Vor einigen Jahren beklagte sich einmal eine etwas ältere Freundin bei mir über ihre eigene Tochter. Sie habe, so erzählte sie, ihr Leben lang hart daran gearbeitet, ihre Tochter zu einem glücklichen, selbstbewussten Wesen zu machen. Aber jetzt sei sie selbst geschieden und die Wechseljahre ständen vor der Tür, während ihre Tochter mit ihrem Sexappeal alles habe: Jugend, Zukunft und die Blicke jedes Mannes. «Aha, der Archetypus», dachte ich. Die kleine böse Stiefmutter, die Schneewittchen an den Kragen will. Bang fragte ich mich, ob auch in mir eine solche irgendwo schlummere.
Die Wahrheit ist: Jeder will Schönheit, und wer sie besitzt, der hat Macht. Und gleichzeitig macht Schönheit ohnmächtig, weil sie so flüchtig ist. Auf mich persönlich machte das Konzept immer schon den Eindruck einer reichlich volatilen Grösse. Als 16-Jährige schwankte ich zwischen dem Grössenwahn einer die Macht ihrer Sexualität entdeckenden jungen Frau und der Verzweiflung, nicht schön genug zu sein, niemals genügen zu können. Von dieser Krankheit heilte mich ein Freund, dem ich eines Tages von Helene vorschwärmte, die als schönste Frau im Dorf galt. Er muss meinen heimlichen Neid erkannt haben, denn er sagte: «Ja, sie ist schön, aber sie ist auch dumm. Und eines Tages wird sie nur noch dumm sein.» Ich lernte: Auf Schönheit kann man nicht bauen. Aber damit arbeiten, das kann man.
Was Schönheit angeht, mag die Zeit keine besonders gute Freundin sein. Was die Erfahrung angeht, hingegen schon, und das wiegt doch einiges auf. Als ich meine Tochter auf der Bühne stehen sah und meinen Mann von ihrer Schönheit flüstern hörte, gab ich deshalb zur Antwort. «Ja, wunderschön. Und klug genug, sich nicht zu sehr darauf zu verlassen.» Und dann badete ich in der neidlosen Freude ihres Anblicks.