Manchmal steht das Ziel im Weg

Ilustration: Petra Dufkova / Die Ilustratoren
Im Kanton Zürich ist der Übertritt verbunden mit einer Prüfung. Es ist ein sogenannter High-Stakes-Test. Das sind Prüfungen, bei denen es um alles geht, weil das Ergebnis unmittelbare Konsequenzen hat. Führerscheinprüfung, Theater-Vorsprechen oder Aushebung sind solche. Oder eben die Gymi-Prüfung. Über 80 Prozent scheitern dort. Und wer besteht, kommt nicht erhobenen Hauptes ans Gymnasium, sondern gerädert und verängstigt.
Natürlich will niemand bestreiten, dass Lesen, Schreiben und Rechnen im Leben eher hilfreich als hinderlich sind. Und niemand wünscht sich eine Welt, in der jeder Schüler ein Gymnasium besuchen muss. Und doch ist etwas aus dem Ruder gelaufen: Der Unterricht von der fünften bis zur siebten Klasse dient weniger der Vorbereitung aufs Leben als der Vorbereitung auf den Übertritt. «Teaching to the test» nennt man es in den USA, wenn die Lehre auf die Prüfung ausgerichtet ist. Antriebsfeder eines solchen Systems ist die Angst vor dem Scheitern – und nicht etwa die Lust an Inhalten. Es ist ein Spiegel unserer Gesellschaft: Die Menschen in der Bank, in der Fabrik, in der Redaktion bangen um ihren Arbeitsplatz – und die Schüler in der Sek bangen um ihren Übertritt. Mit der Angst vor dem Scheitern kann man natürlich Kinder zwingen, stillzusitzen, Dreisatz zu lernen oder Grammatik zu pauken. Aber mit Angst wird man nie Menschen dazu bringen, lange nachzudenken, Bücher zu lieben, für Themen zu brennen.
Das Problem liegt letztlich darin, dass die Gymi-Prüfung nicht jene Fähigkeiten misst, die man braucht, um ein grossartiger Mensch zu werden, sondern jene – und zwar ausschliesslich jene –, die es braucht, um die Gymi-Prüfung zu bestehen. Manchmal steht das Ziel eben im Weg.
ist Autor und Journalist. Heute lebt der Finne, Vater einer Tochter und eines Sohnes, in Biel und schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi und andere Schweizer Medien.