«Manchmal zwinge ich meine Tochter, rauszugehen»
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«Manchmal zwinge ich meine Tochter, rauszugehen»

Lesedauer: 4 Minuten

Eine Mutter macht sich Sorgen, weil ihre Tochter keine Freundinnen hat. Die Situation löse Wut in ihr aus, erzählt sie der Beraterin des Elternnotrufs. Die verzweifelte Mutter bittet den Elternnotruf um Rat.

Aufgezeichnet von Deborah Forster
Bild: Adobe Stock

Mutter: Es geht um meine achtjährige Tochter. Sie hat keine Freundinnen und ist sehr schüchtern. Manchmal halte ich dies so schlecht aus, dass ich richtig wütend werde.

Beraterin: Ich kann mir gut vorstellen, dass das herausfordernd ist. Man wünscht sich als Elternteil, dass das eigene Kind glücklich ist und sich eingebunden fühlt. Ist das denn schon seit Längerem so?

Mutter: Es war eigentlich schon immer ein Thema. Sie verbringt ihre freie Zeit oft alleine. Mittlerweile stresst mich das so sehr, dass ich schon schlaflose Nächte habe.

Ich wurde als Kind zur Aussenseiterin. Jetzt habe ich Angst, dass meiner Tochter dasselbe passiert.

Mutter

Beraterin: Ich habe den Eindruck, dass wir uns auf zwei Dinge konzentrieren sollten: Wie Ihre Tochter unterstützt werden kann und wie Sie selbst besser mit der Situation umgehen können. Wie klingt das für Sie? Mit welchem Thema wollen wir beginnen?

Mutter: Ja, das klingt gut. Ich möchte gerne bei mir anfangen. Ich fühle mich überfordert und weiss nicht, wie ich meine Tochter unterstützen kann. Häufig werde ich ungehalten. Manchmal zwinge ich sie fast, rauszugehen und mit den anderen zu spielen. Und danach schäme ich mich für meine wütende Reaktion.

Beraterin: Es ist beeindruckend, wie gut Sie spüren, was in Ihnen vorgeht. Sie realisieren selbst, dass Ihre Wut für Ihre Tochter nicht hilfreich ist. Haben Sie denn eine Idee, woher dieses Gefühl kommt?

Mutter: Ich hatte als Kind grosse Schwierigkeiten, Freunde zu finden, und wurde irgendwann zur Aussenseiterin. Jetzt habe ich Angst, dass meiner Tochter dasselbe passiert.

Beraterin: Das ist verständlich. Schön, dass Sie so gut erkennen, wie Ihre eigenen Kindheitserfahrungen mit den Ängsten rund um Ihre Tochter verknüpft sind. Es ist hilfreich, sich dieser Verbindung bewusst zu werden und die Gefühle Ihrer Tochter von den eigenen zu trennen. Sie wünschen sich so sehr, dass Ihre Tochter sich sozial eingebunden fühlt. Der Eindruck, dass sie unter der Situation leidet, löst ein Gefühl der Ohnmacht aus, das sich oft in Wut ausdrückt. Aber so schwierig es manchmal ist, wir können unser Kind nur begleiten, die Situation aushalten und darauf vertrauen, dass es seinen eigenen Weg findet. Vielleicht hilft Ihnen dieser Gedanke, die Wut anders einzuordnen. Haben Sie sich schon einmal überlegt, was Sie sich als Kind von Ihren Eltern gewünscht hätten?

Mutter: Ich hätte mir gewünscht, dass sie mir zuhören, mich verstehen und mir sagen, dass ich gut bin, so wie ich bin. Jetzt merke ich, dass ich genau das meiner Tochter geben will, aber oft nicht weiss, wie.

Beraterin: Ein wertvoller Gedanke! Sie machen schon ganz viel richtig. Sie haben eine wertschätzende Beziehung zu Ihrer Tochter, sie bieten ihr ein liebevolles, verlässliches und verfügbares Umfeld. Es stärkt Ihre Tochter, zu spüren, dass all ihre Gefühle da sein dürfen und sie gesehen wird in ihren Befindlichkeiten. Das gibt ihr emotionale Sicherheit, die sie für selbstbewusste soziale Beziehungen braucht.

Mutter: Aber wie schaffe ich es, in solchen Momenten nicht wütend zu werden?

Seien Sie nicht zu streng mit sich, wenn Sie doch wütend werden.

Beraterin

Beraterin: In solchen Situationen hilft es, einen Moment innezuhalten, tief durchzuatmen und sich etwas Abstand zu verschaffen. So können Sie sich überlegen, wie Sie reagieren möchten, anstatt impulsiv zu handeln. Und seien Sie nicht zu streng mit sich, wenn Sie doch wütend werden. Sie können Ihrer Tochter erklären, dass Ihre Wut nichts mit ihr zu tun hat, sondern mit Ihren eigenen Gefühlen. Ihre Tochter darf erfahren, dass auch Sie als Mutter noch dazulernen.

Mutter: Es hilft mir, dass Sie das sagen. Manchmal bin ich einfach auch gestresst oder müde und dann fällt mir das schwerer.

Beraterin: Eltern zu sein ist eine riesige und verantwortungsvolle Aufgabe. Daher ist es auch wichtig, auf die eigenen Ressourcen zu achten. Wie schaffen Sie es, sich selbst zwischendurch etwas Gutes zu tun?

Mutter: Ich versuche, mir kleine Pausen im Alltag zu nehmen. Das Joggen beispielsweise hilft mir, abzuschalten und die Dinge mit etwas Abstand zu sehen.

Beraterin: Das klingt gut. Selbstfürsorge ist unglaublich wichtig, um im Gleichgewicht zu bleiben. Wollen wir nun den Fokus auf Ihre Tochter legen? Wie belastet sie die Situation, was denken Sie?

Mutter: Sie wünscht sich schon Freundinnen, das sagt sie. Und ich sehe es ihr auch an, wenn sie aus dem Fenster schaut und sich doch nicht zu den Nachbarskindern nach draussen traut. Das bricht mir das Herz.

Beraterin: Ihre Tochter ist in einem Alter, in dem Freundschaften erst langsam fester werden. Zeit kann da helfen. Um Ihrer Tochter Verständnis zu zeigen, können Sie sie fragen, ob sie sich etwas davor fürchtet, auf andere Kinder zuzugehen, und ihr erklären, dass viele Menschen Angst davor haben, zurückgewiesen zu werden. Sie können ganz konkret mit ihr durchspielen, wie sie mit anderen Kindern in Kontakt treten kann. Gemeinsam könnten Sie überlegen, wie sie Kontakte knüpfen kann. Geht sie vielleicht einem Hobby nach, bei dem sie andere Kinder trifft?

Mutter: Ja, sie geht zweimal die Woche ins Leichtathletiktraining. Dort kommt sie gut mit den anderen Kindern zurecht.

Fragen Sie Ihre Tochter, ob sie ein Kind aus der Klasse zu einem Ausflug mitnehmen möchte.

Beraterin

Beraterin: Das ist schön und stärkt sie für weitere soziale Beziehungen. Vielleicht könnten Sie ihr den Vorschlag machen, sich mit einem der Mädchen auch ausserhalb des Trainings zu verabreden? Oder vielleicht lassen sich Nachbarskinder besser kennenlernen, wenn Sie einen Grillabend mit einer anderen Familie organisieren. Oder fragen Sie Ihre Tochter, ob sie ein Kind aus der Klasse zu einem Ausflug mitnehmen möchte. Sie können sich auch überlegen, die Lehrerin mit ins Boot zu holen.

Mutter: Das sind gute Ideen. Mir fällt gerade ein, wir haben neue Nachbarn mit Kindern im ähnlichen Alter, das können wir ausprobieren.

Beraterin: Das wäre auf jeden Fall einen Versuch wert.

Mutter: Danke für das Gespräch. Es hat mir geholfen, zu erkennen, dass ich vieles bereits richtig mache. Die Frage, was ich mir als Kind gewünscht hätte, war dabei besonders hilfreich.

Dieses Protokoll ist die stark verkürzte und auf das Wesentliche reduzierte Aufzeichnung eines längeren Beratungsgesprächs. Wir möchten damit einerseits Einblick geben in unsere Arbeit und andererseits den Leserinnen und Lesern Denkanstösse für ähnliche Fragestellungen vermitteln.

Yvonne Müller, Co-Leiterin Elternnotruf

Elternnotruf

Bei Themen rund um den Familien- und Erziehungsalltag ist der Verein Elternnotruf seit 40 Jahren für Eltern, Angehörige und Fachpersonen eine wichtige Anlaufstelle – sieben Tage die Woche, rund um die Uhr. Die Beratungen finden telefonisch, per Mail oder vor Ort statt. www.elternnotruf.ch 

An dieser Stelle berichten die Beraterinnen und Berater aus ihrem Arbeitsalltag.

Deborah Forster

Deborah Forster
ist Berufs- und Laufbahnberaterin sowie ausgebildete Primarlehrerin. Die zweifache Mutter arbeitet seit 2023 beim Elternnotruf als Beraterin.

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