«Die Unternehmen merken, dass sie der neuen Generation mehr bieten müssen» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Die Unternehmen merken, dass sie der neuen Generation mehr bieten müssen»

Lesedauer: 3 Minuten

Der Arbeitsforscher Oliver Strohm sagt, dass mit den Anforderungen an die Arbeitenden auch ihre Freiheiten in der Jobgestaltung grösser werden. Ein Gespräch über Gewinner und Verlierer der Automatisierung und Leistungskultur in Unternehmen.

Herr Strohm, die Zukunft der Arbeitswelt wird meist aus ­technologischer Sicht diskutiert. Welche Veränderungen sehen Sie?

Im Zusammenhang mit der Digitalisierung und weiterführenden Automatisierung stehen Themen im Fokus, die bereits seit Jahrzehnten diskutiert werden: Man will mehr delegieren, die Flexibilität erhöhen, den Mitarbeitenden mehr Autonomie ermöglichen, mehr Selbststeuerung und mehr Eigenverantwortung zulassen.

Werden diese Themen nur ­diskutiert oder auch realisiert?

Es gibt Unternehmen, sogenannte «hidden champions», die als Weltmarktführer innovative Arbeitsformen umsetzen und dabei auf Dezentralisierung, auf selbstregulierte Teams sowie auf hohe Eigenverantwortlichkeit setzen. Dies gilt auch für viele KMU in der Schweiz, die unaufgeregt eine fortschrittliche Organisations- und Führungskultur umsetzen.
Dr. Oliver Strohm ist Partner am Institut für Arbeits­forschung und Organisationsberatung (iafob) in Zürich. Er untersucht, wie sich Arbeits- und Führungsmodelle auf die Leistungen der Mitarbeitenden und die Arbeitszufriedenheit auswirken und berät Unternehmen in Strategie-, Organisations- und Personalfragen. Zudem doziert er an verschiedenen Fachhochschulen über Arbeits- und Organisationspsychologie.
Dr. Oliver Strohm ist Partner am Institut für Arbeits­forschung und Organisationsberatung (iafob) in Zürich. Er untersucht, wie sich Arbeits- und Führungsmodelle auf die Leistungen der Mitarbeitenden und die Arbeitszufriedenheit auswirken und berät Unternehmen in Strategie-, Organisations- und Personalfragen. Zudem doziert er an verschiedenen Fachhochschulen über Arbeits- und Organisationspsychologie.

Sie beraten Unternehmen und ­Verwaltungen in Organisations­fragen. Geht es diesen darum, sich für die Zukunft aufzustellen, oder ­darum, akute Probleme zu lösen?

Die Arbeitswelt ist komplexer geworden, der Wettbewerb härter, es ist schwieriger geworden, Mitarbeitende mit dem richtigen Potenzial zu finden, zu entwickeln und zu halten. Mit welcher Zukunftsstrategie man im Wett­bewerb am besten besteht, ist – neben einer besseren Bewältigung des Tagesgeschäfts – immer eine zentrale Frage in den Organisationsentwicklungsprozessen, die wir begleiten.

Hat sich am Verhältnis zwischen Angestellten und Vorgesetzten etwas geändert?

Auf der Basis unserer Forschung bin ich davon überzeugt, dass Vertrauensvorschuss, Autonomie und wahrhaftige Wertschätzung Dünger für jede Arbeitsbeziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden sind. Kleinkarierte Vorgaben, unangemessene Kontrolle und Abwertung hingegen sind Gift. Es gibt immer noch Vorgesetzte, die auf Direktive und Härte setzen. Viele erfolgreiche Unternehmen zeigen jedoch, dass insbesondere flache Hierarchien, flexible Strukturen sowie «Empowerment», die Bevollmächtigung der Mitarbeitenden, zu guten Leistungen und zum Erfolg führen.

Dieser Beitrag stammt aus unserem Berufswahl-Sonderheft, dass der September-Ausgabe 2019 von Fritz+Fränzi kostenlosbeiliegen wird. Diese ist ab dem 27. September bestellbar bzw. am gut sortierten Kiosk in der Schweiz erhältlich.

Die Automatisierung und die Digitalisierung sorgen dafür, dass Menschen weniger repetitive ­Aufgaben erledigen müssen. Wird die Arbeit interessanter?

Es gibt mit jedem technologischen Wandel immer sogenannte Rationalisierungsgewinner, die interessante Jobs und Stellen haben, die beispielsweise als Problemlöser zum Einsatz kommen, Technologie unterstützend nutzen, steuern und/oder überwachen. Es gibt aber auch Rationalisierungsdulder, die Lücken in der Automatisierung füllen und/oder Systeme mit Daten füttern. Das ist nicht sehr interessant. Und es gibt auch immer Rationalisierungsverlierer, deren Jobs verloren gehen. Bislang hat der technologische Wandel jedoch immer zu mehr neuen Jobs geführt.

Wie wird man zu einem Rationalisierungsgewinner?

Fachkompetenz ist und bleibt wichtig. Es hilft definitiv, wenn man auf einem Gebiet ein Crack ist. Wenn man dieses ausgeprägte Fachwissen mit IT-Kenntnissen kombiniert, ist man sicherlich attraktiv für Arbeitgeber. Ebenso wichtig sind und bleiben kognitive Fähigkeiten, also, dass man seine Umwelt und Entwicklungen analysieren, einordnen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen beziehungsweise Probleme lösen kann. Gefragt sind auch soziale Fähigkeiten, der Umgang mit Kunden und Anspruchsgruppen. Selbstmanagement und Resilienz sind ebenfalls zunehmend wichtige Kompetenzen für die Arbeitswelt von morgen. 

«Ich bin überzeugt, dass ­Vertrauensvorschuss und ­Autonomie Dünger für jede Arbeitsbeziehung sind.»

Oliver Strohm

Viele Unternehmen bemühen sich, gute Bedingungen zu ­schaffen, in denen sich die Mitarbeitenden entfalten können. Gleichzeitig herrscht grosser Leistungsdruck. Worauf müssen sich heutige ­Berufseinsteiger einstellen?

Angesichts des Fachkräftemangels in verschiedenen Bereichen ist man als Arbeitnehmer in einer grundsätzlich guten Situation. Die Unternehmen merken, dass sie der neuen Generation besser gerecht werden müssen beziehungsweise zukünftig mehr flexible Arbeitsformen, Teilzeitoptionen, Home­office, eine familienfreundliche Personalpolitik und Ähnliches anbieten müssen. Doch das ist vor dem Hintergrund einer Wettbewerbsintensivierung zunehmend gepaart mit hohen Leistungsanforderungen. Im besten Fall halten sich Belastungen und psychosoziale Ressourcen bei der Arbeit einigermassen die Waage.

Bringt die moderne Arbeitskraft also Spitzenleistungen in einem Wohlfühlklima?

Sagen wir es so: Schlechte Führung, rigide Abläufe und intensives internes Hickhack wirken auf die Leistungskultur wie Gift – und irgendwann auch auf die Gesundheit. Herrscht aber ein positiver Groove im Betrieb und wirken Vorgesetzte und Kollegen als psychosoziale Ressource, können auch sehr hohe Anforderungen erfüllt, der Selbstwert positiv beeinflusst und letztlich wesentliche Voraussetzungen einer hohen Arbeits- und Lebenszufriedenheit gestärkt werden.

Bild: iStock


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