferiert werden. Man nutzt die Ressourcen der Klasse und die entstandenen Lösungsideen aus der Arbeit mit der Metapher.
Erst das Mittun oder Nichtstun der andern gibt dem «Täter» eine Rechtfertigung weiterzumachen.
Bei jüngeren Kindern empfehle ich gerne Bilderbücher und Geschichten. Eines meiner Lieblingsbücher ist «Irgendwie Anders» von Kathrin Cave. Es geht in dieser Geschichte um aktive Ausgrenzung. Die Kinder fühlen mit der Figur richtiggehend mit. Das Buch ist sehr liebevoll gestaltet, und man kann damit wunderbar Gefühle, Bedürfnisse, respektvollen Umgang miteinander und Toleranz für Andersartigkeit thematisieren. Bei Kindern ab der Mittelstufe arbeite ich gerne mit einem Filmbeispiel von Childnet: «Let’s fight together». Zwar handelt es sich offiziell um einen Präventionsfilm gegen Cybermobbing, jedoch werden die klassischen Mobbingmechanismen dort so schön gezeigt, dass ich dieses Beispiel als besonders geeignet sehe. Es handelt sich um einen englischen Film mit Untertiteln – es wird jedoch kaum gesprochen, und die Gefühle brauchen hier definitiv keine Übersetzung.
Die Schüler lernen durch diese Form der Arbeit, dass sie eine gemeinsame Verantwortung tragen. Es geht keinesfalls um eine Schuldfrage, sondern um eine Frage der Verantwortung. Wer meint, einzig und allein der «Täter» trage die Verantwortung für die Situation oder das «Opfer» sei selber schuld, irrt. Mobbing ist, ganz anders als ein gewöhnlicher Konflikt, ein Gruppenphänomen. Erst das Mittun oder Nichtstun der andern gibt dem «Täter» eine Rechtfertigung weiterzumachen. Mitläufer und Zuschauer sind «Möglichmacher» und müssen in die Lösungsfindung involviert werden.