Wie wird mein Kind selbstbewusst? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wie wird mein Kind selbstbewusst?

Lesedauer: 10 Minuten

Wir alle sehnen uns danach, vorbehaltlos ­angenommen und geliebt zu werden. Dieses ­Gefühl ist die Basis für unser Selbstbewusstsein, das in der Kindheit entsteht. Schwächelt es, kann dies später Lebenschancen verbauen, ­Beziehungen erschweren und sogar die Gesundheit gefährden. Doch wie wird ein Kind selbstbewusst? Welchen Einfluss haben ­Eltern und Schule?

Text: Claudia Landolt
Bilder: Alain Laboile

Wer kennt es nicht: Man steht morgens vor dem Spiegel, sieht ein neues Fältchen oder merkt, dass die Jeans ein bisschen enger geworden ist. Dann nörgelt das Kind am Frühstückstisch, weil der Lieblingspulli noch nicht gewaschen ist.

Man hetzt auf den Bus, arbeitet die überquellende Mailbox ab, und im Büro sagt der Kollege: Oh, du siehst aber gehetzt aus heute! Na super. Toller Morgen. Dankeschön.

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Wir interagieren mit anderen Menschen. Fiese Bemerkungen ­verletzen und positive Feedbacks freuen uns. Anerkennung ist ein Bestandteil unseres Selbstbewusstseins. Selbstbewusstsein ist wörtlich gesehen «das Bewusstsein seines Selbst». Einerseits also das Gefühl, wie man sich selbst einschätzt und bewertet: Wie sehe ich mich als Person? Kann ich etwas? Andererseits ist es der Vergleich mit anderen Menschen: Kann ich etwas besser? Wie beurteilen mich andere? Unser Selbst­bewusstsein hängt in grossen Teilen von den Antworten auf diese Fragen ab.

Wie wird mein Kind stark?

Wir verfügen über ein hohes Selbstbewusstsein, wenn wir viel über uns wissen und dieses Wissen möglichst korrekt ist, sagen die Psychologen Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler. Streng genommen geht es dabei nicht um das Gefühl, sondern eher um eine Einstellung, die man sich selber gegenüber hat. Ein selbstbewusster Mensch kann gut einschätzen, wie er auf andere wirkt, weiss, wo er stark und wo eher schwach ist, er kennt seine Bedürfnisse und Ziele, kann seine Gefühle wahrnehmen und ausdrücken und die Gedanken nachvollziehen. Kritik wirft ihn nicht sofort aus der Bahn.

Wir verfügen über ein hohes Selbstbewusstsein, wenn wir viel über uns wissen und dieses Wissen möglichst ­korrekt ist.

Im Alltag empfinden wir selbstbewusste Menschen als mutig, kommunikativ oder stark. Ein gutes Selbstbewusstsein gilt als erstrebenswert, und so wünschen sich auch Eltern selbstbewusste Kinder. Sie möchten, dass ihr Selbstbewusstsein Kinder dazu befähigt, sich für «okay« zu halten, egal, was das Leben für sie bereithält. Doch wie entsteht dieses Selbstbewusstsein? Und wie kann es gefördert oder geschädigt und gegebenenfalls repariert werden?

Die Saat für unser Selbstbewusstsein wird in unserer frühen Kindheit gelegt. Die ersten Lebensjahre in der Entwicklung eines Menschen sind deshalb so wichtig, weil sich in dieser Zeit seine Gehirnstruktur mit ihren ganzen neuronalen Netzen und Verschaltungen herausbildet. Die Erfahrungen, die wir in dieser frühen Entwicklungsphase mit unseren nahen Bezugspersonen machen, graben sich tief in unser Gehirn ein.
 
Kinder sind existenziell darauf angewiesen, dass ihre Eltern sie bedingungslos lieben und auf ihre Bedürfnisse feinfühlig reagieren. Ob und wie diese Bedürfnisse nach grundsätzlicher Akzeptanz in unserer Kindheit gestillt werden, hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie wir später durchs Leben gehen. Am allerwichtigsten ist für Kinder die verlässliche und körperliche Nähe der Eltern, deren Für­sorge und unmittelbare Zuneigung. Das ist «das Ticket zum Überleben», sagt der Kinderarzt Herbert Renz-Polster.

Die vier Grundbedürfnisse unseres Selbstbewusstseins

Gemäss dem Psychotherapieforscher Klaus Grawe gibt es vier psychische Grundbedürfnisse:

1. Bindung
Die frühe Bindungserfahrung hat einen fundamentalen Einfluss auf die spätere Gesundheit, die Beziehungsfähigkeit und die Stressresistenz. Sie ist wie eine Art Flugzeugträger, aus dem man in die Welt starten kann. In den ersten sechs Lebensjahren erfährt das Kind: «Ich kann mich auf Mama und Papa verlassen.» «Ich werde gehört und gesehen.» «Ich darf weinen.» «Man erkennt meine Bedürfnisse.» Ein enger, fürsorglicher und verlässlicher Kontakt zwischen Kind und Bezugspersonen ist die Voraussetzung dafür. Vermag diese erste Beziehungserfahrung Geborgenheit, Verlässlichkeit und Schutz zu schenken, entsteht so etwas wie ein stabiles Grundgefühl. Wird das kindliche Bedürfnis nach Bindung frustriert – durch Vernachlässigung, Ablehnung oder psychische oder physische Misshandlung –, leidet das Gefühl, wertvoll, stark und kompetent zu sein.

2. Autonomie
Kinder brauchen Geborgenheit, aber auch Autonomie und Selbständigkeit. Kinder, so der Bindungsforscher John Bowlby, sind von Natur aus mit einem Forschungsprogramm ausgerüstet, mit dem sie auf die Umwelt zugehen, sich in das Leben der anderen Menschen einklinken. Sie möchten sich als «wirksam» empfinden. Dieses Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten kann nur entwickeln, wer seinen eigenen Willen ausdrücken darf. Viele Kinder sind emotional so stark in den Mittelpunkt der Familie gerückt, dass sie «aus Liebe behindert werden», sagt Herbert Renz-Polster. Ein Beispiel: Die Zehnjährige möchte allein die drei Stunden Zugfahrt entfernte Oma besuchen. Instinktiv ziehen viele Eltern die Leine stramm – aus Furcht, das Mädchen könnte niemals bei der Oma ankommen. ­Diese Ängste sind verständlich, gelten aber als «elterliche Überfürsorge». Denn Autonomie bedeutet auch, dass Kinder altersabhängig und im Rahmen ihrer Fähigkeiten über gewisse Dinge selbst entscheiden können.

3. ­Lustbefriedigung

Das Kind strebt danach, Lust zu empfinden und Unlust zu vermeiden. Es ist für das spätere Leben existenziell wichtig, dieses Lustempfinden zu regulieren. Das Kind muss die Fähigkeit zur Frustrationstoleranz, zum Belohnungsaufschub und zum Triebverzicht erlernen, und so ist Erziehung zum grossen Teil darauf angelegt, dem Kind einen angemessenen Umgang mit Lust und Unlust beizubringen. Oft geht Bedürfnis Nummer 2 mit Bedürfnis Nummer 3 einher (das Dessert vor der Hauptmahlzeit essen zum Beispiel). Gefragt ist ein gesunder Umgang damit. Wird dieses Bedürfnis zu stark reglementiert, kann es dazu führen, dass das Kind später zwanghaftes Verhalten entwickelt – oder aber umgekehrt seinen Gelüsten nur allzu gerne nachgibt.

4. ­Anerkennung
Hier geht es um die Erkenntnis: «Ich bin willkommen, so wie ich bin.» Ist das der Fall, ist die Welt ein freundlicher Ort. Wir sind darauf kondi­tioniert, Anerkennung durch andere zu erhalten – schon von klein auf. Problematisch wird es, wenn diese Anerkennung an eine Bedingung geknüpft wird. Dass man ein Kind also nur liebt, weil es etwas besonders gut gemacht hat oder sich von einer besonders schönen Seite gezeigt hat. Dann merkt sich das Kind, dass es nur wertvoll ist, wenn es sich in bestimmter Weise verhält. Stark erschüttert wird das Selbst­bewusstsein durch die Erfahrung, nicht respektvoll behandelt zu werden. Verbale Schmähungen wie Herabsetzung, Demütigung, aber auch Liebesentzug lassen ein Kind zum Schluss kommen, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Aber auch das Umgekehrte gilt: Werden seine Fähigkeiten nicht beachtet oder als selbstverständlich genommen, kann es schwer sein, ein Gefühl für das eigene Können zu entwickeln und auf sich selbst stolz zu sein.

Ein gesundes Selbstbewusstsein zu haben, heisst demnach, sich kompetent zu fühlen (lat. competere = zu etwas fähig sein) und aus tiefstem Herzen sagen zu können: «Ich kann etwas.» – «Ich werde geliebt, so wie ich bin.» – «Ich darf einen eigenen Willen haben.» – «Ich werde respektiert und wahrgenommen.» – «Selbst wenn es mal nicht so gut läuft, bin ich «okay.»

Wir haben gesehen, dass diese Kompetenzen in den Kinderjahren zu einem grossen Teil aus funktionierenden Beziehungen gebildet werden. Somit lastet auf Eltern grosser Druck, «es» möglichst gut zu machen, damit das Kind «gut herauskommt». Viele Eltern empfinden den Alltag mit Erziehung, Schule und Beruf als fordernd. Hat es negative Folgen für das kindliche Selbstbewusstsein, wenn die Eltern gestresst, beruflich eingespannt oder perfektionistisch sind? Was, wenn ein Schicksalsschlag, eine Trennung uns vor grosse Herausforderungen stellt?

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Definitionen

Der Begriff Selbstbewusstsein wird unterschiedlich definiert. Man kann grob zwei Definitionen unterscheiden. Die engere beschreibt Selbst­bewusstsein als Erkennen der eigenen Person. Die weitere Definition schliesst Selbstvertrauen mit ein, also das ­Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen. Im allgemeinen Sprachgebrauch setzen wir Selbstwertgefühl mit Selbstbewusstsein gleich. In diesem Dossier verwenden wir deshalb den Begriff des Selbst­bewusstseins und schliessen damit – sofern nicht ausdrücklich anders erwähnt – das Selbstwertgefühl mit ein.

(Quellen: Fabian Grolimund und ­Stefanie Rietzler via www.biber-blog.ch; Online-Lexikon für Psychologie und ­Pädagogik, lexikon.stangl.eu).

Eltern sind nicht für alles ­verantwortlich

Die Eltern haben nicht immer Schuld, sagt der deutsche Kinderarzt Herbert Renz-Polster. «Die Schuld der Eltern war das Geschäftsmodell der Psychologie der letzten 100 Jahre, die jedes Drama und jede Verletzung des Menschen aus dem Verhalten seiner Mutter zu erklären suchte», sagt er. Eltern seien da besonders verletzlich: Alles, was bei Kindern schiefläuft, meinen sie auf ihre Kappe nehmen zu müssen. Zu Unrecht! «Erziehung vollzieht sich in einem System.» Eltern seien weder die allmächtigen «Weichensteller» noch die Magier, die ihren Kindern die Tricks des Lebens beibringen, sondern sie ­seien Teil eines Ganzen, so Renz-Polster, zu dem auch die Kinder selbst gehörten, die Verwandten, die Freunde, die Schule, die Vereine, ja die ganze Gesellschaft. Denn tatsächlich machen es die heutigen Eltern wirklich gut. Mehrere Untersuchungen, darunter besonders die Shell-Studie, bescheinigen den Eltern eine gute Erziehung und den Kindern ein gutes Verhältnis zu Mutter und Vater: «Mehr als 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern, erachten diese nebst Freunden als wichtigste Stütze und finden bei ihnen Rückhalt und emotionale Unterstützung.»

Am allerwichtigsten ist für Kinder die verlässliche und körperliche Nähe der Eltern.

Familie, Freunde und Freizeit­aktivitäten tragen wesentlich zum Selbstbewusstsein und Wohlbefinden des Kindes bei. Welche Rolle spielt die Schule? Einer Umfrage von «bento», dem Jugendmagazin des «Spiegels», zufolge sind 88 Prozent der befragten 1000 Menschen zwischen 18 und 20 Jahren mit ihrem Charakter in Bezug auf die Schule und den Beruf unzufrieden. Personen unter 20 Jahren, darunter meist Mädchen, waren besonders unzufrieden. Und jeder Vierte wünschte sich in Sachen Schule oder Beruf, offener, ausgeglichener, willensstärker oder ehrgeiziger zu sein.

Eine Vergleichsstudie aus dem deutschen Trier widmet sich speziell der Beziehung zwischen Selbstbewusstsein und Schule. Das Ergebnis der Studie bei 1500 Mädchen und Buben zwischen 8 und 15 Jahren: Alle Kinder hatten in den Lebens­bereichen Familie und Freizeit ein hohes, im Bereich der Schule aber ein geringeres Selbstbewusstsein. Die Folgerung: Die Schule, der Leistungsdruck und der damit verbundene Stress beeinflussen das kindliche Selbstbewusstsein eher negativ.

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Zu einem ähnlichen Resultat kommt eine neuere Untersuchung der Mercator-Stiftung. Kinder gaben an, dass das Wohlbefinden in der Familie, mit Freunden und in der Wohngegend grösser sei als das in der Schule. 63 Prozent sagten, dass es in der Klasse zu laut sei, 55,3 Prozent äusserten sich, sie kämen nicht angemessen zur Ruhe, und knapp 60 Prozent hatten Angst vor schlechten Noten. 15 Prozent gaben gar an, Angst zu haben, den schulischen Anforderungen nicht gerecht zu werden oder die nächste Schulstufe nicht zu schaffen.

Wenig selbstbewusste Kinder leiden in der Schule eher

Die Schule mindert also manchmal das Selbstbewusstsein. Der Trierer Psychologe Thomas Schauder führt dies auf das Lern- und Lehrklima sowie die soziale Atmosphäre in den Schulen zurück. Nicht individuelle Entwicklung und Förderung, sondern wettbewerbsorientierte Lernformen, generelles Fordern und Auslesen könnten, so Schauder, dazu führen, dass leistungsorien­tierte Schülerinnen und Schüler verstärkt unter Leistungsdruck und Stress gerieten und leistungsschwächere tendenziell eher aufgäben, scheiterten und/oder «ausgelesen» würden.

Tatsächlich sind Kinder, die sich selbst als unsicher und wenig kompetent sehen, in der Schule besonders gefährdet, sagt die Berner Erziehungswissenschaftlerin Tina Hascher. Kinder mit geringem Selbstbewusstsein haben mehr Angst in der Schule, trauen sich weniger zu, strengen sich in der ­Folge weniger an und sehen die Zukunft eher negativ.

Auf Eltern lastet ein grosser Druck, ‹es› möglichst gut zu machen, damit das Kind ‹gut herauskommt›.

Diese Kinder bedürfen unserer Aufmerksamkeit. Gerade wenn es einmal schlecht läuft, in der Schule beispielsweise. Dann brauchen auch ältere Kinder wieder ihre Eltern oder andere Erwachsene, die trösten und motivieren. «Nichts stärkt ­Kinder mehr als das Wissen: Ich bin wundervoll, und niemand kann ­dieses Gefühl besser vermitteln als Eltern», erklärt der deutsche Psy­chiater Michael Schulte-Markwort. «Dafür ist es nötig, den Blickwinkel auf die Stärken des Kindes zu legen statt auf seine Schwächen.» Ist die Mathearbeit verhauen? Dafür ist das Kind vielleicht in Französisch gut oder hat eine Leidenschaft fürs Lesen.
Aber selbst wenn das schulische Leben das Selbstbewusstsein mindert oder es in der Familie gerade harzt, muss ein Kind nicht zwangsläufig scheitern. «Nicht jeder Kratzer führt gleich zu Krankheiten», sagt Renz-Polster. «Es braucht viele ungünstige Einflüsse, um ein Kind aus dem Gleis der Entwicklung zu werfen.» Um unsicher durchs Leben zu gehen, müssen die Grundbedürfnisse massiv nicht erfüllt oder missachtet worden sein.

Die eigene Widerstandskraft anregen

Und auch dann muss ein Kind nicht zwingend scheitern. Ein Kind kann auch ohne fabulöses Selbstbewusstsein durchaus psychisch gesund erwachsen werden, glücklich und zufrieden sein. Denn – das ist die gute Nachricht – ungünstige Umstände können durch andere Faktoren, aus denen das Kind Kraft und Vertrauen schöpft, fast immer wettgemacht werden.

Der Leistungsdruck und der damit ­verbundene Stress in der Schule beeinflussen das kindliche Selbstbewusstsein eher negativ.

Dazu gehören Geschwister, Grosseltern, Freunde, ja sogar Nachbarn, bei denen ein Kind immer wieder spielt, isst oder seine Hausaufgaben macht. Sie können ganz unbewusst dem Kind Erfahrungen vermitteln, dass es etwas kann, wertvoll ist und eine innere Stärke oder Widerstandskraft, also Resilienz entwickelt. Das geschieht im Kind selbst, aktiv trainieren kann man es nicht. Resilienz «ist keine statische Angelegenheit, kein Programm und kein Produkt, das man einfach so entwickeln kann», sagt die Zürcher Psychologieprofessorin Corina Wustmann. Kinder könnten nicht resilient «gemacht» werden. Vielmehr seien es einzelne, in einem ständigen Wechselspiel befindliche Puzzlesteinchen, die dazu beitrügen, dass ein Kind innere Stärke ver­spüre, selbst wenn das Leben mal «gemein» zu ihm sei. Und man kann, so Wustmann, gar nicht immer punktgenau sagen, weshalb aus einem manchmal unglücklichen Kind dann doch ein glücklicher Erwachsener wurde.
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Zur Resilienz tragen laut Wustmann vor allem positive Erfahrungen in der Alltagswelt bei. «Wenn Kinder im Alltag altersgemäss Verantwortung übernehmen können, empfinden sie sich als selbstwirksam. Sie realisieren, dass sie etwas können, und die anderen sehen auch, dass es das gut kann – diese Erfahrungen sind wertvoller als alle Förderprogramme zusammen.» 

Die nachhaltigsten Botschaften für das kindliche Selbstbewusstsein sind demnach: «Ich darf Erfahrungen machen.» «Ich werde nicht in Watte gepackt.» «Ich kann etwas bewirken, das mir und anderen Spass und Freude bereitet.» Daraus nährt sich das kindliche Selbstvertrauen. Positive und eigenwirksame Erfahrungen in der Spielgruppe oder Kita, im Kindergarten und in der Schule, aber auch im Wald, auf dem Fussballplatz oder durch ein Hobby speisen dieses Vertrauen wie ein inneres Kraftwerk.

Daraus schöpft das Kind, wenn sich Zweifel melden. Zum Beispiel Glaubenssätze, also verinnerlichte Botschaften etwa von den Eltern, einfache Aussagen wie «Mathe ist ja einfach nicht dein Ding!». Bei unsicheren Kindern meldet sich diese innere Stimme häufiger als bei selbstbewussteren, und unsichere Kinder lassen sich davon eher beeinflussen. Sie hören diese innere zurechtweisende, kritisierende Stimme beim kleinsten Fehler. Die Folge könne Scham sein, sagt der Verhaltenstherapeut und Buchautor Mathew McKay: Aus Angst, Risiken einzugehen, abgelehnt zu werden, bewegt man sich sehr vorsichtig in der Welt. «Das Gefühl, es nicht zu schaffen oder es nicht zu verdienen, kann die Funktionsfähigkeit und Zufriedenheit in praktisch jedem Lebensbereich behindern.»

Freundlich zu sich selbst sein

Ein Rezept gegen diese inneren Zweifel, so Mathew McKay, sei, Gefühle oder Gedanken zu benennen, um sie so distanzierter betrachten zu können und sich nicht mit ihnen zu identifizieren. Und so verlieren sie an Macht. Eine ungenügende Note in Mathe zum Beispiel heisst dann eben nicht, dass man in Mathe immer schlecht ist.

Positive und eigenwirksame Erfahrungen speisen das Vertrauen ins Selbst wie ein inneres Kraftwerk.

Eine zweite Möglichkeit ist, den Fokus anders zu legen und herauszufinden, was gut läuft. «Jedes Leben hat Aspekte, die man bedauert oder bereut. Das Entscheidende ist nicht so sehr, was einem passiert, sondern wie man die Aufmerksamkeit darauf richtet.» Es gehe für jeden Menschen, ob gross oder klein, letztlich darum, einen ausgewogenen Blick auf sein Selbst zu richten, Verständnis und Mitgefühl für sich selbst und andere zu zeigen. Diese buddhistischen Tugenden kann man auch seinen Kindern vermitteln: «Ich bin okay, auch wenn ich es mal nicht bin» – diese simple Maxime hilft tatsächlich. Und Zuneigung. Viel Zuneigung. Am besten täglich. «Kindern sollte man ruhig jeden Tag sagen, dass sie aus tiefstem Herzen geliebt werden und etwas ganz Besonderes sind», sagt die Psychologin Margarete Killer-Rietschel. Denn Hand aufs Herz: Auch wir Erwachsene hören das gern. Besonders, wenn der Tag etwas wolkig beginnt.

Claudia Landolt
ist Mutter von vier Söhnen und diplomierte Yogalehrerin.

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