15. Dezember 2016
Der Neid der Eltern auf die Kinderlosen
Text: Michèle Binswanger
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Lesedauer: 2 Minuten
Dem heutigen Blogpost muss ich eine Warnung vorausschicken. Das Thema könnte ihre emotionale Stabilität gefährden. Oder sie nerven. Aber es muss mal gesagt sein. Manchmal ödet Familie an und man fragt sich, ob die Entscheidung dafür richtig war. Mir ging es oft so, als die Kinder noch kleiner waren, meistens an den Samstagnachmittagen. Da steht man zum Beispiel im Zoo vor dem Schimpansenkäfig und betrachtet die Tiere dabei, wie sie sich gegenseitig mit Bananen bewerfen, dazu der Soundtrack meiner Kinder, die zu wissen verlangen, warum die Affen so komische Hintern haben. Statt einen Exkurs über die Evolutionstheorie zu halten, dachte ich an ganz andere Hintern. Jene, die jetzt gerade bei der einzigen Basler Fashionshow der Modeklasse über einen Laufsteg schritten, behängt mit den Kreationen dieser jungen, hoffnungsvollen neuen Generation junger Modetalente. Lieber als über Schimpansen und das anstehende Zvieri hätte ich mich darüber unterhalten, welche Kollektion jetzt State of the art ist und welche nicht.
«Manchmal ödet Familie an und man fragt sich, ob die Entscheidung dafür richtig war.»
Dieses Gefühl hatte ich oft, als die Kinder noch klein waren. Aber das ist manchmal schwierig zuzugeben, vor allem vor sich selbst. Dazu brauchte es manchmal einen Input von aussen. Zum Beispiel wenn eine Freundin, Single-Mutter, frisch verliebt in einen kinderlosen Mann, mir vom Dinner mit ihm erzählte: «Wir redeten über unsere Träume, Wünsche und Pläne. Und ich musste mich zusammennehmen. Manchmal macht mich das so neidisch.»
«Inwiefern?», fragte ich. «Er hat sein Leben, seinen Job, kann auf Reisen gehen, tun, was er will. Diese Freiheit.» Ich fühlte mich wie das Ehepaar Roth aus Woody Allens «Husbands and Wives». Als ihre besten Freunde ihnen mitteilen, dass sie sich trennen wollen, wollen die Roths davon nichts hören und sind schliesslich so aus dem Häuschen, dass am Ende ihre Ehe dabei draufgeht. So geht es mir, wenn andere die Frage stellen, ob es nicht doch bessere Lebensformen als die familiäre gibt. Also bellte ich wie ein pawlowscher Hund mein «Ja, aber!» ins Telefon und leierte etwas über die Tiefe der Erfahrung des Kinderhabens herunter und dass Freiheit eben auch nicht alles ist. Dann fragte mich meine Freundin, ob ich mit ihr zur Diplom-Modeschau kommen wollte. Ich wollte, konnte aber nicht, weil ich meine Nichte zu Besuch hatte.
«Inwiefern?», fragte ich. «Er hat sein Leben, seinen Job, kann auf Reisen gehen, tun, was er will. Diese Freiheit.» Ich fühlte mich wie das Ehepaar Roth aus Woody Allens «Husbands and Wives». Als ihre besten Freunde ihnen mitteilen, dass sie sich trennen wollen, wollen die Roths davon nichts hören und sind schliesslich so aus dem Häuschen, dass am Ende ihre Ehe dabei draufgeht. So geht es mir, wenn andere die Frage stellen, ob es nicht doch bessere Lebensformen als die familiäre gibt. Also bellte ich wie ein pawlowscher Hund mein «Ja, aber!» ins Telefon und leierte etwas über die Tiefe der Erfahrung des Kinderhabens herunter und dass Freiheit eben auch nicht alles ist. Dann fragte mich meine Freundin, ob ich mit ihr zur Diplom-Modeschau kommen wollte. Ich wollte, konnte aber nicht, weil ich meine Nichte zu Besuch hatte.
«Er hat sein Leben, seinen Job, kann auf Reisen gehen, tun, was er will. Diese Freiheit.»
Neid ist kein besonders edles Gefühl und deshalb steht man auch nicht gern dazu. Besonders nicht vor sich selber. Aber es gibt ihn. Er nährt sich an der Vorstellung all der freien Menschen da draussen, die ihre Nachmittage nicht im Zoo verbringen, lange Reisen planen, sich spontan für irgendwelchen Unsinn entscheiden, und man argwöhnt, dass man in eine stupide biologische Falle getappt ist, welche die smarteren Freunde elegant umschifft haben. Als ich die wirklich hässlichen Schimpansenhintern studierte, mich dann umdrehte und der versammelten Elternschaft in ihrem gelangweilten Trott zusah, dachte ich, dass ihnen wie wahrscheinlich auch allen andern der Eltern hier die Tiefe dieser Erfahrung manchmal, nun ja, am Arsch vorbeigeht. Abends sah ich mir den Film «Up in the Air» an. George Clooney spielt darin einen Downsizing-Experten, Prototyp des überzeugten Bindungslosen, der durchs Land jettet, aus dem Koffer lebt und Vorträge darüber hält, wie viel besser ein Leben ohne materiellen und emotionalen Ballast ist. Die Frauen um ihn missbilligen seinen Lifestyle mehrheitlich. Ausser der Geschäftsfrau Alex, die genauso selbstbewusst und smart wie er das bindungsfreie Leben zelebriert und mit der er eine unverbindliche Affäre beginnt.
«Trotz allem gibt es nichts erfüllenderes, als Kinder zu haben.»
Der Film hat ein paar schöne Momente. In einer Szene muss Clooney seinen zukünftigen Schwager, der in der Nacht vor der Hochzeit kalte Füsse gekriegt hat, dazu bringen, doch noch vor den Traualtar zu treten. «Ich sah schon alles vor mir, wie ich heirate, ein Haus kaufe, ein Kind kriege, dann ein zweites, Weihnachten, Thanksgiving, Schulabschluss, Enkelkinder. Ich sagte mir: das kann es doch nicht gewesen sein!», meint der Schwager. Und Clooney sagt: «Sie haben recht. Aber denken Sie mal an die wichtigsten Momente in ihrem Leben. In wie vielen davon waren sie alleine?» Das stimmt versöhnlich. Natürlich ist Neid auf die Kinderlosen ziemlich kindisch. Denn trotz allem gibt es nichts erfüllenderes, als Kinder zu haben. Selbst wenn man dazu ab und an einen hässlichen Schimpansenhintern betrachten muss.
Zur Autorin
Michèle Binswanger ist Philosophin, Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel. Sie schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi.