«Leisten Sie Widerstand ohne Schaden anzurichten!»

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Gereizt, unzufrieden und angriffslustig – Der Vater des 12-jährigen Mario wendet sich verzweifelt an Jesper Juul: «Wie kommuniziere ich mit meinem pubertierenden Sohn?»
Der Leser schreibt:
Es geht rauf und runter. Wenn wir die Wochenenden oder Feiertage miteinander verbringen, kommt er wieder zurück zu seinem alten Selbst, aber sobald er in der Schule und mit seinen Freunden zusammen ist, wird er mürrisch und reagiert nicht mehr auf uns Eltern.
Wir versuchen, einige der Wünsche von Mario zu erfüllen. Wir wissen auch, dass wir ihn loslassen müssen, aber er ist nie zufrieden und glücklich. Er sieht ständig das Negative, nie etwas Gutes oder Positives. Wenn etwas passiert, dann gibt er immer den anderen die Schuld.
Seine negative Haltung uns und seinem Zuhause gegenüber zermürbt uns. Wir versuchen ganz ruhig mit ihm zu reden, und oft scheint er zu verstehen. Doch am nächsten Tag ist er wieder ablehnend. Mario ist beliebt bei den anderen, aber er erlebt nicht so viel, mit dem er sich rühmen kann, wie die anderen Burschen in seiner Klasse. Wie können wir uns Mario annähern und ihn erreichen?
Jesper Juul antwortet:
Betrachten Sie Ihren Sohn jetzt, als wäre er ein Austauschstudent aus einer «anderen Kultur», und lernen Sie dabei, wie Sie mit ihm umgehen können.
«Wenn Eltern sich ständig einmischen, fühlt sich das Kind nicht geschätzt.»
Jesper Juul
Die Frau sass neben ihrem Sohn, dem ein paar Tränen über die Wangen rannen. Als ich ihn danach fragte, sagte er: «Das ist nicht wahr, Mama! Meine Familie bedeutet immer noch sehr viel für mich. Ich verbringe jetzt nur mehr Zeit mit meinen Freunden!»
Ihr Sohn Mario sucht nun seine eigene Art und Weise, um sich in der Welt zurechtzufinden. Würde ich ihn bitten, ein Abendessen für die Familie zuzubereiten, würde er wohl versuchen, ein guter Koch zu sein und mit allem zu experimentieren, was zur Verfügung steht, um dieses Ziel zu erreichen.
Wenn aber seine Eltern sich ständig einmischen und sagen, dass sie so etwas niemals essen würden, dann fühlt er sich bewertet. Er fühlt, dass die Energie, die er einsetzt, nicht geschätzt wird. Es wurde ihm sozusagen eine Aufgabe erteilt, aber nicht die Möglichkeit gegeben, für deren Erfüllung auch verantwortlich zu sein.
«Leisten Sie maximalen Widerstand und richten Sie minimalen Schaden an.»
Jesper Juul
Je mehr Sie über seine neuen Versuche und Möglichkeiten des Menschseins richten und diese bewerten, desto mehr wird er Ihren Weg des Seins ablehnen.
Wenn wir das Bild mit ihm als Koch für die Familie herbeiziehen, so ist es nicht nur in Ordnung, sondern es ist sogar sehr wichtig, zu sagen: «Das hat mir nicht gefallen» oder «Mmmh, das hat gut geschmeckt».
Das kann zu Konflikten führen, aber es sind Konflikte, an denen beide Parteien wachsen. Das wiederum stärkt die Beziehung in beide Richtungen.
«Sie sollten auch ein Nein aushalten können.»
Jesper Juul
Ihre Zeilen, die Sie an mich gerichtet haben, vermitteln mir den Eindruck einer Familie mit zwei engagierten, liebvollen und verantwortungsbewussten Eltern, die wunderbare Arbeit geleistet haben. Vielleicht mit der Tendenz, ein wenig «zu vernünftig» zu sein. Sie werden Ihre wohlverdiente Belohnung dafür bekommen – allerdings wird es noch etwa zehn Jahre dauern, bis Sie die Auszahlung erhalten werden.
Bis dahin gibt es, ausser dass Sie anwesend sind, nur eine Sache zu tun: Lieben Sie Ihren Sohn so, wie er in seiner Einzigartigkeit ist, selbst wenn das das Schwierigste ist. Das ist es, was er wirklich braucht, um das er aber nicht fragen kann. Sie haben ihm das Vertrauen und die Grundlage gegeben, die beste Person zu sein, die er sein kann – auch mit seinen Fehlern.
Jesper Juul
Jesper Juul schreibt regelmässig exklusiv in der Schweiz für das Elternmagazin Fritz+Fränzi. Bestellen Sie jetzt ihr Abo!