«Eltern, bleibt gelassen!» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Eltern, bleibt gelassen!»

Lesedauer: 3 Minuten

Wenn Kinder ihre Sexualität entdecken, stehen Eltern vor der Frage: Wie konkret dürfen wir bei der Aufklärung werden? Sexualpädagoge Bruno Wermuth über letzte Geheimnisse und Antworten auf schwierige Fragen. 

Herr Wermuth, wie werden Jugendliche heute aufgeklärt? 

Früher setzten sich Eltern mit ihrem Teenager an einen Tisch und lüfteten die letzten Geheimnisse der Sexualität. Heute besitzen bereits 10-Jährige ein Smartphone. Sie kommen schon vor der Pubertät mit vielen Aspekten der Sexualität in Berührung. Wir müssen davon ausgehen, dass sie im Netz Dinge sehen, die nicht für sie bestimmt sind. 

Es gibt also keine «letzten Geheimnisse»mehr?

Mit 14 haben Jugendliche bereits ein Wissen, zu welchem Eltern oft nichts mehr beitragen können. Ich plädiere deshalb für eine kontinuierliche Aufklärung, die Teil der Erziehung ist und schrittweise im Entwicklungsverlauf eines Kindes entsteht. 

«Wir müssen davon ausgehen, dass Kinder im Netz Dinge sehen, die nicht für sie bestimmt sind». 

Sexualpädagoge Bruno Wermuth

Warum tun sich viele Eltern schwer damit? 

Weil sie glauben, Kleinkinder interessierten sich nicht für Sexualität. Oder sie befürchten, damit schlafende Hunde zu wecken. Doch darum geht es nicht. Bereits Kleinkinder sollten einen entspannten Umgang mit ihrem Körper haben und diesen als etwas Schützens- und Liebenswertes erachten. Genau daraus entsteht die Möglichkeit, sich abzugrenzen. Was man schätzt, schützt man auch.

Wie meinen Sie das konkret?

Man muss Jungs beispielsweise begreifbar machen, dass ihr Genital nicht nur zum Pinkeln da ist, sondern eben auch für angenehme Empfindungen sorgt. Schon Säuglinge haben Hauthunger. Dieser darf und muss befriedigt werden – beispielsweise durch körperliche Zuwendung der Eltern. Und später durch Doktorspiele. Man muss als Eltern das Thema Sexualität auf den verschiedensten Entwicklungs- und Altersstufen immer wieder neu interpretieren.

«Bereits Kleinkinder sollten einen entspannten Umgang mit ihrem Körper haben».

Bruno Wermuth

Wie soll man die Geschlechtsteile den Kindern gegenüber benennen? 

Penis ist für uns ein Fremdwort. Wir reden im Alltag ja auch nicht Latein, warum sollten wir es beim Benennen von Geschlechtsorganen tun? Es ist legitim, jene Begriffe zu verwenden, die man selber als Kind gebraucht hat. Man sollte aber auch offen sein, wenn ein Kind mit anderen Begriffen nach Hause kommt. Es ist sein Recht, diese zu verwenden, auch wenn sie für die Eltern gewöhnungsbedürftig sind. Spricht das Kind von «Ficken», sollte man gelassen reagieren und nachfragen, was es damit meint. Sexualentwicklung ist auch Sprachentwicklung. Nicht alles ist Provokation oder Verrohung. 
Bruno Wermuth ist Sexualtherapeut und Sexualpädagoge mit eigener Praxis für systemische Einzel-, Paar- und Sexualberatung in Bern. Daneben führt er Bildungsveranstaltungen zu Sexualität und Sexualerziehung durch. www.brunowermuth.ch
Bruno Wermuth ist Sexualtherapeut und Sexualpädagoge mit eigener Praxis für systemische Einzel-, Paar- und Sexualberatung in Bern. Daneben führt er Bildungsveranstaltungen zu Sexualität und Sexualerziehung durch. www.brunowermuth.ch

Wie sollen Eltern reagieren, wenn sie von ihrem Kind beim Sex überrascht werden? 

Kinder dürfen und sollen sehen können, dass sich die Eltern gern haben. Eltern sollen ihre Sexualität weiter pflegen, wenn sie Kinder haben. Platzt das Kind mitten im Liebesspiel ins Schlafzimmer, sollte man sofort aufhören und ruhig bleiben. Hat das Kind Fragen, muss man darauf eingehen. Wenn es beispielsweise wissen will, was Papa und Mama da gerade gemacht haben, kann man ihm erklären, dass sich beide sehr lieb gehabt haben und miteinander spielten. Kinder wollen meistens keine Details wissen, sondern über das reden, was sie erlebt haben und das ihnen vielleicht Angst macht – zum Beispiel das laute Stöhnen von Mama, während Papa sie «festgehalten» hat.

Viele Eltern sind beim Thema Sexualität gehemmt. 

Wenn Eltern selber die Körperteile benennen, senden sie die Botschaft, dass man über solche Dinge reden kann. Viele Eltern vergessen leider, dass Schweigen auch eine Botschaft ist. Wer nicht gelernt hat, über sexuelle Dinge zu reden, leidet im Erwachsenenalter.

«Es ist fatal, wenn Eltern den Kindern ihre eigene sexuelle Anschauung überzustülpen versuchen».

Bruno Wermuth, Paar- und Sexualberater

Wann sollen Eltern ihre Kinder aufklären? 

Von Geburt an. Zentral ist, dass sie keine Abwehrhaltung haben gegenüber Themen, die Sexualität betreffen. Und dass sie Fragen der Kinder ernst nehmen. Die ehrliche Beantwortung dieser Fragen führt nicht dazu, dass die Kinder Sexmonster werden. Man muss Raum schaffen, um zu reden, und die Fragen über Sexualität als Beziehungsangebot sehen. Tragisch ist, wenn Eltern durch ihre abwehrende Haltung die Beziehung zum Kind verlieren. Man kann schon sagen: Über dieses Thema wollen wir nicht mehr reden oder jenes Verhalten wollen wir nicht mehr sehen. Aber man sollte sich nicht wundern, wenn das Kind sich dann anderswo informiert – bei Personen oder Quellen, die den Eltern möglicherweise missfallen. 

Welchen Fehler machen Eltern häufig? 

Es ist fatal, wenn Eltern den Kindern ihre eigene sexuelle Anschauung überzustülpen versuchen. Kinder können ja gar keine Perspektive einnehmen, die sich stark von der Perspektive der Eltern unterscheidet. Wenn Kinder mit ihrem Geschlechtsorgan spielen, bringen sie das nicht mit sexueller Befriedigung oder einem Orgasmus in Verbindung. Die Eltern aber schon. Eltern sollten sich bewusst sein, dass das, was sexuell ist, im Auge der betrachtenden Person liegt.

Welche Rollen spielen Väter in der Aufklärung? 

Eine sehr grosse. Leider wird diese unterschätzt. Auch Männer sind explizit dazu eingeladen, ihre Kinder in die Arme zu nehmen. Sie sollen sich nicht einschüchtern lassen vom Verdacht der Pädophilie, der leider bei Männern, die liebevoll mit ihren Kindern umgehen, oft im Raum steht. Es ist schlimm, wenn ein Mann Angst hat, dass seine Partnerin einen liebevollen Austausch mit dem eigenen Kind gegen ihn verwenden könnte.

Bild: fotolia.com


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Dieser Artikel gehört zu unserem grossen Dezember-Dossier zum Thema Sexualiät. Darin wird sowohl die Sexualität der Jugendlichen auch die der Eltern beleuchtet. Eine Ausgabe unseres Magazins können Sie hier bestellen.