Fremdplatzierung: «Den richtigen Weg zu finden, ist keine leichte Aufgabe»
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Fremdplatzierung: «Den richtigen Weg zu finden, ist keine leichte Aufgabe»

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Wer entscheidet, ob ein Kind nicht mehr zu Hause leben kann und wohin es dann kommt? In den meisten Fällen sind es die Eltern selbst, so die überraschende Antwort von André Woodtli, Chef des Amts für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich.

Interview: Evelin Hartmann
Bilder: Ruben Hollinger/ 13 Photo

Herr Woodtli, heute vertreten viele Experten die Ansicht, dass Kinder, die nicht zu Hause bei den Eltern leben können, besser bei Pflegefamilien aufgehoben sind als in Heimen.

Den Streit darüber, ob Heime oder Pflegefamilien besser sind, gibt es, seit diese existieren. Inzwischen ist er zum Glück überholt: Heime sind familiär geworden, Pflegefamilien professioneller. Pflegefamilien und Heime haben jeweils die Stärken des anderen übernommen. Die Gegensätze und die jeweiligen Nachteile sind kleiner geworden. Heute stehen uns beide Typen als echte und gute Möglichkeiten zur Verfügung.

Ob heilpädagogische Heime, betreutes Wohnen oder professionalisierte Pflegefamilien: Das Angebot ist heute immens. Wie findet man individuell für jedes Kind die richtige Einrichtung?

Hier spielen verschiedene Kriterien eine Rolle: das Alter des Kindes, die Dauer der Unterbringung, der konkrete Betreuungsbedarf, aber auch die Wünsche und Vorstellungen aller Betroffenen.

André Woodtli leitet das Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich. Bild: zVg
André Woodtli leitet das Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich. (Bild: zVg)

Haben Sie ein Beispiel?

Angenommen, die Eltern werden einer Straftat beschuldigt und müssen in Untersuchungshaft. In diesem Fall kann die Unterbringung des Kindes für wenige Tage oder Wochen nötig sein. Dann empfiehlt sich – wenn es keine Möglichkeiten innerhalb der eigenen Familie gibt – die Unterbringung in einem Heim. Ist das Urteil gefällt und das Kind muss längerfristig fremdplatziert werden, eignet sich eine Pflegefamilie besser. Es hängt aber immer auch davon ab, wie die Eltern zur jeweiligen Massnahme stehen. Wünschen sie sich für ihr Kind eher eine Heim- oder eine Familienplatzierung? Das zu berücksichtigen ist sehr wichtig, damit auch das Kind die neue Lebenssituation besser annehmen kann.

Man kann sich kaum vorstellen, dass Eltern ihr Kind freiwillig in fremde Obhut geben.

Oh doch. In acht von zehn Fällen sind die Betroffenen einsichtig und arbeiten mit den Behörden, wenn zum Teil auch notgedrungen, zusammen. In diesen «freiwilligen» Fällen sind im Kanton Zürich die Kinder- und Jugendhilfezentren (kjz) zusammen mit den Gemeinden zuständig. Natürlich braucht es auch hier eine intensive Begleitung der Familien, die zum Ziel hat, eine dem Wohle des Kindes dienende Lösung zu finden, mit der alle Parteien gut leben können. In den anderen Fällen, bei denen das Kindeswohl gefährdet ist, die Eltern jedoch für keine Massnahme zu gewinnen sind, muss die KESB eingreifen. Sie hat die Aufgabe, eine Massnahme zum Schutz des Kindes anzuordnen, die zu einer Verbesserung der Situation führt.

Nun steht die Arbeit der KESB oft in der Kritik. Nehmen wir den Fall in Flaach ZH, der sich an Weihnachten 2014 ereignete: Eine Mutter tötete ihre beiden Kinder, damit sie diese nach den Ferien nicht zurück ins Heim bringen musste. Dorthin, wo die KESB sie platziert hatte.

Ja, ausserordentlich tragisch und wie wir heute wissen für alle Beteiligten völlig unvorhersehbar! Natürlich ist es immer besser, wenn die Platzierung in sorgfältiger Absprache mit den Eltern erfolgt. Aber in seltenen Fällen ist das eben nicht möglich. Dann muss man im Nachhinein daran arbeiten.

Was nicht immer zu gelingen scheint.

Die Behörden bewegen sich immer im Spannungsfeld, entweder zu früh zu handeln oder zu spät – und damit eventuell das Kindeswohl zu gefährden. Den richtigen Weg zu finden, ist keine leichte Aufgabe.

Evelin Hartmann
ist stellvertretende Chefredaktorin von Fritz+Fränzi. Sie wohnt mit ihrem Mann und den zwei Töchtern in Luzern.

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