16. Oktober 2016
Warum sind Eltern so spiessig?
Text: Michèle Binswanger
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Lesedauer: 1 Minuten
Manchmal macht man sich eben auch über unwichtige Fragen Gedanken – besonders, wenn man mit seinen kinderlosen Freunden spricht. Eine dieser Fragen lautet: Warum tritt Spiessigkeit in Familien so sicher auf, wie die Korruption in Kongo? In Mamablogs und Mütterforen wird immer wieder heftig darüber diskutiert, was spiessig ist. Die einen halten die Angst vor Spiessigkeit für spiessig, andere den krampfhaften Individualismus oder den Besitz von Haus, zwei Autos, einer Familie und einem Hund. Ich aber denke, Spiessigkeit ist das, was notwendigerweise eintritt, wenn man eine Familie gründet.
Spiessertum, mit anderen Worten, ist in meinen Augen nichts anderes, als die Antithese zum jugendlichen Geist. Dieser segelt meist unter der Flagge der Nonkonformität, wirft, auf der Suche nach sich selbst und seinen Möglichkeiten, möglichst viel Ballast aus seiner Kindheit ab, strebt nach einem Leben in Freiheit, ohne Wurzeln und möglichst ohne festen Wohnsitz. Ungebunden zu sein, Chaos in sich zu tragen, für Utopien zu streiten, ohne sich um Details wie praktische Realisierbarkeit zu kümmern, das alles ist ein Privileg der Jugend. Sollte es zumindest sein, auch wenn die heutige Jugend sich manchmal spiessiger gibt als ihre Eltern.
Spiessertum, mit anderen Worten, ist in meinen Augen nichts anderes, als die Antithese zum jugendlichen Geist. Dieser segelt meist unter der Flagge der Nonkonformität, wirft, auf der Suche nach sich selbst und seinen Möglichkeiten, möglichst viel Ballast aus seiner Kindheit ab, strebt nach einem Leben in Freiheit, ohne Wurzeln und möglichst ohne festen Wohnsitz. Ungebunden zu sein, Chaos in sich zu tragen, für Utopien zu streiten, ohne sich um Details wie praktische Realisierbarkeit zu kümmern, das alles ist ein Privileg der Jugend. Sollte es zumindest sein, auch wenn die heutige Jugend sich manchmal spiessiger gibt als ihre Eltern.
Man geht einer geregelten Arbeit nach, bereitet drei Mahlzeiten am Tag zu, geht früh zu Bett und macht Sonntagsspaziergänge. Und findet das nicht mal schlimm.
Wie auch immer, büsst die Mission der Jugend rasant an Fahrt ein, wenn erst mal Kinder da sind. Und ehe man sichs versieht, mündet man in den Hafen des Erwachsenseins, ohne vorher irgendeinen Zoll passiert zu haben. Man geht einer geregelten Arbeit nach, bereitet drei Mahlzeiten am Tag zu, geht früh zu Bett und macht Sonntagsspaziergänge. Und findet das nicht mal schlimm. Denn es gibt ja auch noch die andere Seite: die Erkenntnis, dass die Zeit nicht nur eine unanzweifelbare Richtung, sondern auch mehr Tiefe hat, als je gedacht. Dass Wurzeln eine gute Sache, dem ewig freien Flottieren gar vorzuziehen sind. Natürlich soll man auch mit Familie seine jugendlichen Träume nicht verleugnen. Nur hat man jetzt die Möglichkeit, sie etwas realistischer ins Auge zu fassen.
Natürlich kann ich mich auch heute noch überall auf der Welt niederlassen. Nur bin ich keine einzelne Blume mehr, die eine neue Heimat in einer bunten Wiese findet. Jetzt bringe ich einen ganzen Blumenstock mit. Den kann man zwar umtopfen, aber ich bleibe in derselben Erde. Entgegen dem allgemein negativen Image der Spiessigkeit, ist das doch ein ungemein tröstlicher Gedanke.
Zur Autorin
Michèle Binswanger ist Philosophin, Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel. Sie schreibt regelmässig Kolumnen für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi. Bestellen Sie jetzt unseren Newsletter.
Michèle Binswanger ist Philosophin, Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel. Sie schreibt regelmässig Kolumnen für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi. Bestellen Sie jetzt unseren Newsletter.